Wachtendorf-Kolumne Börsen im Corona-Crash: Mehr differenzieren, bitte!
Wie wird das neue Börsen-Jahrzehnt? Ähnlich glorreich wie das vergangene? Oder lauert in den 20er Jahren vergleichbares Unheil wie im ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende, dem Dot-Com-Blase und Finanzkrise ihren Stempel aufdrückten? Bevor auch dort ein neuartiger Virus namens Sars-COV-2 die Herrschaft an sich riss, ging es im Wirtschaftsteil der Tageszeitungen und auf den einschlägigen Internet-Portalen unter anderem um diese Frage. Die Farbe der Antworten variierte dabei je nach Standpunkt des Kommentators von Rosarot bis Rabenschwarz.
Eines vorweg: Grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, den Erfolg eines Börsen-Engagements über Dekaden zu betrachten statt in Wochen oder Monaten. Im genannten Zusammenhang hilft das jedoch niemandem weiter. Schon gar nicht Anlegern, die im täglichen Trommelfeuer sich widersprechender Meinungen nach einer angemessenen Aktienquote für ihr Depot suchen. Sollen sie angesichts weltweit noch immer rekordtiefer Zinsen mehr riskieren als bisher? Oder mit Blick auf das Jahr 2029 zur Handbremse greifen? Immerhin büßten deutsche Aktienfonds zwischen Januar 2000 und Dezember 2009 im Durchschnitt 22 Prozent an Wert ein, Fonds für globale Aktien sogar 24 Prozent. Was also, wenn sich der Corona-Crash wie vom „Handelsblatt“ an die Wand gemalt als Auftakt eines neuen Abwärtstrends entpuppt? Oder sogar als „Lehman-Moment“ für die Weltwirtschaft (IFW-Chef Gabriel Felbermayr)?
Wer so denkt und argumentiert, verliert schnell den Blick für das Wesentliche. Denn dazu gehört auch folgende Tatsache: Das Jahrzehnt von 2000 bis 2009 war keineswegs so verloren wie es auf den ersten Blick scheint. Ein mit 50 oder 100 Euro pro Monat gefütterter Sparplan auf den Dax etwa brachte über diesem Zeitraum immerhin eine durchschnittliche jährliche Rendite von 3 Prozent. Ein globales, am MSCI World ausgerichtetes Portfolio schaffte ebenfalls einen Mehrwert, auch wenn dieser mit 0,5 Prozent pro Jahr äußerst bescheiden anmutet.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Richtig aus dem Vollen schöpfen konnten Aktienanleger hingegen in den Jahren 2003 bis 2006. Ein Einmal-Investment in den Dax erwirtschaftete über diesen Zeitraum 21 Prozent pro Jahr, als Sparplan sogar 23 Prozent. Beim MSCI World waren es immerhin 14 beziehungsweise 17 Prozent. Umgekehrt gab es in der ach so goldenen Dekade zwischen Januar 2010 und Dezember 2019 gleich mehrere Phasen, in denen die Börsen um mehr als 20 Prozent in die Tiefe rauschten. Wer dort im falschen Moment Nerven zeigte, konnte also richtig Geld verlieren.
Eine Aufforderung, dem Auf und Ab der Kurse mit Timing-Modellen zu Leibe zu rücken? Keineswegs, denn das geht meistens schief. Ein Plädoyer, beim Blick auf die Märkte und ihre bis dato erreichten beziehungsweise für die Zukunft prognostizierten Renditen ein Stück weit mehr zu differenzieren, sind diese Zeilen aber allemal. Es bringt überhaupt nichts, einen Zehn-Jahres-Zeitraum als Einheit zu betrachten, in dem Aktien entweder gehalten werden oder nicht. Sondern darum, Börsenphasen zu identifizieren, in denen man einen zu jeder Zeit bestehenden Sockel an Dividendenpapieren tendenziell eher abbauen oder aufstocken sollte. Billig kaufen, teuer verkaufen – was selbstverständlich viel einfacher klingt, als es in der Praxis ist. Doch gibt es eine vernünftige Alternative? Über Wert einkaufen und anschließend verramschen hat auf Dauer noch nie funktioniert.
Apropos differenzieren: Die in den vergangenen Wochen häufig zu hörende Warnung, Aktien seien „enorm überbewertet“, mag auf diverse Index-Schwergewichte zutreffen. Für eine ganze Reihe von Unternehmen und Branchen gilt jedoch das Gegenteil, auch wenn diese Ende Februar genauso abgestraft wurden. Markiert der Corona-Crash wirklich eine Trendwende, so könnte sie durchaus an dieser Stelle verlaufen.