Fondsmanager befragt VW-Aktie im freien Fall: Warum Europas größter Autobauer abstürzt
Volkswagen war einst das Aushängeschild der deutschen Automobilindustrie. Doch nun befinden sich die Wolfsburger in einer tiefgreifenden Krise – wieder einmal. Die Aktie des Konzerns ist im bisherigen Jahresverlauf 2024 um mehr als 16 Prozent gefallen, was besonders bemerkenswert ist, da der Dax im gleichen Zeitraum um immerhin 2,3 Prozent zulegen konnte (Stand: 05. August, 09.30 Uhr).
In den vergangenen Tagen hat sich die Talfahrt des größten Autobauer Europas noch einmal dramatisch beschleunigt – Grund waren die schlechten Unternehmenszahlen, die das Team um Volkswagen-Chef Oliver Blume offenlegen musste. Im ersten Halbjahr 2024 sank der Gewinn nach Steuern um fast 14 Prozent auf 7,3 Milliarden Euro. Alarmierend ist der Rückgang der operativen Marge von 7,3 auf 6,3 Prozent. Finanzvorstand Arno Antlitz räumte ein, dass dies „für unsere Ansprüche zu wenig“ sei und kündigte an, dass das Unternehmen „in der zweiten Jahreshälfte und darüber hinaus kostenseitig erhebliche Anstrengungen unternehmen müsse“.
Volkswagen träumt von Margen über 6 Prozent
Die Probleme ziehen sich durch alle Kernmarken des Volkswagen-Konzerns. Audi und Porsche, traditionell die Ertragsperlen, mussten ihre Margenziele nach unten korrigieren. Bei der Kernmarke Volkswagen sank die Marge sogar auf 2,3 Prozent. Konzernchef Oliver Blume hat das ambitionierte Ziel ausgegeben, diese bis 2026 auf 6,5 Prozent zu steigern – ein Vorhaben, das angesichts der aktuellen Entwicklung höchst herausfordernd erscheint.
Ein zentrales Problem ist die schleppende Transformation zur Elektromobilität. In China, dem wichtigsten Automarkt weltweit, ist der Marktanteil von Volkswagen bei Elektrofahrzeugen auf etwa drei Prozent geschrumpft. Gleichzeitig brach der Absatz von Elektroautos in Europa und Amerika um gut 15 Prozent ein. Diese Zahlen offenbaren, dass Volkswagen Schwierigkeiten hat, im schnell wachsenden E-Auto-Segment mit Konkurrenten wie Tesla oder BYD mitzuhalten.
Ein weiterer Schwachpunkt in diesem Zusammenhang ist das Fehlen eines Elektroautos im Niedrigpreissegment. VW plant erst für 2027 einen Kleinelektrowagen für rund 20.000 Euro auf den Markt zu bringen – ein spätes Debüt in einem zunehmend umkämpften Marktsegment. Zudem kämpft der Konzern mit erheblichen Softwareproblemen. Im Bereich der digitalen Technologien, die für moderne Elektrofahrzeuge entscheidend sind, hat VW deutlichen Aufholbedarf gegenüber der Konkurrenz.
Die Transformation zur Elektromobilität stellt VW vor eine zusätzliche finanzielle Herausforderung: Der Konzern muss gleichzeitig Milliarden in die Entwicklung und Produktion von E-Autos investieren, während er weiterhin die Verbrennungsmotoren-Sparte am Laufen halten muss. Diese Doppelbelastung bindet enorme Ressourcen und belastet die Profitabilität.
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Governance wird zum Problem
Die Herausforderungen gehen über reine Verkaufszahlen hinaus. Volkswagen sieht sich zunehmend mit ESG-Bedenken konfrontiert. Ingo Speich von Deka Investment, ein renommierter Nachhaltigkeitsexperte, kritisierte in einem Interview mit der „Automobilwoche“ scharf die Governance-Strukturen bei Volkswagen. Er nannte konkret „die Interessenkonflikte von Herrn Pötsch, die mangelnde Expertise und Unabhängigkeit im Aufsichtsrat bis hin zur Doppelrolle von Herrn Blume“. Mitbewerber wie BMW und Mercedes seien in dieser Hinsicht deutlich besser aufgestellt, so Speich.
Die Governance-Probleme bei VW sind vielschichtig. Hans Dieter Pötsch ist sowohl Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG als auch Vorstandsvorsitzender der Porsche Automobil Holding, was zu potenziellen Interessenkonflikten führen kann. Zudem steht die Doppelrolle von Oliver Blume als Vorstandsvorsitzender sowohl der Volkswagen AG als auch der Porsche AG in der Kritik. Diese Verflechtungen und die wahrgenommene mangelnde Unabhängigkeit im Aufsichtsrat werfen Fragen zur Effektivität der Unternehmensführung auf.
Diese Governance-Probleme haben weitreichende Folgen. Speich erklärte, dass „Investitionen in Volkswagen derzeit nicht mehr möglich sind, wenn es um ausdrücklich nachhaltige Finanzprodukte geht“. Diese Einschätzung wird von anderen großen Fondsgesellschaften geteilt. Union Investment, die zweitgrößte deutsche Fondsgesellschaft, hat Volkswagen ebenfalls aus ihren nachhaltigen Anlageprodukten ausgeschlossen.