- Startseite
- Börsenwissen
-
Investieren: Warum die Angst vor Verlusten fatale Folgen hat

Wer hat sich nicht schon grün und blau geärgert, wenn versehentlich eine Tasse zu Bruch gegangen ist, ein Kleidungsstück in der Wäsche eingegangen ist oder man einen lieb gewonnen Gegenstand verlegt hat. Da kann es schon mal passieren, dass man Stunden mit suchen verbringt.
In den meisten Fällen geht es nur um geringe materielle Werte, trotzdem ärgern wir uns massiv. So massiv, dass es uns sogar von der Arbeit, dem Kontakt zu unseren Mitmenschen oder anderen wichtigen Aktivitäten abhalten kann.
Was sich hier nach einer Bagatelle anhört, ist beim Geldanlegen, Investieren und Handeln ein großes Problem:
Wir gewichten den Euro, den wir verlieren, höher als den Euro, den wir gewinnen.
Verlustaversion: Zeitverschwendung durch Trauer und Vermeidung
Wenn man realistisch den Wert des (geringfügigen) Verlustes vergleicht mit dem Wert des (möglicherweise erheblichen) Gewinns, der uns entgangen ist, weil wir unsere Zeit mit Suchen und Ärgern verschwendet haben, statt Geld zu verdienen, stellt man fest, dass wir uns damit irrational verhalten.
Daniel Kahneman hat dieses Phänomen zusammen mit dem Psychologen Amos Tversky erforscht und als „Verlustaversion“ bezeichnet. Es ist Teil der Prospect Theory wofür die beiden den Ökonomie-Nobelpreis bekommen haben.
Allgemein bedeutet Verlustaversion, dass man Verluste mental stärker gewichtet als entgangene Gewinne. Dies kann dazu führen, dass wir zu viel Zeit mit der Vermeidung von oder der Trauer über Verluste verbringen und zu wenig an künftigen Gewinnen arbeiten. Verhaltensökonomen gehen davon aus, dass wir Menschen einen Verlust doppelt so stark empfinden wie denselben Gewinn.
Fatale Folgen für Kauf- und Verkaufsentscheidungen
Damit hat Verlustaversion für uns Anleger fatale Folgen bei unseren Kauf- und Verkaufsentscheidungen. Manche investieren aus Angst vor Kursverlusten gar nicht oder zu wenig in Aktien, ETFs, Optionen und Futures, obwohl diese auch erheblich steigen können und dies auf längere Sicht auch sicher tun.
Ohne mentales Training werden Menschen kleine sichere Gewinne immer großen unsicheren Gewinnen vorziehen. Ade Homo oeconomicus, der Gewinne und Verluste gleich gewichten würde.
Zudem passiert es nachweislich (untrainierten) Privatanlegern, dass sie Verluste nicht realisieren in der Hoffnung, ein Wertpapier könnte in der Zukunft wieder steigen und Verluste könnten auf diese Weise wieder wettgemacht werden. Ein solches Verhalten kann dann nachteilig sein, wenn es am Markt viel bessere Anlagemöglichkeiten als das in der Verlustzone befindliche Wertpapier gibt. Durch diese Fehleinschätzung entstehen große Verluste. Als Reaktion weichen immer mehr Anleger und Investoren auf sichere Anlagen aus und reduzieren dadurch automatisch ihren Gewinn.
Steinzeitgehirn: Ressourcen schützen, um Risiken zu vermeiden
Letztlich spielt uns auch hier wieder unser steinzeitliches Gehirn eine Falle. Die frühen Menschen in der Savanne mussten mit sehr wenigen Ressourcen auskommen. Der Verlust von Fellen, Werkzeugen oder Jagdwaffen konnte sehr schnell gravierende, sogar tödliche Folgen für die Steinzeitherde haben. Also mussten unsere Vorfahren alles daransetzen ihre Ressourcen zu schützen und Risiken für sich selbst und ihre Mitmenschen in der Herde vermeiden und hatten keine Möglichkeit, ihre vorhandene Ausstattung für möglicherweise nur spekulative Gewinne an anderer Stelle einzutauschen.
Unsere Lebensbedingungen in der modernen, hochtechnisierten Zivilisation sind jedoch vollkommen anders. Unmittelbare Lebensgefahr droht uns nur sehr selten. Für große wirtschaftliche Risiken gibt es Absicherungsmöglichkeiten wie Versicherungen. Insofern haben wir viel bessere Voraussetzungen als unsere Vorfahren unsere Energien auf die Realisierung von Chancen zu fokussieren als auf die Abwehr von Gefahren und Verlusten.
Verlustaversion austricksen – so geht’s
Bei der Umsetzung von Anlagestrategien gibt es Möglichkeiten, die Folgen der Verlustaversion abzumildern, von denen hier drei ausgewählte genannt werden sollen.
- Zum einen bietet sich eine Anlage in breit diversifizierte, indexbasierte Instrumente wie ETFs auf Aktienindizes an. Damit reduziert man einerseits die Volatilität des eigenen Portfolios und vermeidet andererseits einen zu starken Fokus auf einzelne Positionen, die „schlecht gelaufen“ sind.
- Mit Sparplänen kann man den Cost-Average-Effekt nutzen und vermeiden, mit einer größeren Summe „zum falschen Zeitpunkt“ in den Markt eingestiegen zu sein und dadurch größere Verluste beklagen zu müssen.
- Es hilft, regelbasiert nach einem definierten System zu investieren und so auch von Abwärts- oder Seitwärtsphasen zu profitieren. Ein solches System kann zum Beispiel beinhalten, Analysen vor einer Investition durchzuführen, nach welchen Kriterien eine Anlage, beziehungsweise ein Handelssystem erfolgt. Das systematische Verfolgen des eigenen Systems schützt vor unüberlegten Impulshandlungen. Da uns dabei die tiefer legende Verlustaversion im Wege steht, muss man beides verstehen: sich selbst und die Marktzusammenhänge.
Bewusste Entscheidungen gegen emotionale Impulse
Die Verlustaversion in unserem Kopf völlig auszuschalten, ist ohne spezifisches Training unmöglich. Hilfreich ist es, sich ihrer Existenz bewusst zu sein. Das gibt uns die Möglichkeit, emotionalen Impulsen bewusste Entscheidungen entgegenzusetzen.
Aber das kann und muss man trainieren, will man ihr als Privatanleger nicht verfallen und teure Fehler machen.
Über die Autoren
Christoph D. Wahlen und Gösta Jamin sind Gründer der Finanzakademie – by Pro Coaching. In den vergangenen Jahrzehnten haben die beiden an der Börse selbst schmerzliche Erfahrungen mit Fehlern gemacht, die eigentlich vermeidbar gewesen wären.
In der Serie „Geld-Psychologie" schreiben sie über Fallen, die unser Gehirn uns stellt, um dir dabei zu helfen, sie aufzudecken und zu vermeiden. Mehr Infos und Weiterbildungsangebote findest du auf Finanzakademie – by PRO Coaching.