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Aktualisiert am 08.09.2017 - 12:26 Uhrin Aus der Fondsbranche: PersonalienLesedauer: 4 Minuten

Wachtendorf-Kolumne Was Fondsvermarkter aus der Brexit-Debatte lernen können

Egon Wachtendorf, Chefredakteur DER FONDS
Egon Wachtendorf, Chefredakteur DER FONDS

Was für ein Paukenschlag! Knapp 52 Prozent der wahlberechtigten Briten stimmten am Donnerstag für einen Austritt aus der EU, unmittelbar nach der Bekanntgabe dieses Votums kündigte Regierungschef David Cameron seinen Rücktritt an.

Damit hatten im Vorfeld nur wenige Marktbeobachter gerechnet. Am allerwenigsten wohl jene, die in den Wochen zuvor mehr auf die ansonsten recht zuverlässigen Quoten der britischen Wettbüros gestarrt hatten als auf die offiziellen Umfragen. Was diese unerwartete Wendung für die Börsen bedeutet, die in einer ersten Reaktion um bis zu 10 Prozent abstürzten, und wie Anleger in ihren Depots jetzt reagieren sollten, lesen Sie hier.

Appelle, die EU-müden Briten doch noch zum Bleiben zu bewegen, gab es auch außerhalb der offiziellen Politik von vielen Seiten – von namhaften britischen Schauspielern wie Keira Knightley oder Daniel Craig über Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling bis hin zu Fußball-Legende David Beckham. Der vielleicht originellste Versuch kam in der vergangenen Woche von John Oliver. In seiner vom US-Pay-TV-Sender HBO ausgestrahlten Show Last week tonight arbeitete sich der britische Exil-Moderator eine Viertelstunde lang genüsslich an falschen Zahlen und Werbe-Filmchen der Brexit-Befürworter ab – um dann augenzwinkernd eine als Blitzableiter dienende Alternative ins Spiel zu bringen: den Fuck-you-European-Union!-Song. Ein deftiges Schmählied, das Oliver zufolge zwar jedem Briten aus dem Herzen spricht, aber letztendlich doch anerkennt, wie verloren Großbritannien ohne die EU dastünde.

Es hat letztlich nicht gereicht. Aber wer weiß, wie viele Wähler diesen Song im Ohr hatten, als sie am Abstimmungstag, die eine Hand zur Faust geballt in der Tasche, ihr Kreuz bei „Remain a member of the European Union“ gemacht haben? Insofern hat er möglicherweise mehr bewirkt als die umstrittene „Please don’t go!“-Titelstory des „Spiegel“ und andere, auf viele Briten eher peinlich berührend wirkende Liebesappelle in den sozialen Netzwerken.

Vielleicht wäre das noch einmal ein neuer Ansatz, um auch den einen oder anderen Fonds-Verächter dazu zu bewegen, sich künftig verstärkt dieses Mediums zu bedienen. Denn ähnlich wie den in den vergangenen Wochen so heftig umworbenen Briten ist auch dieser Zielgruppe meist bewusst, dass jenes Gebilde, für das sie sich bei der Anlage ihres Geldes entscheiden sollen, alles andere als frei von Schwächen und Fehlern ist. Wozu also unter kompletter Ausblendung dieser Tatsache etwas anderes vorgaukeln und damit das unterschwellige Misstrauen eher noch vertiefen?

Wie ein EU-Mitglied gibt ein Fondsanleger die Entscheidungsgewalt über einen Teil seiner Finanzen aus der Hand. Er kann sich im Einzelfall nie ganz sicher sein, wie die von ihm beauftragten Manager das Ersparte investieren und ob dies tatsächlich in seinem Sinne und zu seinem Vorteil ist. Bei aktiv verwalteten Fonds zahlt er zudem Gebühren, die nicht selten bei über 2 Prozent im Jahr liegen – was beileibe keine Erfolgsgarantie darstellt. Und der steuerlichen Behandlung von Fonds merkt man deutlich an, dass ihr Geist denselben Hirnen entsprungen ist, die sich zuvor schon Gedanken über den Krümmungsgrad von Gurken und Bananen gemacht haben.

Wer all diese Punkte in der Vermarktung geflissentlich ignoriert, tut sich vermutlich keinen Gefallen. Ganz im Gegenteil: Um Misstrauen abzubauen und Argumenten mit Gegenargumenten begegnen zu können, muss man erst einmal zu den genannten Themen ins Gespräch kommen. Oder anders formuliert: Wer ein empfehlenswertes Fondsprodukt im Angebot hat, muss es nicht nur von konkurrierenden Anlagevehikeln abgrenzen können, sondern auch von weniger empfehlenswerten Fondsprodukten.

Umso leichter fällt womöglich am Ende auch dem letzten Zweifler die Erkenntnis, dass es wirklich „batshit crazy“ wäre, bei der Anlage des eigenen Vermögens auf Fonds völlig zu verzichten.

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