Kapitalmarktstratege Tilmann Galler
US-Zölle: Warum die Wirtschaft die Politik letztlich überstimmen dürfte

Kapitalmarktstratege Tilmann Galler
Auch wenn die Ankündigung weiterer Zölle zu erwarten war, so war das Ausmaß der angekündigten Maßnahmen doch überraschend groß: Mit einem effektiven US-Zollsatz von über 20 Prozent – als Anteil der erhobenen Einfuhrabgaben am Gesamteinfuhrwert – wäre dies das höchste Niveau seit über 100 Jahren. Eine derart umfassende Zollpolitik würde eine neue Ära des Protektionismus einläuten.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Auch wenn die Ankündigung weiterer Zölle zu erwarten war, so war das Ausmaß der angekündigten Maßnahmen doch überraschend groß: Mit einem effektiven US-Zollsatz von über 20 Prozent – als Anteil der erhobenen Einfuhrabgaben am Gesamteinfuhrwert – wäre dies das höchste Niveau seit über 100 Jahren. Eine derart umfassende Zollpolitik würde eine neue Ära des Protektionismus einläuten.
So wie es aktuell aussieht, könnte die wirtschaftliche Realität die Politik nun doch überstimmen und zu vernünftigen Entscheidungen führen. Denn andernfalls könnte die US-Wirtschaft zu stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Risiko einer Stagflation – das heißt einer Stagnation der Wirtschaft bei gleichzeitig steigender Inflation – könnte nun in den Vordergrund rücken.
Die US-Regierung macht immer wieder deutlich, dass die Wiederbelebung der heimischen Industrie höchste Priorität hat. Schon länger ist bekannt, dass die Globalisierung nicht allen Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße genutzt hat – Präsident Trump spricht gezielt jene an, die oft als „die Zurückgelassenen“ gelten. Es ginge in der Handelspolitik um die Interessen der „Main Street“– nicht um die der „Wall Street“, so das Credo der US-Regierung.
Die Entflechtung internationaler Handelsbeziehungen sowie die Umstrukturierung der US-Wirtschaft zur Stärkung der Industrie dürften das Wachstum kurzfristig belasten. Schon jetzt zeigt sich, dass die zunehmende Unsicherheit Unternehmen bremst – Investitionen werden zurückgehalten, Neueinstellungen verschoben. Wie weit Firmen in der Folge gehen – ob sie Personal abbauen müssen, um Margen zu sichern –, wird entscheidend sein für das Ausmaß des wirtschaftlichen Einbruchs.
Noch offen ist, ob Unternehmen die steigenden Importkosten selbst schultern oder diese über höhere Preise an die Verbraucher weitergeben. Eine Kombination aus schwächerem Wachstum, steigender Arbeitslosigkeit und möglichen Preissteigerungen könnte die US-Regierung zwingen, ihren handelspolitischen Kurs zu überdenken – vor allem, wenn republikanische Abgeordnete mit Blick auf die Zwischenwahlen 2026 um ihre Wiederwahl bangen. Denn in der Tat ist in den USA bereits eine Verschlechterung der Verbraucherstimmung zu spüren, das Verbrauchervertrauen hat bereits seit einigen Monaten eine stärker rückläufige Tendenz.
Gleichwohl sollte man sich von den negativen Entwicklungen nicht überrollen lassen. Was man nicht unterschätzen sollte ist etwa die Aussicht auf positive Nachrichten im Hinblick auf die Geld- und Fiskalpolitik. Auch wenn zunächst mit Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen ist, könnten Regierungen weltweit zusätzlich auf die absehbaren Wachstumsverluste durch neue Zölle reagieren – etwa durch höhere Staatsausgaben oder Steuersenkungen, um Unternehmen und Verbraucherinnen sowie Verbraucher im eigenen Land zu entlasten.
In einem solchen Umfeld könnte sich der Marktfokus von Wachstums- zunehmend auf Inflationsrisiken verlagern. Denn unterbrochene Lieferketten und weniger effiziente globale Handelsstrukturen dürften die Inflation ebenso antreiben wie mögliche Wechselkursschwankungen.
Inflationsgefahren zeigen sich in den USA etwa mit Blick auf Importe aus südostasiatischen Ländern, die nun massiv von Zöllen betroffen sind. Das Zollniveau von Vietnam würde beispielsweise auf 46 Prozent springen. Da die USA Waren kaum ähnlich kostengünstig wie in Asien produzieren können, dürften die Preise für Sneaker, Kleidung oder Elektronik-Zubehör zum Leidwesen der amerikanischen Verbraucher stark anziehen.
Zugleich ist zu erwarten, dass die Reaktion auf die US-Zölle auch zu einer beschleunigten Deregulierung führen könnte, um wirtschaftliches Wachstum zu stützen. Solche regulatorischen Lockerungen könnten in Europa eine Rolle spielen, um die Industrie zu stärken.
Für Anlegerinnen und Anleger kommt es nun darauf an, ihre Portfolios robust gegenüber unterschiedlichsten Szenarien aufzustellen und die derzeit steigende Volatilität zu überstehen. Der Fokus sollte jetzt auf Qualität liegen, sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen. Die möglichen wirtschaftspolitischen Gegenmaßnahmen sollten in ihrer Bedeutung für Konjunktur und Kapitalmärkte jedenfalls nicht unterschätzt werden – sie haben in der Vergangenheit oft dazu beigetragen, die Erträge breit gestreuter Portfolios nach externen Schocks zu stabilisieren.
Wenn wir auf den US-Rentenmarkt blicken, sehen wir bereits verstärkt Anzeichen für Inflationsrisiken. Gleichzeitig weisen fallende Realrenditen bei US-Staatsanleihen aber auch auf zunehmende Wachstumsrisiken hin. Wir sehen hier also schon einen klaren Hinweis auf ein Stagflationsszenario. Bei Bundesanleihen hat die Ankündigung von mehr Verschuldung einen Schub nach oben bei den Nominalrenditen ausgelöst.
Mit Blick auf die Aktienmärkte sollte man sich von einem zu starken Fokus auf US-Technologietitel lösen. Für die US-Mega-Caps wird es zunehmend schwieriger, den hohen Erwartungen gerecht zu werden. Mit Deepseek wurde bereits deutlich, dass auch China beim Thema Technologie konkurrenzfähig ist. Es ist daher nachvollziehbar, dass sich Anleger verstärkt um die Gewinnmargen insbesondere am US-Aktienmarkt sorgen. Die Gewinnschätzungen dürften im Zuge der jüngsten US-Zollankündigungen in der Tat nach unten revidiert werden.
Wir setzen daher auf eine Verbreiterung des Gewinntrends, weg von US-Mega-Caps hin zu Large-Caps. Vor allem Value- und Dividendentitel könnten gut geeignet sein, um mit dem Risiko der Stagflation umzugehen. Bereits 2022 hat man gesehen, dass Value- und Dividendentitel zum Schutz gegen Inflation beitragen konnten.
Doch auch alternative Anlageklassen wie Hedgefonds sowie Anlagen in Infrastruktur oder Transport sind aussichtsreich. In jedem Falle überholt ist das oft zitierte Narrativ „Cash ist King“. Selbst wenn das geopolitische Risiko steigt, ist Liquidität nur selten ein langfristig sicherer Hafen und nur dann eine sinnvolle Alternative, wenn wir massive Inflationsschocks wie in den 1970er und 1980er Jahren bekommen. Ein solches Szenario ist derzeit aber nicht in Sicht.
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