Commerzbank-Analyst Michael Schubert
EZB-Geldpolitik ohne Grenzen?
Michael Schubert, Analyst bei der Commerzbank Foto: Commerzbank
Wie allgemein erwartet hat der EuGH-Generalanwalt das Staatsanleihenkaufprogramm der EZB für rechtens erklärt. Die Beurteilung ist dennoch brisant. Denn in seiner ausführlichen Analyse räumt der Generalanwalt der EZB einen weiten Ermessensspielraum für die von ihr selbst festgelegten Grenzen ihrer Politik ein. De facto droht dadurch eine grenzenlose Politik.
Festhalten am Kapitalschlüssel?
In seinen Ausführungen wertet Generalanwalt Wathelet die Orientierung am Kapitalschlüssel, bei der es um die Aufteilung der Staatsanleihenkäufe auf die einzelnen Euro-Länder geht, mehrfach positiv. Die Verteilung der Ankäufe folge demnach „einem objektiven und von der Wirtschaftslage oder … Haushaltspolitik unabhängigen Kriterium“. „Folglich kann das PSPP nicht als ein Mechanismus aufgefasst werden, der geeignet ist, Staaten zu unterstützen, die sich in Finanzierungsschwierigkeiten befinden“, erklärt der Generalanwalt.7
Wathelets Ausführungen bedeuten aber wohl nicht, dass für ihn ein Festhalten am Kapitalschlüssel unverzichtbar...
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Festhalten am Kapitalschlüssel?
In seinen Ausführungen wertet Generalanwalt Wathelet die Orientierung am Kapitalschlüssel, bei der es um die Aufteilung der Staatsanleihenkäufe auf die einzelnen Euro-Länder geht, mehrfach positiv. Die Verteilung der Ankäufe folge demnach „einem objektiven und von der Wirtschaftslage oder … Haushaltspolitik unabhängigen Kriterium“. „Folglich kann das PSPP nicht als ein Mechanismus aufgefasst werden, der geeignet ist, Staaten zu unterstützen, die sich in Finanzierungsschwierigkeiten befinden“, erklärt der Generalanwalt.7
Wathelets Ausführungen bedeuten aber wohl nicht, dass für ihn ein Festhalten am Kapitalschlüssel unverzichtbar ist. Gemäß seiner Überzeugung, die EZB habe einen weiten Ermessensspielraum, würde der Generalanwalt bei zukünftigen Maßnahmen der EZB wohl auch ein anderes Kriterium für die Verteilung der Ankäufe akzeptieren, solange die EZB dessen Objektivität plausibel erläutern kann.
Eine ähnliche Überlegung gilt wohl auch in Bezug auf die Mindestbonität, die die EZB für Anleihen verlangt, damit diese im Rahmen der Kaufprogramme erworben werden können. Der Generalanwalt führt aus, dass eine Mindestbonität eine wichtige Garantie im Hinblick auf den Anreiz sei, „eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen. Wenn ein Emittent von Staatsanleihen nämlich keine gesunde Haushaltspolitik mehr verfolgt, laufen die begebenen Anleihen Gefahr, dieses Kreditqualitätsrating zu verlieren. Dieser Verlust hätte automatisch die Beendigung des Ankaufs dieser Anleihen zur Folge.“8 Der Generalanwalt bezieht aber keine Stellung, wie genau das Rating zu ermitteln ist, dass gerade noch mit einer „gesunden Haushaltspolitik“ kompatibel ist. Vermutlich ist Whatelet auch hier der Überzeugung, dass diese Analyse „nicht in die Fachkompetenz des Richters fällt“.
Wie genau folgen EuGH und BVerfG dem Generalanwalt?
Unmittelbare Auswirkungen der Schlussanträge des Generalanwalts auf die Geldpolitik erwarten wir nicht. Schließlich hat eine ganze Reihe von EZB-Ratsmitgliedern signalisiert, dass die Notenbank die Nettoanleihenkäufe nur im Fall eines „schweren Schocks“ über das Jahresende hinaus fortsetzen wird. Darunter befanden sich auch einige „Tauben“, d.h. Ratsmitglieder, die sonst für eine sehr expansive Ausrichtung der Geldpolitik eintreten.
Außerdem wäre es aus Sicht der EZB riskant, sich nur auf die Auffassung des Generalanwalts zu verlassen. Es ist zwar wahrscheinlich, dass sich der EuGH im Resultat der Auffassung von Wathelet anschließt, das Staatsanleihenkaufprogramm also für rechtens erklärt. Weniger klar ist allerdings, ob der EuGH auch bei jedem Argument dem Generalanwalt folgt. Es ist zumindest möglich, dass der EuGH den Spielraum der EZB, zum Beispiel die Ankaufsobergrenze nach oben anzupassen, als begrenzter ansieht. Dies dürfte noch stärker in Bezug auf das BVerfG gelten. Zwar dürfte das deutsche Gericht – ähnlich wie im Urteil zum früheren Kaufprogramm OMT – dem EuGH-Urteil nicht offen widersprechen. Aber schon damals hatte das BVerfG einmal gesetzte Grenzen der EZB als verbindlich angesehen.9
Dem Vernehmen nach ist mit einem Urteil des EuGH in diesem oder dem folgenden Quartal zu rechnen. Beim letzten Fall zum früheren Kaufprogramm OMT verging bis zu der Entscheidung des BVerfG noch einmal rund ein Jahr. Da das BVerfG bei der Bitte um Beurteilung durch den EuGH im August 2017 die Durchführung des beschleunigten Verfahrens beantragt hatte, „weil die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert“, rechnen wir allerdings nun mit einer kürzeren Zeitspanne.
7 Schlussanträge des Generalanwalts, Randnummer 88. Nicht ganz nachvollziehen können wir allerdings, warum der Generalanwalt betont, dass im Gegensatz zum 2012 avisierten, aber letztlich nie eingesetzten OMT‑Programm das PSPP keinen selektiven, sondern einen für alle Mitgliedstaaten der Eurozone repräsentativen Ankauf von Anleihen vorsieht. Schließlich hat der EuGH geurteilt, dass das OMT aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist. Ist das OMT rechtlich zulässig, das aktuelle Staatsanleihenkaufprogramm aber sogar rechtlich zulässiger?
8 Schlussanträge des Generalanwalts, Randnummer 87.
9 Prinzipiell ist eine Entscheidung des BVerfG gegen die Auffassung des EuGH möglich. Ein solches letztes Entscheidungsrecht hat das BVerfG, da das Europarecht in Deutschland nicht etwa deswegen verbindlich ist, weil europäische Organe es beschlossen haben. Vielmehr entscheidet stets das deutsche Parlament – mit verfassungsändernder Mehrheit – über die Verbindlichkeit in Deutschland. Der EuGH klärt folglich nur die europarechtliche Frage, gibt dann den europarechtlich geklärten Beschluss an das BVerfG zurück. Dieses entscheidet dann die Verfassungsfrage. Vgl. hierzu „Den anderen achten“, von Paul Kirchhof, Bundesverfassungsrichter a.D., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.3.2014.
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