Wachtendorf-Kolumne Der Snapchat-Hype oder die Lizenz zum Selbstzerstören
So etwas nennt man schnell verdientes Geld: Zu einem Stückpreis von 17 Dollar gibt am vergangenen Donnerstag die Aktie des Snapchat-Betreibers Snap ihr Debut an der New Yorker Wall Street. Als der Handel wenige Stunden später zu Ende geht, steht sie bei 24,48 Dollar – macht für jeden Zeichner ein Plus von 44 Prozent. Unternehmensgründer Evan Spiegel bringt der mit einem Volumen von 3,4 Milliarden Dollar größte Börsengang seit Alibaba auf einen Schlag 272 Millionen Dollar ein.
Im Vorfeld hat es nicht an Warnungen gefehlt. So weist die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz bereits Mitte Februar darauf hin, dass Snapchat zum damaligen Zeitpunkt mit umgerechnet 21,5 Milliarden Euro bewertet wird und damit in etwa so hoch wie der im Dax vertretene Konsumgüterproduzent Beiersdorf. Der Unterschied: Beiersdorf setzte im vergangenen Geschäftsjahr 6,7 Milliarden Euro um und erwirtschaftete einen Gewinn vor Steuern von knapp 970 Millionen Euro. Snapchat wies 2016 bei einem Umsatz von umgerechnet gut 375 Millionen Euro einen Verlust von mehr als 480 Millionen Euro aus.
Nach dem Börsengang ist Snapchat 32 Milliarden Euro wert, Beiersdorf kommt auf etwas über 22 Milliarden Euro. Bei diesen Relationen wird es auch gestandenen Wertpapieranalysten mulmig: Der amerikanische Anlageberater Pivotal Research etwa hält die Aktie für deutlich überbewertet und ruft ein Kursziel von 10 Dollar aus. Ob es etwas nutzt, ist fraglich. Angesichts der Hoffnungen auf ein gigantisches, vom neuen US-Präsidenten Donald Trump in Szene gesetztes Konjunkturprogramm bleibt die Stimmung an der Wall Street prächtig. Die meisten Marktbeobachter erwarten schon in Kürze weitere Börsengänge, insbesondere im Technologie-Sektor.
Was das alles mit Fonds zu tun hat? Nun, es fällt nicht schwer sich vorzustellen, dass Snapchat-Zeichner, die zuvor bereits bei Alibaba, Facebook und zahlreichen anderen Neuemissionen engagiert waren, kaum mehr als ein müdes Lächeln übrig haben für Anleger, die brav Monat für Monat mit einer Summe X einen Investment-Sparplan bedienen. Gibt es ein piefigeres Instrument, das eigene Vermögen zu mehren und damit künftige Geldsorgen bereits im Keim zu ersticken?
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Wer so denkt, muss sich die Frage nach dem eigenen Plan gefallen lassen. Was ist, wenn die Zeit der üppigen Gewinne mit Neuemissionen vorbeigeht, die Methode des schnellen Geldverdienens plötzlich nicht mehr funktioniert? Oder, noch schlimmer: Wenn sich ein großer Teil des zuvor angesammelten Vermögens – im Vertrauen auf weiter steigende Kurse in die persönlichen Lieblinge investiert – plötzlich in Luft auflöst, weil Tesafilm, Hansaplast und Nivea-Creme an der Börse wie im wirklichen Leben plötzlich gefragter sind als per Messenger-Dienst verschickte Fotos, die sich nach dem Ansehen selbst zerstören?
Viele Angehörige einer früheren, mit mühelosen Zeichnungsgewinnen aufgewachsenen Generation von Anlegern haben die denkbar schlechteste Antwort gegeben: Sie haben zunächst an den nicht erkannten Seifenblasen festgehalten, nach dem Platzen nahe des Tiefpunkts die Flucht ergriffen und schließlich das Thema Börse für sich ein für alle Mal abgehakt.
Was ist mein Plan? Noch bleibt allen Sparplan-Verächtern Zeit, über diese Frage nachzudenken. Jenen, die dieses Instrument aus anderen Gründen nicht nutzen, sowieso.