Von der Ohnmacht zur Obsoleszenz
Die ungewisse Zukunft der WTO

Von der Ohnmacht zur Obsoleszenz
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Unternehmen, Kapitalmärkte, Gesetzgeber. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die Analysen und Thesen der bedeutendsten Nachhaltigkeitsexperten, Top-Ökonomen und Großinvestoren – gebündelt und übersichtlich. Sie sollen dir die wichtigen Entwicklungen auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft und Finanzwelt clever und zuweilen kontrovers aufzeigen.
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ie handelspolitischen Äußerungen des US-Präsidenten Donald Trump wurden häufig dahingehend interpretiert, dass sie einen Angriff auf die multilaterale Handelsordnung, für die die Welthandelsorganisation (WTO) seit ihrem Bestehen eintritt, darstellen. Wenngleich Art und Umfang der Kritik neu sind, ist sie inhaltlich nicht allzu weit davon entfernt, was schon die Obama-Regierung monierte. Dies betrifft insbesondere, aber nicht ausschließlich den Schutz geistigen Eigentums. Die USA genießen auch kein Monopol darauf, was den Vorzug bilateraler Abkommen gegenüber dem multilateralen WTO-Forum anbelangt.
Cherry-Picking im Welthandel
Denn auch die EU scheint zur Überzeugung gelangt zu sein, dass der multilaterale Ansatz der WTO mindestens ergänzungsbedürftig sei. Anders ist der besondere Fokus der EU-Handelspolitik der letzten Jahre auf bilaterale Handelsabkommen nicht zu erklären. Auch die Bundesregierung ist laut aktuellem Koalitionsvertrag der Auffassung, „dass bilateralen und plurilateralen Abkommen eine entscheidende Bedeutung für eine aktive Gestaltung der Globalisierung zukommt.“1
Angesichts des Scheiterns der letzten großen Verhandlungsrunde unter dem Dach der WTO (Doha-Runde) und des damit verbundenen Stillstands einer weiteren globalen Handelsliberalisierung ist diese Haltung nachvollziehbar. Doch auch sie begünstigt letztlich die Marginalisierung der WTO und setzt auch die EU dem Verdacht aus, sich Vorteile in bilateralen Verhandlungen zu verschaffen. Einerseits will die EU – ähnlich vielen Schwellen- und Entwicklungsländern und entgegen den USA – keine weitergehende Liberalisierung der Agrarmärkte. Die Folge sind beispielsweise 70 Prozent Einfuhrzoll auf Rindfleisch oder 26 Prozent auf Schweinefleisch. Die europäischen Verbraucher bezahlen diesen Protektionismus in Form von Lebensmittelpreisen, die 17 Prozent über dem Weltmarktniveau liegen.2 Besonders davon betroffen sind indes ärmere Haushalte, da diese einen höheren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel verwenden als wohlhabendere.
Andererseits kommt auch der EU in bilateralen Verhandlungen eine ungleich größere Verhandlungsmacht zu, als es in jedem multilateralen Forum der Fall wäre. Mit gleichem Ansinnen rechtfertigte die US-Administration ja auch ganz offen ihren Politikwechsel von plurilateralen Abkommen, zum Beispiel im Rahmen der Transpacific Partnership (TPP), hin zu bilateralen »Deals«, wie sie jüngst mit Südkorea erzielt wurden.3
Die angedachten Vergeltungsmaßnahmen der EU auf US-Stahlzölle werfen zudem die Frage auf, ob die EU willens ist, WTO-rechtskonform zu reagieren und den zweifelsfrei mühsamen Weg durch die WTO-Schiedsgerichte zu gehen, oder ob sie letztlich mit gleicher Münze heimzahlen will. Auch reizt die EU den rechtlichen Rahmen für Antidumping-Maßnahmen, vor allem gegenüber China, bis an die Grenze dessen aus, was rechtlich argumentierbar ist; damit setzt sie sich zu Recht dem Vorwurf des Protektionismus aus.
Mit einer Fortführung dieser Politik machte sich die EU (unfreiwillig?) zum Erfüllungsgehilfen der Totengräber der regelbasierten Welthandelsordnung, die zu verteidigen sie sich zumindest öffentlich seit jeher anschickt.
1 Koalitionsvertrag 2018.
2 Die Zahl stammt vom britischen Institute for Economic Affairs,
die im Jahr 2013 eine solche Berechnung durchgeführt hat (vgl. Niemietz
2013).
3 Zum US-Korea-Deal über Stahl siehe beispielsweise Schott und Lu
(2018).
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