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Vers Leipzig: Personalengpass bei Versicherern voraus

Der deutschen Versicherungswirtschaft drohen erhebliche Personallücken – auch in strategisch wichtigen Unternehmensfunktionen. Diese Prognose stammt aus einer aktuellen Studie der auf die Versicherungswirtschaft fokussierten Beratungsfirma Vers Leipzig in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Roland Berger.
Die Zahlen, die Vers Leipzig ermittelt hat, sind alarmierend: Im Fünfjahreshorizont rechnen Versicherungsunternehmen mit einer Personallücke von mehr als 20 Prozent im Bereich Kapitalanlage. Die IT-Abteilungen werden voraussichtlich 9 Prozent weniger Personal haben, Bestands- und Schadenbearbeitung stehen vor Lücken von 9 beziehungsweise 3 Prozent.

Babyboomer hinterlassen schwer zu füllende Lücken
Vor allem der demografische Wandel trifft die Versicherungsbranche mit voller Wucht: In den kommenden fünf bis zehn Jahren werden zahlreiche Fachkräfte der Babyboomer-Generation in den Ruhestand treten. Gleichzeitig kann der Nachwuchs aus geburtenschwächeren Jahrgängen diese Lücke zahlenmäßig nicht schließen.
Besonders problematisch erweist sich das nach Einschätzung der befragten Entscheider in den Unternehmen in der Kapitalanlage und der IT, da hier viel mathematisches und technisches Know-how benötigt wird. Um entsprechend qualifizierte Mitarbeiter konkurriert die Versicherungsbranche bereits heute sowohl intern als auch mit anderen Industrien – ein Wettbewerb, der sich durch den generellen Fachkräftemangel zusätzlich verschärfen dürfte.
Laut der Vers-Leipzig-Studie sehen sich die Versicherer aktuell in ihren operativen Kernfunktionen noch gut aufgestellt, mit moderaten Lücken im niedrigen einstelligen Bereich. Allerdings wird erwartet, dass sich die Situation schon in naher Zukunft deutlich verschärft.
Personalbindung vor Technologie – bewährte Wege an der Grenze
Trotz der absehbaren Herausforderungen setzen knapp drei Viertel der befragten Versicherungsunternehmen vorrangig auf Personalbindungsmaßnahmen. Erst nach Bemühungen, vorhandene Mitarbeiter im Unternehmen zu halten, folgen der Einsatz von Technologie und Digitalisierung sowie die Rekrutierung neuer Mitarbeitender.
Dass Versicherer im Personalwesen in dieser Weise priorisieren, offenbart ein grundsätzliches Problem: Personalbindung und -gewinnung stoßen an ihre Grenzen, wenn es insgesamt zu wenig qualifizierte Fachkräfte gibt.
Fachbereiche und HR-Abteilungen sollten enger zusammenarbeiten, um in der gesamten Wertschöpfungskette zu definieren, welche Qualifikationen und neuen Kompetenzen tatsächlich benötigt werden, raten die Studienautoren. Dazu zähle auch der Umgang mit neuer Technologie. Ein systematischer Austausch dieser Art fehle in den meisten Unternehmen noch.
KI-Potenzial erkannt, aber Umsetzung zögerlich
Paradox erscheint der Umgang mit künstlicher Intelligenz: 60 Prozent der Befragten erwarten, dass KI künftig ein großes bis sehr großes Potenzial bieten wird, um dem demografischen Druck auf die Personalressourcen entgegenzuwirken. Vor allem in der IT, im Schaden- und Leistungsmanagement sowie in der Betriebs- und Bestandsverwaltung könnte sie eingesetzt werden, wird vermutet. Beim praktischen Einsatz von KI speziell auf diesem Gebiet sind die Versicherer indessen noch zurückhaltend.
Auffällig ist auch, dass gerade in der Kapitalanlage, wo die größte Personallücke absehbar erwartet wird, die Versicherer zum Befragungszeitpunkt keine wesentlichen Beiträge erkennen, die KI zur Lösung des Problems beisteuern könnte. Als Hauptgrund identifiziert die Studie den Mangel an praktischen Erfahrungen, etwa bei konkreten Anwendungsfällen und geeigneten Einsatzbereichen.
Effizienz vor Personalsteuerung
Statt künstliche Intelligenz in der Personalsteuerung einzusetzen, werden entsprechende Hilfen aktuell noch vor allem im Sinne allgemeinen Effizienzgewinns eingesetzt. Nur ein einziges der befragten Versicherungsunternehmen gibt an, die Verfügbarkeit von Personal bereits heute als zentrales Kriterium für die Auswahl von KI-Anwendungsfällen heranzuziehen.
Die meisten Unternehmen erproben KI dagegen noch in Pilotprojekten und setzen sie in strukturierter Weise eher punktuell ein, etwa im Schadenmanagement. Ein umfassendes KI-Konzept für die gesamte Wertschöpfungskette bleibt bei den befragten Versicherern die Ausnahme, stellen die Studienautoren fest. Entsprechend zurückhaltend und unsicher sind die Einschätzungen zur tatsächlichen Wirkung von KI auf altersbedingte Personalengpässe.
Über die Studie von Vers Leipzig und Roland Berger
Für die Untersuchung „Resilienz im Target Operating Model – Druck durch demografischen Wandel“ befragten die Studienautoren zwischen März und Juli 2024 Vorstände und verantwortliche Führungskräfte aus 25 Versicherungsunternehmen in persönlichen Interviews von jeweils etwa 60 Minuten.