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Aktualisiert am 14.02.2019 - 11:28 UhrLesedauer: 5 Minuten
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Vor der Brexit-Abstimmung im britischen Unterhaus Kleinere FTSE-250-Unternehmen besonders anfällig

Thomas Kruse, Investmentchef von Amundi Deutschland

Der britischen Regierungschefin Theresa May läuft die Zeit davon: Die Parlamentarier in London haben mit 308 zu 297 Stimmen am Mittwoch, 9. Januar beschlossen, dass die Regierung innerhalb von drei Sitzungstagen einen Plan B vorlegen muss, sollte Mays Brexit-Vertrag mit der Europäischen Union bei der Parlaments-Abstimmung am kommenden Dienstag, 15. Januar, abgelehnt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Vertragswerk bei den Parlamentariern durchfällt, ist sehr hoch. Bislang war vorgesehen, dass die Regierung drei Wochen Zeit für die Ausarbeitung eines Planes B hat.

Großbritannien scheidet voraussichtlich am 29. März 2019 aus der Europäischen Union aus. Sollte bis zu diesem Datum kein Abkommen mit Brüssel unter Dach und Fach sein, droht dem Land ein chaotischer Brexit mit unangenehmen Folgen für die Wirtschaft und weitere Lebensbereiche. Kommt es zu einem geregelten Austritt, würde sich in einer Übergangsphase bis mindestens Ende 2020 praktisch nichts ändern.

Der Nachrichtenfluss zur diffizilen Brexit-Lage hat sich seit Bekanntwerden des zwischen Großbritannien und der EU ausgehandelten Abkommens vom 25. November 2018 nochmals verstärkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Vereinigte Königreich auch nach März 2019 in der EU bleibt, hat sich zuletzt zwar leicht erhöht. Dennoch geht die Unsicherheit, wie und ob der Brexit stattfinden wird, wöchentlich und sogar täglich in eine neue Runde.

Unsere Einschätzung zum Markt

Angesichts des Polit-Durcheinanders üben sich die Finanzmarktteilnehmer mit Blick auf Großbritannien derzeit in einer abwartenden Haltung. Absehbar ist: Weil die Unsicherheit hinsichtlich der Brexit-Ergebnisse nach wie vor hoch ist, wird das Pfund Sterling wahrscheinlich weiterhin unter Druck bleiben.

Zur Duration bei festverzinslichen Wertpapieren nehmen wir eine neutrale Position ein, denn zwei entgegengesetzte Kräfte sind hier im Spiel: Zum einen die überhöhte Bewertung der 10-jährigen realen Renditen und zum anderen die Abwärtsrevision der Aussichten für das Wirtschaftswachstum; die Bank of England sieht sich dadurch zu einer lockeren Geldpolitik gedrängt. Unserer Einschätzung nach bietet in der aktuellen Lage die Marktvolatilität Chancen für aktive Manager. Hierbei gilt: Alle Positionen müssen aktiv verwaltet und gegebenenfalls aufgelöst werden – entsprechend den künftigen Entwicklungen in der Brexit-Debatte, die sich nach dem 15. Januar ergeben.

Welche Szenarien sind zu erwarten?

Wir sehen eine Chance von 60 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass es innerhalb der vorgesehenen Frist zum ausgehandelten Brexit-Deal kommt. Das Vereinigte Königreich würde damit am 29. März 2019 aus der Europäischen Union austreten. In einer vorgesehenen Übergangsphase kann das Land zumindest bis Ende 2020 im europäischen Binnenmarkt verbleiben. Anleger sollten sich aber darauf einstellen, dass es weiterhin hin und her gehen kann. Es könnte durchaus sehr schnell zu politischen Krisen und Neuwahlen kommen. Der Deal mit der EU könnte ab dem Frühjahr auch ähnlich dem Abkommen ausgestaltet werden, das Brüssel mit Norwegen getroffen hat. Denkbar ist eine Version „Norwegen+“, die eine Zollunion beeinhaltet. Sie würde insbesondere dann auf den Tisch kommen, wenn es zu Neuwahlen kommt und eine neue parlamentarische Mehrheit die künftige britische Regierung stützt.

