Ralph Solveen und Christoph Weil zu den Europawahlen 2019
Schicksalstag für Europa
Christoph Weil und Ralph Solveen, leitende Volkswirte bei der Commerzbank Foto: Commerzbank
Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 dürften die EU-kritischen Parteien auf Kosten der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokraten deutlich zulegen. Gemeinsame Lösungen werden damit nicht wahrscheinlicher.
Trotzdem dürften die Europa-Wahlen das Parlament verändern, das zwar immer noch nicht so viel Macht hat wie ein nationales Parlament, dessen Bedeutung in den vergangenen Jahren aber stetig zugenommen hat (siehe Kasten). Denn in Zukunft werden sich voraussichtlich mindestens drei der großen EU-freundlichen Fraktionen verständigen müssen, um eine Mehrheit im Parlament zu garantieren. Bisher reichte hierzu eine Verständigung zwischen EVP und Sozialdemokraten aus. Damit wird im Europa-Parlament das gleiche passieren, was in vielen nationalen Parlamenten zu beobachten ist: Wegen des Erstarkens der politischen Ränder müssen sich immer mehr Parteien der Mitte zusammenschließen, um eine Mehrheit zu organisieren....
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Trotzdem dürften die Europa-Wahlen das Parlament verändern, das zwar immer noch nicht so viel Macht hat wie ein nationales Parlament, dessen Bedeutung in den vergangenen Jahren aber stetig zugenommen hat (siehe Kasten). Denn in Zukunft werden sich voraussichtlich mindestens drei der großen EU-freundlichen Fraktionen verständigen müssen, um eine Mehrheit im Parlament zu garantieren. Bisher reichte hierzu eine Verständigung zwischen EVP und Sozialdemokraten aus. Damit wird im Europa-Parlament das gleiche passieren, was in vielen nationalen Parlamenten zu beobachten ist: Wegen des Erstarkens der politischen Ränder müssen sich immer mehr Parteien der Mitte zusammenschließen, um eine Mehrheit zu organisieren. Der dabei unumgängliche Streit und die dann gefundenen mühsamen Kompromisse kommen dann wiederum tendenziell den radikaleren Parteien zu Gute.
… zum ersten Mal bei Wahl des Präsidenten der EU-Kommission
Zum ersten Mal werden sich diese geänderten Mehrheitsverhältnisse bei der Wahl des neuen Kommissionspräsidenten bemerkbar machen. Dieser wird zwar vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit vorgeschlagen, muss dann aber – wie danach auch die gesamte Kommission – von der Mehrheit des Parlaments bestätigt werden. Wie stark die Position des Parlaments hierbei ist, hat sich bei der vergangenen Wahl gezeigt. Damals hatten sich EVP und Sozialdemokraten darauf verständigt, den Kandidaten der stärksten Partei gemeinsam zu unterstützen, wodurch am Ende der Spitzenkandidat der EVP, Jean-Claude Juncker gegen den Widerstand mancher nationaler Regierung Kommissionspräsidenten wurde.
Eine ähnliche Absprache hat es dieses Mal bisher nicht gegeben, zumal EVP und Sozial-demokraten wohl auch kaum erneut in der Lage sein werden, dieses alleine unter sich auszumachen. Allerdings haben beide Parteien wieder jeweils einen Spitzenkandidaten nominiert, der im Falle eines Wahlsiegs auch Präsident der Kommission werden soll. Auch die Grünen und große Teile der ALDE unterstützen grundsätzlich das Spitzenkandidatenmodell. Letztere hat sich wohl allein deshalb noch nicht eindeutig für diesen Modus ausgesprochen, weil sie hofft, die französische Regierungspartei für ihre Fraktion zu gewinnen. Denn Frankreichs Präsident Macron lehnt das Spitzenkandidatenmodell vehement ab. Am Ende spricht aber vieles dafür, dass einer der Spitzenkandidaten der großen politischen Gruppierungen der neue Kommissionspräsident wird. Denn das Parlament wird sich dieses hart erkämpfte Recht nicht nehmen lassen, da hierdurch die Bedeutung der Europa-Wahl und damit auch des Parlaments erhöht wurde. Und eine Abkehr von diesem Modell stände sicherlich auch im Widerspruch zu der immer wieder von allen Seiten erhobenen Forderung nach einer „demokratischeren“ EU.
Damit hat der Spitzenkandidat der EVP, der CSU-Politiker Manfred Weber, weiterhin die besten Chancen, neuer Kommissionspräsident zu werden. Denn durch das Erstarken der politischen Ränder kann das etablierte Lager gegen die EVP keine Mehrheiten im neuen EU-Parlament organisieren (Grafik 3).
Größter Einfluss über nationale Politik?
Insgesamt mag das sich abzeichnende Erstarken der EU-Kritiker somit zwar Sand in das Brüsseler Getriebe streuen. Den größeren Einfluss auf die weitere Entwicklung der EU und die in den nächsten Jahren zu fällenden grundlegenden Entscheidungen über eine tiefere Integration insbesondere des Euroraums (eigener Haushalt für den Euroraum, Einführung einer Euro-weiten Arbeitslosenversicherung, eine gemeinsame Einlagensicherung oder eine gemeinsame Schuldenaufnahme der Euro-Länder) wird sie aber eher indirekt haben, nämlich über ihren Einfluss auf die nationale Politik. Denn über diese Projekte wird nicht das EU-Parlament entscheiden, sondern der Europäische Rat und damit die nationalen Regierungen. Und hier dürften sich die von EU-kritischen und nationalistischen Parteien geführten Regierungen durch die Wahlergebnisse eher bestärkt fühlen, und die anderen, eher EU-freundlich eingestellten Regierungen werden sich infolge des Wahlergebnisses zunehmendem Druck ausgesetzt sehen, nationale Interessen noch mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Damit dürften Kompromisse auf europäischer Ebene noch schwieriger werden.
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