Feri-Investmentchef Heinz-Werner Rapp
Fragilität der Euro-Zone als spieltheoretisches Problem
Aktualisiert am 25.10.2018 - 12:06 Uhr
Heinz-Werner Rapp: Der Vorstand und Chief Investment Officer (CIO) ist seit 1995 für das unabhängige deutsche Investmenthaus Feri tätig. Foto: Feri
Die Fragilität in der Eurozone nimmt zu – entsprechende Risiken werden jedoch nach wie vor unterschätzt. Traditionelle ökonomische und politische Analysen der aktuellen Situation reichen nicht aus, um die komplexe Dynamik innerhalb der Europäischen Währungsunion zu erfassen. Mit Ansätzen aus der Spieltheorie lassen sich die latenten Risiken eines „Euro Break Up“, also eines Zerfalls oder einer Auflösung, aus einem anderen Blickwinkel analysieren, überzeugend erklären und realistisch einschätzen.
Ob Brexit-Votum, Wahlergebnis in Italien oder Koalitionsstreit und „Kanzlerdämmerung“ in Deutschland – viele Entwicklungen der jüngsten Zeit in Europa kamen scheinbar überraschend: Zumindest wurden sie mit „normalen“ Analyseverfahren stark unterschätzt oder komplett übersehen.
Gemeinsame Schwäche: Stets wurde die Motivation und die Entschlossenheit wichtiger Akteure „ausgeblendet“ oder durch schlichte Fortschreibung vorheriger Muster ersetzt. Ein klarer Wechsel der Perspektive hätte in jedem dieser Fälle geholfen, mehr Klarheit und ein besseres Verständnis für die jeweilige Situation zu gewinnen – speziell mit Blick auf fundamentale Veränderungen oder sich abzeichnende Trendbrüche.
Verfahren...
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Ob Brexit-Votum, Wahlergebnis in Italien oder Koalitionsstreit und „Kanzlerdämmerung“ in Deutschland – viele Entwicklungen der jüngsten Zeit in Europa kamen scheinbar überraschend: Zumindest wurden sie mit „normalen“ Analyseverfahren stark unterschätzt oder komplett übersehen.
Gemeinsame Schwäche: Stets wurde die Motivation und die Entschlossenheit wichtiger Akteure „ausgeblendet“ oder durch schlichte Fortschreibung vorheriger Muster ersetzt. Ein klarer Wechsel der Perspektive hätte in jedem dieser Fälle geholfen, mehr Klarheit und ein besseres Verständnis für die jeweilige Situation zu gewinnen – speziell mit Blick auf fundamentale Veränderungen oder sich abzeichnende Trendbrüche.
Verfahren der Spieltheorie
Gute Ansatzpunkte für einen solchen Perspektivwechsel bieten Verfahren der Spieltheorie. Durch diese lassen sich sowohl die Motive, Anreizstrukturen und möglichen Verhaltensweisen unterschiedlicher Akteure als auch deren Rückkopplungen innerhalb eines dynamischen Systems sehr transparent modellieren, analysieren und interpretieren. Genau hier liegt die Verbindung zum aktuellen Bild der Europäischen Währungsunion (Economic and Monetary Union, EMU).
Die EMU hat, abseits der offiziellen, meist optimistischen politischen Verlautbarungen, ein zentrales Grundproblem: politische Motive und ökonomische Zwänge der einzelnen Mitgliedsstaaten erzeugen hinter den Kulissen ihre eigene – oftmals destruktive – Dynamik, die sich mit traditionellen ökonomischen Analysemethoden nicht ausreichend erfassen lässt. Als weiteres Problem kommt hinzu, dass viele Marktteilnehmer ihre Risikowahrnehmung stark eingeschränkt haben, seit die Europäische Zentralbank (EZB) – scheinbar – die unlimitierte Rettung der EMU garantiert.
Ökonomische Analysen
Diese Grundprobleme sowie deren komplexe und vielfach „abrupte“ Dynamik sind somit bei vielen Marktteilnehmern nicht (oder nicht mehr) auf dem „Radarschirm“; sie sind meist auch nicht Gegenstand typischer ökonomischer oder politischer Analysen zur Lage der EMU.
Mit Hilfe spieltheoretischer Modelle lassen sich solche Phänomene jedoch prinzipiell sehr gut analysieren und beschreiben. Die EMU wird dabei interpretiert als ein dynamisches System, dessen Zustand und weitere Entwicklung vom gegebenen „Spielfeld“, den geltenden „Spielregeln“ und den individuellen „Spielzügen“ der jeweiligen „Spieler“ beeinflusst und definiert wird.
Anreize für die Euroländer
Die jeweiligen Anreizsysteme der EMU-Länder (Spieler) werden in der Regel durch sehr einfache Vorteils- beziehungsweise Nachteils-Kalküle bestimmt:
- Solange die Teilnahme an der Währungsunion politische, finanzielle oder ökonomische Vorteile verspricht, die die damit verbundene Nachteile und Risiken überwiegen, hat ein Teilnehmerland starke Anreize für eine Mitgliedschaft.
- Sobald dieses Kalkül jedoch – für einen oder mehrere Teilnehmer – nicht mehr zutrifft, besteht ein Anreiz zum Verlassen oder zur Aufgabe des Systems. Der „Break Up“ des Systems ist dann oftmals nur eine Frage der Zeit.
Aus heutiger Sicht dürfte klar sein, dass das entsprechende Kalkül für einige EMU-Mitglieder unterschiedlich ausfällt. In schwachen Ländern wie etwa Italien wird die Vorteilhaftigkeit einer Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion bereits stark angezweifelt (vgl. Abb. 1)
Abb. 1: Skepsis in Italien hinsichtlich der Vorteilhaftigkeit der EMU
Ähnliche Zweifel über das jeweilige Kosten-/Nutzen-Kalkül bestehen aber auch in einigen starken Ländern wie Finnland, den Niederlanden oder Deutschland.
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