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Wachtendorf-Kolumne Regulierung: Die Mifid-Träumer

Kann der seit Jahresbeginn geltenden EU-Richtlinie Mifid II wenig abgewinnen: DAS-INVESTMENT-Kolumnist Egon Wachtendorf.
Kann der seit Jahresbeginn geltenden EU-Richtlinie Mifid II wenig abgewinnen: DAS-INVESTMENT-Kolumnist Egon Wachtendorf. | Foto: Johannes Arlt

„I have a dream …“ – wer kennt nicht jene berühmte Rede, mit der Martin Luther King im August 1963 beim Marsch auf Washington die Massen elektrisiert. Mehr als 250.000 Menschen hören gebannt zu, als der charismatische Bürgerrechtler aus Georgia seine Version des ewigen Menschheitstraums von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit predigt und damit in die Geschichtsbücher eingeht.

Einen ähnlichen, wenn auch politisch nicht ganz so hoch aufgehängten Traum müssen vor knapp zehn Jahren einige Beamte der Europäischen Union gehabt haben. Wir erinnern uns: Im Herbst 2008 bringt die durch faule Immobilienkredite ausgelöste Finanzkrise die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs. Mittendrin Akteure der Finanzindustrie, sie hatten aus der Verpackung und dem Weiterverkauf längst uneinbringlich gewordener Forderungen ein Milliardengeschäft gemacht. Am Ende der Kette stehen tausende und abertausende geschädigte Sparer, deren vermeintlich sichere Anlagen sich als Totalausfall entpuppen.

Hier setzt er an, der Traum der EU-Regulierer. Er handelt wie bei Martin Luther King von Gleichheit. Künftig sollen sich die Beteiligten einer Anlageberatung auf Augenhöhe begegnen. Der Käufer eines Finanzprodukts soll über die gleichen Informationen verfügen wie der Anbieter – sowohl was mögliche Risiken betrifft als auch die Kosten. Der Name dieses Traums: Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente oder kurz Mifid II.

Der Name lässt bereits erahnen, dass es bei Mifid II recht bürokratisch zugeht. Tatsächlich füllen die einzelnen Paragraphen des seit Anfang Januar 2018 in Deutschland gültigen Gesetzwerks knapp 7.000 Seiten. Dabei ist der schiere Umfang weder das einzige Übel noch das größte. Letzteres besteht neben der zur Pflicht gewordenen tonnenweisen Versendung von im Kern weitgehend überflüssigen und für die meisten Empfänger unverständlichen Info-Materials darin, dass die Mifid-Träumer das zweite Kernelement der King-Botschaft völlig außer Acht lassen: die Freiheit. Sind nicht Berater und Anlagekunde mündige Bürger? Sofern zwischen ihnen Einvernehmen herrscht, sollten sie folglich im Grundsatz selbst darüber entscheiden dürfen, welche Inhalte ihres Gespräches protokolliert werden und ob von vornherein weite Teile des Anlage-Universums außen vor bleiben.

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Mich erinnert die ganze Mifid-Debatte zunehmend an einen Beitrag, den ich vor vielen Jahren einmal im „Hohlspiegel“ gelesen habe. Damals gab es noch den real existierenden Sozialismus, unter dessen Ägide es in der Nähe der polnischen Stadt Lodz zu folgendem Vorfall gekommen sein soll: Bei der Verlegung einer neuen Eisenbahnlinie stoßen die Bauarbeiter auf einen Hochspannungsmast, der genau an der Stelle steht, über die die Gleise verlaufen sollen. Sie belassen den Mast zwischen den verlegten Schienen und befinden, es sei alles in Ordnung, da sie in Übereinstimmung mit dem Arbeitsplan handeln.

Die Linie wird eröffnet, der erste Zug setzt sich in Bewegung. Da es laut Gesetz nichts und niemandem gestattet ist, zwischen den Gleisen zu stehen, nimmt der Lokführer die Existenz des Mastes nicht zur Kenntnis. Er fährt mit der Lok auf und stürzt dabei den Mast um. Anschließend ruft ein Vertreter der polnischen Staatsbahn seelenruhig das zuständige Kraftwerk an und fordert die Räumung des verkehrsbehindernden Mastes vom Bahnkörper.

Allzu weit sind wir von solchen Verhältnissen in der Finanzbranche nicht mehr entfernt. Ein Alptraum.

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