Ifo-Volkswirte Maximilian Blömer, Clemens Fuest und Andreas Peichl
Gegenvorschlag in der Hartz-IV-Reformdebatte
Von links: Maximilian Blömer, Ifo-Zentrum für Makroökonomik und Befragungen; Andreas Peichl, Ifo-Zentrum für Makroökonomik und Befragungen; Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts in München. Foto: Ifo-Institut
Die aktuellen Sozialgesetze sehen unterschiedliche Transferzahlungen vor, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Das führe zu unerwünschten Folgen, kritisieren Maximilian Blömer, Clemens Fuest und Andreas Peichl. Die Ifo-Volkswirte präsentieren einen eigenen Reformentwurf.
Arbeitsanreize nicht einschränken
Zweitens wurde mit der Einführung von ALG II bewusst die Leistungshöhe unabhängig von vorherigen Einkünften gestaltet. Hier ging es darum zu verhindern, dass dauerhafte Transferleistungen an Empfänger mit ehemals höheren Einkommen die Arbeitsanreize stark einschränken. Dies sollte so beibehalten werden.
Der dritte Punkt, die hohen Transferentzugsraten und die damit verbundenen Fehlanreize, stehen im Mittelpunkt des Ifo-Reformvorschlags. Da eine Besserstellung aller Haushalte im Vergleich zum Status quo nur mit erheblichen Mehrkosten möglich ist (siehe zum Beispiel Blömer und Peichl 2018), der Ifo-Vorschlag jedoch aufkommensneutral ausgelegt...
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Arbeitsanreize nicht einschränken
Zweitens wurde mit der Einführung von ALG II bewusst die Leistungshöhe unabhängig von vorherigen Einkünften gestaltet. Hier ging es darum zu verhindern, dass dauerhafte Transferleistungen an Empfänger mit ehemals höheren Einkommen die Arbeitsanreize stark einschränken. Dies sollte so beibehalten werden.
Der dritte Punkt, die hohen Transferentzugsraten und die damit verbundenen Fehlanreize, stehen im Mittelpunkt des Ifo-Reformvorschlags. Da eine Besserstellung aller Haushalte im Vergleich zum Status quo nur mit erheblichen Mehrkosten möglich ist (siehe zum Beispiel Blömer und Peichl 2018), der Ifo-Vorschlag jedoch aufkommensneutral ausgelegt ist, wird es Gewinner und Verlierer einer solchen Reform geben.
In unserem Vorschlag werden Bedarfsgemeinschaften mit Kindern tendenziell bessergestellt als Bedarfsgemeinschaften ohne Kinder. Letztere können einfacher ihr Arbeitsangebot ausweiten und so durch Mehrarbeit die Einkommensverluste kompensieren, die sich im statischen Fall ohne Verhaltensanpassung ergeben würden. Konkret fällt für Bedarfsgemeinschaften ohne Kinder der durch die derzeitigen Hinzuverdienstregelungen festgelegte Freibetrag in Höhe von 100 Euro pro Monat weg.
Höhere Fixkosten der Arbeitsaufnahme
Haushalte mit Kindern erhalten weiterhin die Möglichkeit, die ersten 100 Euro anrechnungsfrei hinzu zu verdienen, da diese Haushalte über höhere Fixkosten der Arbeitsaufnahme verfügen. In Anlehnung an verschiedene Vorschläge (untersucht zum Beispiel in Peichl et al. 2011 und Blömer und Peichl 2019), keinen anrechnungsfreien Hinzuverdienst bei Kleinst- und Minijobs zuzulassen, sieht der Ifo-Vorschlag für Haushalte ohne Kinder eine Grenzbelastung von 100 Prozent bis zu einer Grenze von 630 Euro/Monat vor.3
Für Beschäftigungen über diese Grenze gilt in beiden Varianten ein anrechnungsfreier Hinzuverdienst von 40 Prozent, das heißt eine Grenzbelastung von 60 Prozent. Für Haushalte mit Kindern modelliert der Ifo-Vorschlag ab 100 Euro eine Grenzbelastung von 80 Prozent, statt 100 Prozent, bis zu einer Grenze von individuell 630 Euro pro Monat. Darüber hinausgehende Hinzuverdienste unterliegen ebenfalls einer Grenzbelastung von 60 Prozent.
