Review-Prozess für Solvency II Versicherungsbranche: Regulierung darf nachhaltiges Engagement nicht abwürgen
Um das Risiko der Insolvenz eines Versicherers zu verringern, haben sich Europas Assekuranz-Aufsichtsbehörden einheitliche Kontrollen verordnet: Vor knapp acht Jahren ist die europäische Richtlinie 2009/138/EG vollständig in Kraft getreten. Das sogenannte Solvency-II-Regelwerk schreibt einerseits vor, die Solvenzrisiken der Unternehmen ganzheitlich zu betrachten. Andererseits sind die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten nicht mit historischen Buchwerten, sondern mithilfe aktueller Marktpreise zu bewerten.
Statt starre Vorgaben zu machen, gewährt Solvency II den Versicherern in der Europäischen Union aber auch mehr Freiheiten – beispielsweise bei ihrer Kapitalanlage. Voraussetzung für renditestarke Investments am Kapitalmarkt ist, dass sie die Risiken mit entsprechend Eigenkapital unterlegen können. Und bereits zum Start des neuen Aufsichts- und Stabilitätsregelwerks wurde fest vereinbart, die Wirkung der unterschiedlichen Regeln immer wieder zu prüfen und zu überarbeiten. Das ist der derzeit wieder laufende Review-Prozess für Solvency II.
Nachdem die EU-Kommission vor knapp zwei Jahren erste Vorschläge hierfür vorlegte, hat sich im Juli das Europäische Parlament auf Kompromisse für seine Änderungsanträge verständigt. Damit ist der Weg frei für die sogenannten Trilog-Verhandlungen. Hieran beteiligt sind denen neben der Brüsseler Kommission und Fachpolitiker unter den 705 Abgeordneten auch Vertreter der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Wenn alles nach Plan läuft, könnten sie den gemeinsam geführten Trilog-Prozess noch vor den Europa-Wahlen im Juni 2024 abschließen.
Kommission, Parlament, EU-Staaten
Zum aktuellen Start der Verhandlungen der EU-Institutionen über die europäischen Aufsichtsregeln für den Versicherungssektor betont Jörg Asmussen: „Solvency II hat sich seit seiner Einführung bewährt.“ Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hebt insbesondere die Chancen für den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft hervor. Er schränkt jedoch gleichzeitig ein: „Zu hohe Anforderungen lassen kaum Luft für Investitionen in die so wichtige Transformation.“
Auch für negative Zinsen gewappnet
Hallo, Herr Kaiser!
Der Trilog biete die Chance, den September 2021 vorgelegten Vorschlag der EU-Kommission gezielt zu verbessern. „Vor allem die Extrapolation und die Volatilitätsanpassung der Zinskurve“, so Asmussen. „Solvency II muss in jedem Zinsumfeld funktionieren, daher sind Anpassungen zur Berücksichtigung negativer Zinssätze, wie von der Kommission vorgeschlagen, grundsätzlich sinnvoll. Die Verschärfungen an der Extrapolation der risikofreien Zinsen schießen aber deutlich über das Ziel hinaus.“
Kleine Versicherer berücksichtigen
Enttäuscht zeigt sich die Berliner Dachorganisation mit rund 460 privaten Mitgliedsunternehmen auch vom neuen Rechtsrahmen für kleinere Versicherer. „Der Vorschlag der Kommission, Versicherern mit geringem Risikoprofil Erleichterungen zuzugestehen, ist ein richtiger Impuls”, sagt Asmussen. Allerdings seien die Kriterien, mit denen diese Versicherer bestimmt werden sollen, für größere Märkte viel zu restriktiv. „Wir erwarten, dass nur eine sehr kleine Zahl von deutschen Versicherern von diesen Erleichterungen profitieren wird.“
Doppelte Berichtspflichten vermeiden
Der GDV unterstützt dagegen den Vorschlag, dass für Unternehmen mit geringem Risiko erleichterte Berichtspflichten zum Thema Nachhaltigkeit gelten sollen. Es dürften in Solvency II aber keine Vorgaben gemacht werden, die bereits in anderen europäischen Initiativen verankert sind, wie zum Beispiel Transitionspläne. „Eine Doppelung von ganz ähnlichen Vorgaben in unterschiedlichen Regelwerken führt nur zu Verwirrung, unnötigem Zusatzaufwand und Bürokratie“, warnt Asmussen.
Insbesondere Versicherer mit weniger als 250 Beschäftigten sollten vereinfachte Berichtsstandards nutzen dürfen, fordert der GDV. Bislang gelten umfangreiche Pflichten für die Nachhaltigkeitsberichte aller europäischen Unternehmen, deren Bilanzsumme außerdem 20 Millionen Euro übersteigt und/oder die einen doppelt so hohen Nettoumsatz ausweisen. Die Folge: „Ein mittelständischer Versicherer mit regionalem Geschäft müsste die gleichen Berichtspflichten erfüllen wie ein globaler Konzern“, kritisierte Asmussen im Juli.