Mit einer Wahrscheinlichkeit von 15 Prozent erwarten wir ein No-Deal-Szenario. Dabei würde das Vereinigte Königreich im März 2019 ohne eine Binnenmarktregelung die EU verlassen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Handelsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU dann ausschließlich den WTO-Regeln unterliegen werden; das ist eher unwahrscheinlich. Wir gehen davon aus, dass sämtliche Möglichkeiten, die die WTO für Spezialfälle und Ausnahmen vorsieht, genutzt werden – sowohl bilateral als auch gegenüber der WTO. Wir erwarten, dass auch unter einem „No-Deal“-Szenario zumindest vorübergehend Maßnahmen vereinbart werden, um den Bau einer „harten Grenze“ in Irland zu vermeiden, weil dieser Schritt in Großbritannien und Irland auf große Widerstände stoßen würde.

Mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 25 Prozent rechnen wir mit einer noch länger anhaltenden Unsicherheit. In diesem Fall würde das Vereinigte Königreich weit über März 2019 hinaus in der EU verbleiben. Dieser Fall würde jedoch nur dann eintreten, wenn es zum einen zu Neuwahlen kommt, die nicht unmittelbar von einem Deal gefolgt werden, oder zum anderen ein neues Referendum auf den Weg gebracht wird.

Marktreaktionen auf die möglichen Szenarien

Ein kritischer Moment steht am 21. Januar bevor: Die Regierung hat angekündigt, eine Erklärung zu ihren Absichten abgeben zu wollen. Sollte Premierministerin May damit drohen, zurückzutreten und damit den Weg für eine Neuwahl des Parlaments freizumachen, könnte sich diese Strategie als extrem risikoreich erweisen, denn in der Neuwahl könnte es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen. Auch ein Aufruf zu einem zweiten Referendum wäre für die Regierung gefährlich, weil ein zweites Referendum eine Verlängerung des Polit-Chaos und der damit einhergehenden Unsicherheit bewirken würde.

Immerhin: Nahezu Einigkeit herrscht im Vereinigten Königreich zumindest darüber, dass ein Brexit-Szenario ohne Deal für alle Beteiligten äußerst verunsichernd wäre und um jeden Preis vermieden werden sollte. Alle Seiten würden etwas zu verlieren haben. Im Fall eines Worst-Case-Szenarios, wären die Unternehmen Großbritanniens die Hauptleidtragenden, aber auch europäische Branchen wären von einem Hard-Brexit mehr oder weniger betroffen.

Bei einem „No-Deal“-Szenario ist ein Rückgang des Wirtschaftswachstums, die Beschleunigung der Verbraucherpreisinflation, ein Anstieg der Arbeitslosenquote und eine Abwertung des britischen Pfund wahrscheinlich. Anleger würden in diesem Fall britische Staatsanleihen verkaufen und britische, auf den Binnenmarkt des Vereinigten Königreichs orientierte Aktien des FTSE 250 abstoßen. Vor allem kleinere britische Unternehmen aus dem FTSE 250 würden die Hauptlast des Abschwungs spüren.

Soweit nicht anders angegeben, beruhen die hier enthaltenen Ansichten auf Recherchen, Berechnungen und Informationen von Amundi Asset Management und haben den Stand 15.01.2019. Diese Ansichten können sich jederzeit ändern, abhängig von wirtschaftlichen und anderen Rahmenbedingungen. Es gibt keine Gewähr, dass sich Länder, Märkte oder Branchen wie erwartet entwickeln werden. Diese Veröffentlichung ist kein Verkaufsprospekt und stellt kein Angebot zum Kauf oder Verkauf von Anteilen in Ländern dar, in denen ein solches Angebot nicht rechtmäßig wäre. Außerdem stellt diese Veröffentlichung kein solches Angebot an Personen dar, an die es nach der jeweils anwendbaren Gesetzgebung nicht abgegeben werden darf. Amundi Deutschland GmbH ist ein Unternehmen der Amundi Gruppe.

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