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Vermögensverwalter Thomas Wüst Renten-ETFs haben ersten Stresstest gut gemeistert

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Die aktuelle Situation bei der Preisbildung von Euro-Unternehmensanleihen kann man – zugegeben etwas pointiert – mit der Situation an den Immobilienmärkten vergleichen: So sind derzeit die geschätzten NAVs von Unternehmensanleihen-ETFs vergleichbar mit den Angebotspreisen von Immobilien auf Verhandlungsbasis im Anzeigenteil einer Zeitung, während ihre fortlaufenden Börsenkurse im übertragenen Sinne diejenigen Preise abbilden, zu dem die Immobilien tatsächlich gehandelt werden. Auch hier kommt es je nach Marktsituation mal zu höheren oder auch deutlich niedrigeren Preisen. Oder anders ausgedrückt: Der wahre Wert einer Anleihe zeigt sich immer erst, wenn sie tatsächlich gehandelt und nicht – wie häufig an der Börse derzeit der Fall – auf dem Kurszettel taxiert wird. Eine Erkenntnis, mit der versierte Immobilienanleger schon lange vertraut sind, die sich aber bei Kritikern von Bond-ETFs, die mit den derzeitigen Preisbildungsmechanismen nicht vertraut sind, in Zeiten einer Coronavirus-Dürre am Rentenmarkt erst noch durchsetzen muss.

Spannend ist derzeit der Blick in die USA. So beabsichtigt die US-Notenbank Fed im Rahmen ihres „Secondary Market Corporate Credit Facility“-Programms („SMCCF“) auch den Erwerb von Unternehmensanleihen-ETFs. Alleine diese Ankündigung hat dazu geführt, dass es in diesem Marksegment zwischenzeitlich wieder zu Aufschlägen des Börsenkurses gegenüber dem NAV von ETFs gekommen ist. Übrigens ein schönes Beispiel dafür, wie alleine die glaubhafte Ankündigung einer Notenbank für eine Beruhigung in einem Marktsegment führen kann.

Fed springt den Märkten bei

Erst im Nachhinein hat die Fed die Bedingungen für den Kauf von Renten-ETFs im Rahmen ihres Secondary Market Corporate Credit Facility-Programms („SMCCF“) bekanntgegeben: So wird sie unter anderem nur Renten-ETFS kaufen, wenn deren Börsenkurs ein Aufschlag von weniger als einem Prozent gegenüber dem NAV des Vortages aufweist. Mit solchen Einschränkungen nimmt sie den Fuß wieder etwas vom Gaspedal, hat sie einen Teil der gewünschten Wirkung bereits mit ihrer Ankündigung erzielt.

In der Phase mangelnder Liquidität waren die Börsenkurse der ETFs eine wichtige Orientierungsgröße für die Marktteilnehmer, um die aktuellen Preisentwicklungen beziehungsweise die Nachfrage-Angebots-Situation an den Märkten überhaupt einschätzen zu können. Zumal bei vielen Unternehmensanleihen im März überhaupt kein Handel stattfand – und wenn dann oftmals nur mit sehr geringem Volumen.

Dieses Phänomen lässt sich übrigens bis heute bei Euro-Unternehmensanleihen beobachten. Abweichungen zwischen dem NAV und dem Börsenkurs sind weniger ein Liquiditätsproblem der ETFs, sondern vielmehr ein Problem, das aus dem zugrundeliegenden Marktsegment und der unterschiedlichen Berechnungssystematik resultiert. In diesem Kontext haben Renten-ETFs ihren ersten richtigen Stresstest durchaus erfolgreich bestanden.


Über den Autor:
Thomas Wüst ist Geschäftsführer der Valorvest Vermögensverwaltung aus Stuttgart.


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