BGH-Urteil
Vertrag storniert – was geschieht mit dem Provisionsvorschuss?
Viele Versicherungsvertreter glauben, dass sie unverdiente Provisionsvorschüsse nur dann zurückzahlen müssen, wenn der Versicherer sie zuvor über die Gefahr eines Vertragsstornos informiert hat. Es gibt allerdings Fälle, in denen das anders ist, sagt Rechtsanwalt Jens Reichow.
Versicherungberater und Kunde beim Vertragsabschluss: Ist die Freude der Berater zunächst groß, können Kunden die Verträge im Nachhinein auch wieder stornieren.| Foto: imago images/MASKOT
Nach dem Abschluss eines neuen Versicherungsvertrags ist die Freude des Versicherungsvertreters meistens groß. Nicht nur weil das Geschäft zustande kam, sondern auch wegen des Provisionsvorschusses, den der Versicherer regelmäßig für vermittelte Verträge zahlt. Was aber ist, wenn der Kunde den Vertrag vor Ende der Stornohaftungszeit beendet oder er keine weiteren Beiträge einzahlt? Häufig fordert der Versicherer in dem Fall die Provision zurück, also den im Nachhinein unverdienten Anteil des Provisionsvorschusses. Viele Versicherungsvertreter meinen, dass eine solche Rückforderung jedoch nur dann berechtigt ist, wenn der Versicherer ihnen vorab eine Stornogefahr mitgeteilt hat.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 2005 in einem Urteil unter dem Aktenzeichen VIII ZR 237/04 jedoch bereits entschieden, dass der Versicherer im Stornofall auswählen kann, wie er die Stornierung des Versicherungsvertrags zu verhindern versucht und wie er seine Nachbearbeitungspflicht gemäß Paragraf 87a Absatz...
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Nach dem Abschluss eines neuen Versicherungsvertrags ist die Freude des Versicherungsvertreters meistens groß. Nicht nur weil das Geschäft zustande kam, sondern auch wegen des Provisionsvorschusses, den der Versicherer regelmäßig für vermittelte Verträge zahlt. Was aber ist, wenn der Kunde den Vertrag vor Ende der Stornohaftungszeit beendet oder er keine weiteren Beiträge einzahlt? Häufig fordert der Versicherer in dem Fall die Provision zurück, also den im Nachhinein unverdienten Anteil des Provisionsvorschusses. Viele Versicherungsvertreter meinen, dass eine solche Rückforderung jedoch nur dann berechtigt ist, wenn der Versicherer ihnen vorab eine Stornogefahr mitgeteilt hat.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 2005 in einem Urteil unter dem Aktenzeichen VIII ZR 237/04 jedoch bereits entschieden, dass der Versicherer im Stornofall auswählen kann, wie er die Stornierung des Versicherungsvertrags zu verhindern versucht und wie er seine Nachbearbeitungspflicht gemäß Paragraf 87a Absatz 3 HGB (Handelsgesetzbuch) erfüllt. Dabei kann er entweder selbst Gegenmaßnahmen ergreifen oder dem Versicherungsvertreter eben eine Mitteilung über die Stornogefahr zukommen lassen. Der Versicherer ist folglich nicht verpflichtet, dem Vertreter eine Mitteilung zukommen zu lassen, vielmehr kann er wahlweise auch eigene Maßnahmen ergreifen.
Gerade nach Beendigung eines Handelsvertreterverhältnisses versenden Versicherer oft keine Mitteilung über die Stornogefahr, sondern entscheiden sich für eigene Maßnahmen der Nachbearbeitung. Versicherungsvertreter sollten im Stornofall daher zunächst Auskunft vom Versicherer verlangen, welche Maßnahmen dieser gegebenenfalls zur Rettung des notleidenden Vertrags ergriffen hat. Art und Umfang der Maßnahmen zur Nachbereitung, die der Versicherer zu ergreifen hat, richten sich jeweils nach den Maßnahmen, die der Versicherungsvertreter ergriffen hätte. Erst wenn ein Versicherungsvertreter über mögliche Maßnahmen des Versicherers im Bilde ist, kann er gegebenenfalls vom Versicherer erhobene Provisionsrückforderungen zurückweisen.
In der Praxis verweisen Versicherer häufig darauf, dass sie dem Kunden ein standardisiertes Mahnschreiben gesendet hätten. Ein solches Schreiben mit Zahlungsaufforderung entspricht jedoch in der Regel nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Nachbearbeitung notleidender Versicherungsverträge. Das hat der BGH mit Urteil vom 1. Dezember 2010 – Az. VIII ZR 310/09 – festgestellt. Als Begründung führt der BGH die Vermutung an, dass auch der Versicherungsvertreter mehr unternehmen würde als lediglich eine Zahlungsaufforderung an den Versicherungsnehmer zu versenden.
Umstritten ist allerdings, wie viel mehr ein Versicherungsvertreter tatsächlich unternommen hätte. Dem Oberlandesgericht Schleswig-Holstein reichte es beispielsweise aus, wenn der Versicherer mehrfach Mahnschreiben versendet hat, Urteil vom 4. März 2011 – Az. 14 U 86/10. Andere Instanzgerichte fordern hingegen eine persönliche Kontaktaufnahme (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24. Mai 2011 – Az. 8 U 158/08). Eine solche persönliche Kontaktaufnahme kann auch der Agenturnachfolger eines ausgeschiedenen Versicherungsvertreters übernehmen (BGH-Urteil vom 28. Juni 2012 – Az. VII ZR 130/11).
Auch ist zu beachten, dass in der Rechtsprechung weitere Fallgruppen existieren, in denen eine Nachbearbeitung des Versicherers entbehrlich ist. Werden beispielsweise Eigenverträge des Versicherungsvertreters oder naher Angehöriger notleidend, kann sich der Versicherungsvertreter in der Regel nicht auf die Einhaltung der Nachbearbeitungspflicht berufen. Denn als Versicherungsnehmer hat er in den Fällen bereits Kenntnis davon, dass keine Prämien mehr gezahlt werden. Könnte er sich dennoch auf eine mangelnde Nachbearbeitung berufen, würde das dem Gebot von Treu und Glauben gemäß Paragraf 242 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) widersprechen.
Nachbearbeitungen sind auch dann nicht erforderlich, wenn diese von Anfang an aussichtslos sind. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn der Versicherungsnehmer zahlungsunfähig ist. Umstritten ist eine Nacharbeitung dann, wenn der Versicherungsnehmer einen vertraglichen Widerruf geltend macht. Einige Gerichte sehen eine Nacharbeitung in solchen Fällen als aussichtslos an. Anders hingegen sah es aber das OLG München in seinem Urteil vom 23. März 2019 – Az. 7 U 618/18.
Über den Autor: Rechtsanwalt Jens Reichow, Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow, ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. Die Kanzlei bietet regelmäßig Veranstaltungen zu Themen des Versicherungs- und Vermittlerrechts an.
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