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Wachtendorf-Kolumne: Zertifikate verdrängen Fonds

Ein Fonds in Deutschland müsste sich eigentlich momentan vor Mittelzuflüssen kaum retten können – der Deka-Lux-Geldmarkt Euro. Denn dieses bewährte und exklusiv über die Sparkassen vertriebene Produkt erfüllt alle wesentlichen Wünsche der mehr als 30 Millionen potenziellen Käufer an eine kurzfristige und flexible Geldanlage: hohe Sicherheit, marktgerechte Erträge, faire Gebühren. Doch Pustekuchen. Ende Dezember 2023 verwaltete der dienstälteste Geldmarktfonds der Deka-Gruppe gerade einmal 1,2 Milliarden Euro. Im Laufe des vergangenen Jahres kamen netto zwar 950 Millionen Euro neu hinzu. Dieser Betrag schöpft jedoch die Absatzmöglichkeiten, die die seit Ende 2022 deutlich gestiegenen Zinsen eröffnen, bei weitem nicht aus.
Warum das so ist? Ganz einfach: Die meisten Sparkassen haben wenig bis gar kein Interesse am Deka-Lux-Geldmarkt Euro. Viel lieber schieben sie ihren Kunden Zins-Zertifikate unter, die ihr Dienstleister Deka unter dem Oberbegriff „Geldmarktanleihe“ seit kurzem massenhaft auflegt. Diese Papiere sind verglichen mit einem Geldmarktfonds weniger sicher, weniger rentabel und zudem auch meist deutlich teurer. Aus Sicht einer Sparkasse haben sie aber zwei entscheidende Vorteile. Zum einen bleiben bei ihnen höhere Erträge für den Vertrieb hängen, zum anderen sorgen Geldmarktanleihen angesichts der oft relativ kurzen Laufzeiten für einen kontinuierlichen Wiederanlagebedarf. Und schwups landet dann das nächste Zertifikat im Depot.
Im Geschäft mit den zu Zeiten der Lehman-Pleite in Verruf geratenen Derivaten ist die Deka mittlerweile Marktführer. Allein in den ersten neun Monaten 2023 sammelte sie dafür mit ihren Kooperationspartnern 14,2 Milliarden Euro ein, 2022 waren es im gesamten Jahr 12,6 Milliarden Euro. Dabei können Anleger noch von Glück reden, wenn bei ihnen lediglich Kurzläufer auf Kurzläufer folgt. Die „Wirtschaftswoche“ enthüllte jüngst den Fall einer 93-jährigen Sparkassenkundin, deren bis 2041 laufende Geldmarktanleihe sich als riskante Zins-Wette entpuppte und der Seniorin so einen Verlust von knapp 50 Prozent bescherte. Zugeordnet war das Produkt der niedrigsten Risikoklasse 1. Derartige Berichte häufen sich. Der Ludwigshafener Betriebswirtschafts-Professor Hartmut Walz spricht angesichts der jüngsten Zertifikate-Schwemme und der damit verbundenen Beratungsfehler gar wenig galant von „Verrat am Kunden“.
Der Vollständigkeit halber: Am Pranger stehen nicht nur Sparkassen, sondern genauso Genossenschafts- und Geschäftsbanken. Denn auch dort müssten, wenn es fair zuginge, Produkte wie Union-Geldmarkt-Fonds, DWS ESG Euro Money Market oder Allianz Euro Cash in der Beratung viel stärker im Fokus stehen. Tun sie aber nicht, aus den genannten Gründen.
Könnte eine stärkere Regulierung Abhilfe schaffen? Wohl kaum. Seit dem Lehman-Schock 2008 hagelt es neue Vorschriften – deren Umsetzung in erster Linie die Anleger durch die auf sie umgelegten Kosten bezahlen. Trotzdem sind die Beratungszimmer vieler Banken und Sparkassen bis heute eher Tatort als Schutzraum.
Helfen würde vielleicht ein deutliches Mehr an Aufklärung. Allein, dazu fehlt es der Finanzmarktaufsicht am nötigen Willen und der zuständigen Lobby an Schlagkraft. Im ersten Zertifikate-Boom vor 20 Jahren etwa hat der Fondsverband BVI noch laut und deutlich seine Stimme erhoben und ebenso pointiert wie sachlich die Nachteile von Zertifikaten gegenüber den eigenen Produkten herausgestellt. Dass Vergleichbares heute vom BVI weder zu hören noch zu erwarten ist, zeigt einmal mehr, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse in den übergeordneten Schaltzentralen der Investment-Industrie in der Zwischenzeit verschoben haben.