Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich die Spitzen von Union und SPD am Mittwochabend auf Reformen beim Bürgergeld, der Infrastruktur und der Rente geeinigt.

Das Rentenpaket tritt zum 1. Januar 2026 in Kraft. Kernstück ist die bereits seit Monaten diskutierte Aktivrente. Arbeitnehmer, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, sollen bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei dazuverdienen dürfen. Dieser Betrag soll direkt im Lohnsteuerabzugsverfahren berücksichtigt werden, berichtet Spiegel in seiner Online-Ausgabe. In zwei Jahren werde die Aktivrente evaluiert, um ihre Wirksamkeit zu überprüfen.

Weitere Maßnahmen umfassen unter anderem die Vollendung der Mütterrente, die Einführung einer Frühstartrente und das Zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz.

Unterdessen haben Experten bereits vor Monaten Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit und der Verfassungskonformität der Aktivrente geäußert. DAS INVESTMENT fasst die Kommentare nochmals für Sie zusammen.

Diskriminierung Jüngerer?

Ruth Schüler vom Institut der deutschen Wirtschaft und Michael Fuhlrott, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, sehen erhebliche verfassungsrechtliche Risiken bei der Aktivrente. Schüler kritisiert, dass gleich hohe Einkommen je nach Alter und Rentenstatus unterschiedlich besteuert würden. Dies verstoße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, das sich aus dem Gleichheitsgrundsatz ableite. Nach diesem Prinzip müssten gleich hohe Einkommen auch gleich hoch besteuert werden.

Die steuerliche Privilegierung allein für Menschen nach Erreichen der Regelaltersgrenze könnte gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstoßen, da andere Arbeitnehmergruppen wie Frührentner, die ebenfalls hinzuverdienen wollen, davon ausgenommen würden, meint auch Fuhlrott. Eine solche Regelung bedürfe eines sachlichen Grundes und müsse sehr gut begründet sein, etwa mit dem Ziel, die Erwerbstätigkeit Älterer zu fördern.

Ob dies vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte, sei offen. „Daher ist hier juristisch Vorsicht geboten“, mahnt der Rechtsexperte, auch wenn er die Schaffung der Aktivrente verfassungsrechtlich im Ergebnis für möglich halte.

Zweifel an Wirksamkeit der finanziellen Anreize

Schüler bezweifelt zudem die Wirksamkeit der finanziellen Anreize grundsätzlich. Mit der Aktivrente sei die Hoffnung verbunden, dass finanzielle Anreize die Erwerbstätigkeit im Alter erhöhen könnten. Wie hoch das finanzielle Aktivierungspotential tatsächlich sei, bleibe aber unklar. Studien zu den Gründen für Erwerbstätigkeit im Alter zeigten, dass weiche Faktoren wie Spaß an der Arbeit oder der soziale Austausch mit Kollegen für die Entscheidung, im Alter zu arbeiten, wichtiger seien als finanzielle Motive.

Des Weiteren warnt Schüler vor erheblichen Mitnahmeeffekten: Schon jetzt arbeiteten Personen neben dem Rentenbezug – ohne von einer Aktivrente zu profitieren oder davon motiviert zu werden. All diese Personen würden mit Einführung der Aktivrente von der Steuerfreiheit profitieren. Die entgangenen Steuereinnahmen dieser Personen stellten die sogenannten Mitnahmeeffekte dar.

Wenn der Renteneintritt durch die Aktivrente vorgezogen werde, müssten die Beitragszahler mehr Rentenansprüche finanzieren. Gleichzeitig entgingen dem Fiskus durch die Mitnahmeeffekte Steuereinnahmen. Zudem sei beabsichtigt, Aktivrentner von der Beitragspflicht zu Renten- und Arbeitslosenversicherung zu befreien. Das hinterlasse ein weiteres Loch in den Sozialkassen.

Gefahr des vorgezogenen Renteneintritts

Das Eckpunktepapier zur Aktivrente sehe vor, dass ausschließlich besonders langjährig Versicherten der Steuerfreibetrag gewährt werden solle, so Schüler weiter. Für diese Gruppe wäre die Aktivrente „eine große Einladung dazu, frühestmöglich die Altersrente zu beantragen“. Die Gefahr bestehe insbesondere, weil die Aktivrente auf den Wegfall der Hinzuverdienstgrenze im Jahr 2023 folge. Dieser Wegfall habe für langjährig und besonders langjährig Versicherte bereits dazu geführt, dass sie unbegrenzt neben der Rente hinzuverdienen könnten, ohne dass das Einkommen auf die Rente angerechnet werde.

Außerdem bezweifelt Schüler, dass die Aktivrente dort wirken würde, wo der Fachkräftemangel am größten ist. Tatsächlich arbeiteten besonders viele Rentner, die die Regelaltersgrenze erreicht hätten, im Berufsbereich Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung – also in einem Berufsbereich, der weniger stark körperliche Anforderungen stelle und in dem die Fachkräfteengpässe geringer ausfielen. In der Produktion und Fertigung, einem Berufsbereich mit stärkeren Engpässen, seien deutlich weniger Beschäftigte neben der Rente noch am Arbeitsmarkt aktiv.

Darüber hinaus verfügten Personen, die im Alter weiterarbeiteten, laut Schüler häufiger über einen höheren Bildungsabschluss als Personen, die das nicht täten. All diese Indizien ließen zweifeln, ob die Aktivrente tatsächlich an den Stellen ihre Wirkung entfalten würde, an denen es besonders notwendig wäre. Die Rentenexpertin mahnt: Ältere Bewerber hätten insgesamt größere Schwierigkeiten, einen Job zu finden, und würden gegenüber Jüngeren auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Auch litten sie häufiger unter Langzeitarbeitslosigkeit und gesundheitlichen Einschränkungen. Diese Probleme müssten zuerst angegangen werden.

Wechselseitiges Einverständnis

Unterdessen weist Fuhlrott darauf hin, dass die Inanspruchnahme der Aktivrente  wechselseitiges Einverständnis von Arbeitnehmer und Arbeitgeber voraussetzt. Keine Seite könne eine weitere Beschäftigung verlangen. Solange dies der Fall sei, sehe er in diesem Punkt keine weiteren arbeitsrechtlichen Regelungsbedarfe, sagt Fuhlrott.

Einen Regulierungsbedarf sieht der Rechtsexperte hingegen bezüglich des sogenannten Vorbeschäftigungsverbots. Das deutsche Arbeitsrecht verbietet es derzeit, Arbeitnehmer erneut bei einem vormaligen Arbeitgeber befristet einzustellen, wenn es keinen sachlichen Grund für die Befristung gibt. Das ist im Paragraf 14, Absatz 2, Seite 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) geregelt. Damit die Aktivrente funktionieren kann, werde der Gesetzgeber das Vorbeschäftigungsverbot abschaffen müssen, meint Fuhlrott. Dies sei „unproblematisch mit einer entsprechenden Anpassung des Gesetzes“ möglich.