Chefvolkswirt Johannes Mayr
Weshalb die unsicheren Aussichten nicht verunsichern sollten
Johannes Mayr ist Chefvolkswirt der Anlagegesellschaft Eyb & Wallwitz. Foto: Eyb & Wallwitz / Canva
Die US-Präsidentschaftswahl und die Zinsentscheidungen der Notenbanken sind für die Entwicklung der Finanzmärkte im zweiten Halbjahr ganz sicher relevant. Beide sind aber kaum zu prognostizieren. Und so reizvoll politische oder monetäre Wetten auch scheinen mögen, die makroökonomischen Entwicklungen und die Prinzipien der „schöpferischen Zerstörung“ des Ökonomen Joseph Schumpeter sind verlässlichere Ratgeber für Investoren, meint Johannes Mayr. Er legt dar, worauf Anleger gerade im zweiten Halbjahr 2024 den Blick lenken sollten.
Eine Rezession scheint für einen Abbau des Inflationsdrucks erstmals nicht notwendig zu sein. Unterstützend wirken dabei sowohl ein Produktivitätsschub durch die Dominanz der Tech-Industrie und den zunehmenden Einsatz von KI entlang der Wertschöpfungsketten als auch das zusätzliche Angebot an Arbeitskräften bei personennahen Dienstleistungen durch die hohe Migration. Beides dämpft den Lohn- und Preisdruck, trotz robuster Konjunktur.
Investoren rechnen deshalb nicht mit mehr als ein bis zwei Zinsschritten der Fed bis Jahresende. Das neue Normal dürfte bei 3,5 bis 4 Prozent liegen. In Europa gibt es bislang keine Zeichen eines Produktivitätsanstiegs. Die schwache Konjunktur legt dennoch einen etwas rascheren Inflationsrückgang nahe, sodass von der EZB zwei bis drei Zinsschritte bis Jahresende realistisch scheinen. Die Landezone für den Leitzins dürfte im Euro-Raum bei 2,5 bis 3 Prozent liegen.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Eine Rezession scheint für einen Abbau des Inflationsdrucks erstmals nicht notwendig zu sein. Unterstützend wirken dabei sowohl ein Produktivitätsschub durch die Dominanz der Tech-Industrie und den zunehmenden Einsatz von KI entlang der Wertschöpfungsketten als auch das zusätzliche Angebot an Arbeitskräften bei personennahen Dienstleistungen durch die hohe Migration. Beides dämpft den Lohn- und Preisdruck, trotz robuster Konjunktur.
Investoren rechnen deshalb nicht mit mehr als ein bis zwei Zinsschritten der Fed bis Jahresende. Das neue Normal dürfte bei 3,5 bis 4 Prozent liegen. In Europa gibt es bislang keine Zeichen eines Produktivitätsanstiegs. Die schwache Konjunktur legt dennoch einen etwas rascheren Inflationsrückgang nahe, sodass von der EZB zwei bis drei Zinsschritte bis Jahresende realistisch scheinen. Die Landezone für den Leitzins dürfte im Euro-Raum bei 2,5 bis 3 Prozent liegen.
Nicht zu sehr auf ein genaues Timing der Zinspfade fokussieren
Gerade mittelfristig orientierte Investoren sollten sich aber nicht zu sehr auf ein genaues Timing der Zinspfade fokussieren. Aus mehreren Gründen. Zum einen gelingt dies selbst den Prognostikern der Notenbanken äußerst selten. Denn Konjunktur und Inflation bleiben kurzfristig schwer vorhersagbar.
Zum anderen wirken sich temporär höhere Finanzierungskosten auf die Geschäftsmodelle wirklich erfolgreicher Unternehmen langfristig nur wenig aus. Vor allem aber ist die Überraschung ein zentrales Element der Wirkweise der Geldpolitik. Die am Markt gehandelten Wahrscheinlichkeiten für den Zinspfad wie auch die Äußerungen der Notenbanken geben stets nur Auskunft über die aktuelle Wirkung der Geldpolitik und haben kaum prognostische Eigenschaften.
Denn es gilt: Die Geldpolitik kann nur dann einen Impuls auf den künftigen Verlauf von Konjunktur und Inflation ausüben, wenn sie diese Erwartungen gerade nicht erfüllt. Ein eigenes Narrativ wie auch Demut zu dessen Aussagekraft bleiben deshalb unabdingbar. Und die wohl einzige Gewissheit mit Blick auf die Geldpolitik im zweiten Halbjahr ist, dass der tatsächliche Zinspfad am Ende mit großer Wahrscheinlichkeit anders aussehen wird, als es derzeit am Markt gepreist wird.
Keine hohen Einsätze auf bestimmte Szenarien wetten
Insgesamt bleibt das makroökonomische Bild auch im zweiten Halbjahr durchaus konstruktiv. Das Wirtschaftswachstum in den USA dürfte 2024 nominal bei etwa 5 Prozent liegen, in Europa bei etwa 3 Prozent. Politik und Notenbanken werden zwar für Überraschungen sorgen.
Anleger sollten sich von dieser „normalen“ Unsicherheit aber nicht verunsichern lassen und keine hohen Einsätze auf bestimmte Szenarien wetten. Vielmehr bleiben die Prinzipien des Ökonomen Joseph Schumpeter ein verlässlicher Ratgeber für die Auswahl von Wirtschaftsbereichen und Geschäftsmodellen, gerade im Aktienbereich.
Eine ausgewogene Mischung aus verlässlichen Monopolisten und innovativen Herausforderern in den globalen Wachstumstrends bringt Sicherheit und Chancen gleichermaßen. Dabei ist eine gewisse Akzentverschiebung von „Digitalisierung beziehungsweise KI“ in Richtung „E-Commerce“ und „Infrastruktur“ naheliegend.
Und die Anleihenseite könnte im zweiten Halbjahr eine noch größere Rolle spielen. Denn das höhere Zinsniveau zwingt viele Unternehmen zu Maßnahmen, von denen primär die Gläubiger profitieren. Zudem sind bei wieder positiven Realzinsen bonitätsstarke Unternehmens- und Staatsanleihen als Puffer gegen eine mögliche Rezession im Portfolio unabdingbar.
Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?
Über den Autor