Volkswirt Henning Vöpel
Vor diesem Dilemma steht die EZB

Henning Vöpel ist Direktor des Centrums für Europäische Politik. Foto: Centrum für Europäische Politik
Die Inflation steigt und steigt, doch die Europäische Zentralbank erhöht die Zinsen vorerst nicht. Was steckt dahinter? Kann die Notenbank überhaupt noch zielgerichtet handeln? Volkswirt Henning Vöpel vom Centrum für Europäische Politik gibt eine Einschätzung.
Die Inflation hat im November mit 5,2 Prozent in Deutschland und 4,9 Prozent in der Eurozone den höchsten Wert seit Einführung des Euro erreicht. Ist dies ein Grund zur Sorge? Ja und Nein. Nein, weil die Inflation im Wesentlichen das Ergebnis von pandemiebedingten Basis- und Flaschenhals-Effekten ist. Die Anhebung der Mehrwertsteuer auf den alten Satz von 19 Prozent etwa oder die Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorleistungen haben fast alles gleichzeitig teurer gemacht.
Die Basiseffekte werden ab Januar auslaufen und die Inflationsrate sollte dann wieder zurückgehen. So weit, so unproblematisch, denn die Europäische Zentralbank (EZB) kann diese Effekte geldpolitisch nicht bekämpfen...
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Die Inflation hat im November mit 5,2 Prozent in Deutschland und 4,9 Prozent in der Eurozone den höchsten Wert seit Einführung des Euro erreicht. Ist dies ein Grund zur Sorge? Ja und Nein. Nein, weil die Inflation im Wesentlichen das Ergebnis von pandemiebedingten Basis- und Flaschenhals-Effekten ist. Die Anhebung der Mehrwertsteuer auf den alten Satz von 19 Prozent etwa oder die Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorleistungen haben fast alles gleichzeitig teurer gemacht.
Die Basiseffekte werden ab Januar auslaufen und die Inflationsrate sollte dann wieder zurückgehen. So weit, so unproblematisch, denn die Europäische Zentralbank (EZB) kann diese Effekte geldpolitisch nicht bekämpfen und sollte dies auch nicht tun, solange es sich um temporäre Ursachen handelt, die sich von selbst wieder zurückbilden.
Doch zuletzt wurden von den Zentralbanken selbst immer häufiger die Gefahr angesprochen, dass die Inflation sich verfestigen könne. In den USA wird die Federal Reserve Bank aus diesem Grund wohl sehr bald die Zinswende einleiten, nachdem sie die Anleihekäufe bereits stark reduziert hat. Historisch waren Inflationsprozesse nie monokausal, sondern fast immer das Ergebnis von inflationserzeugenden Konstellationen: Sich verschärfende Verteilungskonflikte, geringeres Potenzialwachstum und steigende Verschuldungsquoten bereiten den makroökonomischen Boden für Inflation.
In einem solchen Umfeld könnten sich steigende Inflationserwartungen schnell verselbständigen. Und dann wären die Zentralbanken gezwungen, das zu tun, was sie eigentlich gar nicht wollen, nämlich die geldpolitische Wende bereits zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem sie konjunkturell zu früh bremsen würden, aber die mittelfristigen Inflationserwartungen wieder zurückführen müssten. Momentan gibt es also gute Gründe, wachsam zu sein, denn Inflation tritt zumeist erst dann auf, wenn es schon zu spät ist.
Die Ordnungsfrage
Doch wie unabhängig, wie frei ist die Europäische Zentralbank (EZB) eigentlich noch, um nicht nur wachsam zu sein, sondern um dann auch entschlossen agieren zu können, wenn es notwendig wird?
War die Geldpolitik vor einigen Jahren noch „the only game in town“, hat sich das Blatt inzwischen gedreht. Die „fiskalische Dominanz“ hat Einzug gehalten, nachdem die Geldpolitik zunehmend unwirksam geworden war und die Pandemie der Fiskalpolitik ihren „Whatever it takes“-Moment beschert hat: Rettet die Wirtschaft, ganz gleich, was es kostet. Die fiskalpolitischen Ansprüche werden in Zukunft indes hoch bleiben, vielleicht sogar noch deutlich steigen angesichts gewaltiger öffentlicher Investitionen, die nicht nur die Ampel in Berlin verspricht, sondern auch in Rom und Paris längst geplant werden.
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