Viertens gehen von der Höhe des Schonvermögens ebenfalls Anreizwirkungen aus. Aus der Perspektive des Subsidiaritätsprinzips ist es richtig, dass jedermann zunächst eigene Mittel einsetzt, bevor Hilfen des Staates beansprucht werden. Eine volle Vermögensanrechnung untergräbt aber Anreize zur Vorsorge. In dieser Abwägung schlagen wir vor, die Höhe des Schonvermögens zusätzlich an die Erwerbsbiographie zu binden. Das kommt nicht nur denen entgegen, die es als unfair ansehen, wenn Transferempfängern, die nie gearbeitet haben, das gleiche Schonvermögen gewährt wird wie Empfängern, die viele Jahre gearbeitet haben. Es kommt hinzu, dass diese Bindung die Arbeitsanreize stärkt.
Anreize zur Vorsorge setzen
Der fünfte Punkt betrifft die Frage, ob Leistungskürzungen bei tatsächlich oder vermeintlich fehlender Bemühung des Transferempfängers, eigenes Einkommen zu erzielen, gerechtfertigt sind. Aus der Sicht der Steuerzahler, die die Transferleistungen finanzieren, ist die Sanktionierung mangelnder Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme bei den Empfängern ein wichtiger Aspekt der Fairness des Gesamtsystems („Solidarität ist keine Einbahnstraße“). Ob Sanktionen in den richtigen Fällen verhängt werden und ob sie Verhaltensänderungen bei den Sanktionierten verursachen, ist eine empirische Frage.4 Wir bewerten das Sanktionssystem im Rahmen unseres Reformvorschlags nicht.
Sechstens wird Hartz IV wegen der damit verbundenen Stigmatisierung der Empfänger kritisiert. In der Tat sollten die Leistungen administrativ so gestaltet werden, dass eine Stigmatisierung möglichst vermieden wird. Wünschenswert in diesem Zusammenhang ist auch eine weitere Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und Verknüpfung der Daten aus unterschiedlichen Ämtern und Registern (vgl. Nationaler Normenkontrollrat 2017). Dies könnte schließlich zu einer automatischen Auszahlung der Ansprüche an alle Berechtigte führen (siehe zum Beispiel Blömer und Peichl 2018). Öffentlich zu erklären, der Empfang dieser
Transferleistungen sei ein Makel, steigert die gesellschaftliche Stigmatisierung allerdings.
Siebtens ist das deutsche Sozialsystem insgesamt zu kompliziert und teilweise inkonsistent. Derzeit gibt es in Deutschland eine Vielzahl von Behörden, die mehr als 150 steuer- und beitragsfinanzierte Sozialleistungen verwalten. Ein Grund für die Grenzsteuersatzverläufe von teilweise über 100 Prozent (vgl. Bruckmeier, Mühlhan und Peichl 2018) ist auch, dass ALG II, Wohngeld und Kinderzuschlag – aufgrund der jeweiligen Zuständigkeit von drei Ministerien – nicht aufeinander abgestimmt sind. Hier sind weitere Reformen dringend notwendig. In unserem Vorschlag adressieren wir dieses Problem nur insofern, indem wir Wohngeld und Kinderzuschläge mit den Hartz-IV-Leistungen zusammenfassen.
3 Das entspricht dem Einkommen, das sich bei einer Beschäftigung von zwei Tagen (16 Stunden) pro Woche und 4,28 Wochen pro Monat zum Mindestlohn in Höhe von 9,19 Euro pro Stunde ergibt.
4 Beispielsweise dokumentieren van den Berg, Uhlendorff und Wolff (2017) einen positiven Effekt der Sanktionen auf die Wiederbeschäftigungswahrscheinlichkeit, der aber auch mit niedrigeren Löhnen einhergehen kann. Die Härte der Sanktionen in Deutschland liegt im OECD-Mittelfeld (vgl. Immervoll und Knotz 2018).
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