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Wallwitz: "Die Eurokrise ist nur äußerlich ein ökonomisches Problem"

Georg Graf von Wallwitz, Eyb & Wallwitz
Georg Graf von Wallwitz, Eyb & Wallwitz
Georg Graf von Wallwitz leitet sein Börsenblatt mit Anton Tschechows letztem Stück, Kirschgarten, ein, das den Ruin einer alten Familie beschreibt. Trotz wiederholter Warnungen von Seiten eines Unternehmers und Vorschlägen, wie dieser abzuwenden sei, wehrt sich die Familie, diese zu akzeptieren und die Veränderungen durchzuführen. Somit endet die Geschichte mit der Zwangsversteigerung des Gutes der Familie.

Das Gesellschaftliche Problem

Was die Eurokrise betrifft, verhält es sich ähnlich. Auch die Nordeuropäer geben sich Tag für Tag Mühe mit der Belehrung der Lateineuropäer und reden ein und dasselbe. Sie sagen, wie die Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden kann (durch Abschaffung von Privilegien und Korruption) und wie eine effektive und den Wohlstand steigernde Besteuerung aussehen könnte. Die Adressaten verstehen aber oft nicht, warum es nicht so weiter gehen kann wie früher. Sie halten lieber am schönen Schein (dem Kirschgarten bzw. Berlusconis Haaransatz) fest, als der grauen Realität ins Auge zu sehen. Das kann man so lange durchhalten, bis die Realität sich ihr Recht verschafft. Man soll nie unterschätzen, wie schwer es manchmal ist, das ökonomisch Richtige nicht nur zu sehen, sondern auch danach zu handeln.

Italien ist ein reiches Land, ebenso wie Frankreich, und beide könnten ihre Probleme lösen, wären sie rein wirtschaftlicher Natur. In Spanien sind die Daten viel schlechter und sollte sich dort eines Tages ein Komiker zur Wahl stellen mit der Behauptung, die Politiker seien korrupt, dann wäre die Lage erheblich ernster.

Das Problem ist, wie im Kirschgarten, nur äußerlich ein ökonomisches Problem. Daher ist es naiv, wie Lopachin zu glauben, ein vernünftiger und offensichtlicher Lösungsweg werde automatisch auch beschritten.

Tatsächlich geht es, wie so oft, um die Verteilung der Lasten innerhalb einer Gesellschaft. Das Besitzbürgertum hat ein Interesse an einer stabilen Währung, mit der sich Importe bezahlen lassen. Es hat ein Interesse an der pünktlichen Bedienung der Staatsschulden, denn es ist der größte Gläubiger des Staates. Sie sind daher dafür, dass der Haushalt wie in Irland oder Litauen durch Kürzungen (insbesondere bei den Sozialausgaben) konsolidiert und die Wettbewerbsfähigkeit durch niedrigere Lohnkosten wieder hergestellt wird. Getroffen wird dadurch die untere Mittelschicht und jeder, der von der Hand in den Mund lebt. Diese fragen sich natürlich, warum sie die Lasten der Anpassung allein tragen sollen und schlagen vor, den Gläubigern eine lange Nase zu drehen und/oder die Währung abzuwerten. Der Ausgang der Eurokrise hängt zu einem guten Teil davon ab, wie dieser innergesellschaftliche Verteilungskampf ausgeht.

Die Situation ähnelt dem Kampf um den Goldstandard in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gold ist die natürliche Währung des Besitzbürgers. Es kann nicht abgewertet oder inflationiert werden. Besitz in Gold bleibt in gewisser Weise unantastbar. Nach den großen Kriegen waren die Staaten aber offensichtlich nicht mehr in der Lage, ihre einst in goldgedeckter Währung eingegangenen Schulden ebenso zurückzuzahlen. Sie lösten die Goldbindung und zwangen so die gutsituierten Bürger, einen erheblichen Teil der Nachkriegslast zu tragen und nicht, wie noch im 19. Jahrhundert üblich, jeden wirtschaftlichen Anpassungsdruck über niedrigere Löhne auf die Arbeiterschaft abzuwälzen.

Die Eurokrise ist mindestens so sehr eine soziale wie eine wirtschaftliche Krise. Ökonomisch ist das europäische Schuldenproblem handhabbar. Aber eine Gesellschaft, die sich eigentlich ganz wohl fühlt, wie sie ist, und sich plötzlich über Opfer und Änderungen Gedanken machen soll, ist etwas Unberechenbares. Es spielen dann verletzte Gerechtigkeitsgefühle und von Herzen kommende Trägheit die entscheidende Rolle.

Ausblick

Dem wirtschaftlich vernünftigen und nicht von sozialen Aspekten getrübten Blick stellt sich insbesondere in den USA ein immer besseres Bild dar. Es werden immer mehr Autos gekauft, der Überhang von zum Verkauf stehenden Immobilien ist abgebaut und der Staatshaushalt wird durch höhere Einnahmen und nun auch noch durch Zwangssparen konsolidiert.

Japan ist dabei, die Deflation ernsthaft zu bekämpfen, auch wenn – oder gerade weil – die neue Führung einen etwas unseriösen Eindruck macht. In der Schweiz ist der Export zuletzt (trotz des starken Frankens) um 6,5% und der Konsum um 4,5% gestiegen (Europa exportiert in die Schweiz genauso viel wie nach China – die Zahlen sind also wichtig). In Deutschland dürfte der Konsum ebenfalls anspringen: Die Immobilienpreise steigen um 10%, die Arbeitslosenquote ist auf einem 23-Jahres-Tief und die öffentlichen Haushalte sind solide. Europa wurstelt weiter und eigentlich hat man nur in China die Sorge, es könnte plötzlich etwas grundsätzlich schief gehen, mit dem derzeit niemand rechnet. Die friedvolle Entwicklung an den Aktienmärkten dürfte also noch eine Weile weiter gehen – bis der Termin zur Zwangsversteigerung ansteht.

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