Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann
Die Zinserhöhungen der EZB kommen spät und dürften schnell vorbei sein
Daniel Hartmann ist Chefvolkswirt bei Bantleon. Foto: Bantleon
Es ist gar nicht so einfach, die aktuellen EZB-Aussagen zu steigenden Zinsen zu deuten. Wann steigen sie denn nun? Und welcher Leitzins wäre eigentlich wirklich angemessen? Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann erklärt die Lage.
In der Eurozone wird seit Jahren über zu niedrige Inflationsraten geklagt. Auch jetzt besteht nach Meinung der EZB noch eine negative Inflationslücke. In der Realität ist sie aber gar nicht mehr so gross. Im gesamten 1. Halbjahr 2018 lag die Inflationsrate immerhin bei durchschnittlich 1,5 Prozent – also lediglich ca. 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte unter dem Inflationsziel (»unter, aber nahe 2,0 Prozent«). Die Kerninflation (ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel) weist zwar ein noch tieferes Niveau aus (rund 1,0 Prozent). Hier gilt aber zu bedenken, dass die Kerninflation im historischen Mittel 0,4 Prozentpunkte unterhalb der Headline-Inflationsrate lag und somit seit Beginn der Währungsunion im...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
In der Eurozone wird seit Jahren über zu niedrige Inflationsraten geklagt. Auch jetzt besteht nach Meinung der EZB noch eine negative Inflationslücke. In der Realität ist sie aber gar nicht mehr so gross. Im gesamten 1. Halbjahr 2018 lag die Inflationsrate immerhin bei durchschnittlich 1,5 Prozent – also lediglich ca. 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte unter dem Inflationsziel (»unter, aber nahe 2,0 Prozent«). Die Kerninflation (ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel) weist zwar ein noch tieferes Niveau aus (rund 1,0 Prozent). Hier gilt aber zu bedenken, dass die Kerninflation im historischen Mittel 0,4 Prozentpunkte unterhalb der Headline-Inflationsrate lag und somit seit Beginn der Währungsunion im Durchschnitt gerade einmal 1,4 Prozent erreicht hat (vgl. Abb. 2). Berücksichtigt man dies, kann man sagen, dass die Inflation derzeit das Ziel um knapp einen halben Prozentpunkt verfehlt. Die negative Inflationslücke beträgt entsprechend 0,5 Prozent.
Die Abschätzung der Outputlücke ist ein komplexeres Unterfangen. Im Nachgang der schweren Finanz- und Eurokrise ist das tatsächliche Produktionsniveau zweifelsohne deutlich unter das Produktionspotential abgesackt. Mittlerweile sind aber fünf Jahre Aufschwung vergangen – entsprechend dürfte ein Grossteil der Produktionslücke geschlossen sein. Dafür sprechen auch andere Indikatoren (Lieferzeiten, Auftragsbestände), die bereits auf gut ausgelastete Kapazitäten hindeuten. Unsere eigene Schätzung geht inzwischen sogar von einer klar positiven Outputlücke aus (vgl. Abb. 3). Andere Berechnungen pendeln um null. Summa summarum dürfte die Outputlücke neutral auf den Taylor-Zins wirken.
Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man, wenn statt der Outputlücke die Arbeitslosenlücke berechnet wird. Auch am Arbeitsmarkt der Eurozone hat sich in den vergangenen fünf Jahren vieles zum Besseren gewendet. Die Arbeitslosenrate ist von 12,1 Prozent auf 8,3 Prozent gefallen und liegt damit inzwischen deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt (9,5 Prozent). Aufgrund der hohen strukturellen Arbeitslosigkeit sind viele Analysten der Meinung, dass in der Summe bereits Gleichgewicht an den Arbeitsmärkten der Eurozone herrscht. Mithin dürfte auch die Arbeitslosenlücke weitgehend geschlossen sein.
Am schwierigsten ist schliesslich die Quantifizierung des neutralen oder gleichgewichtigen Leitzinses. Auf diesem Niveau soll der Leitzins liegen, wenn sich die Wirtschaft im Gleichgewicht befindet – sprich das Inflationsziel erreicht ist und das Produktionsniveau dem Potential entspricht, also die Wirtschaft weder überhitzt noch unterausgelastet ist.
Über den Autor