Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau
Warum die moderne Geldtheorie nicht funktioniert
Jörn Quitzau ist Volkswirt und Leiter des Bereichs Wirtschaftstrends bei der Berenberg Bank. Foto: Berenberg
In Deutschland lag die Inflation im September bei 4,1 Prozent. Was, wenn sie auf diesem Niveau stagniert oder sogar weiter steigt? Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau beleuchtet die Lage aus Sicht der modernen Geldtheorie.
MMT-Befürworter sehen in hohen Staatsschulden, die von den Notenbanken finanziert werden, kein Problem – im Gegensatz zu Vertretern der Mainstream-Ökonomie. Weder die Solidität der Staatsfinanzen noch die Geldwertstabilität seien in Gefahr, wenn die Notenbanken Ausgabenprogramme der Regierungen finanzieren.: 1 Da ein Staat mit einer eigenen Währung jederzeit von seiner Notenbank mit den benötigten Finanzmitteln ausgestattet werden kann, wird er seinen Verpflichtungen gegenüber Gläubigern immer nachkommen können. Die Notenbank wird damit zum Erfüllungsgehilfen des Staates.
Inflation drohe nicht, solange der Staat mit den von der Notenbank bereitgestellten Mitteln ungenutzte volkswirtschaftliche...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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MMT-Befürworter sehen in hohen Staatsschulden, die von den Notenbanken finanziert werden, kein Problem – im Gegensatz zu Vertretern der Mainstream-Ökonomie. Weder die Solidität der Staatsfinanzen noch die Geldwertstabilität seien in Gefahr, wenn die Notenbanken Ausgabenprogramme der Regierungen finanzieren.: 1 Da ein Staat mit einer eigenen Währung jederzeit von seiner Notenbank mit den benötigten Finanzmitteln ausgestattet werden kann, wird er seinen Verpflichtungen gegenüber Gläubigern immer nachkommen können. Die Notenbank wird damit zum Erfüllungsgehilfen des Staates.
Inflation drohe nicht, solange der Staat mit den von der Notenbank bereitgestellten Mitteln ungenutzte volkswirtschaftliche Ressourcen aktiviere. Wenn durch staatliche Programme beispielsweise Arbeitslose in den Arbeitsmarkt integriert werden und sie zusätzliche Waren und Dienstleistungen produzieren, vergrößert sich das gesamtwirtschaftliche Angebot. Der höheren – und nach traditioneller Theorie potenziell inflationstreibenden – Geldmenge steht also ein entsprechend höheres gesamtwirtschaftliches Angebot gegenüber. Es gibt keinen Nachfrageüberhang und somit keinen Grund für ein steigendes Preisniveau.
Diese Sichtweise scheint gut zu den geldpolitischen Erfahrungen der vergangenen Dekade zu passen. Viele Mainstream-Ökonomen hatten als Folge der expansiven Geldpolitik eine kräftige Verbraucherpreisinflation erwartet. Tatsächlich ist diese Inflation bis zum letzten Jahr ausgeblieben – trotz einer zuweilen ultraexpansiven Geldpolitik und trotz in einigen Ländern ausufernd hohen Staatsschulden (zum Beispiel Japan). Auf den ersten Blick scheint die Modern Monetary Theory also einen besseren Erklärungsgehalt zu haben. Wir halten diesen Schluss für voreilig, wollen hier aber nicht tiefer in die Analyse einsteigen. Stattdessen wollen wir kurz betrachten, was die Modern Monetary Theory gegen steigende Inflationsraten empfiehlt. Denn auch im Rahmen des MMT-Konzepts kann Inflation entstehen, zum Beispiel wenn die gesamtwirtschaftlichen Kapazitätsgrenzen überschritten werden.
Gemäß Modern Monetary Theory ist der Staat steuerpolitisch gefragt, wenn die Inflation anzieht. Mit höheren Steuern soll der Staat Liquidität aus dem Wirtschaftskreislauf ziehen und damit die Inflation wieder einfangen. Doch was würde das für die aktuelle Situation bedeuten? Aufgrund der gestiegenen Inflationsraten würden die Regierungen höhere Steuern beschließen müssen, um Kaufkraft abzuschöpfen. Dafür wären Steuererhöhungen nötig, die die breite Masse der Bevölkerung treffen – also die Mehrwertsteuer oder die Einkommensteuer. Besonders effektiv wäre die Steuerpolitik, wenn sie Bürger mit einer hohen Konsumquote belastet. Vermögensteuern oder Einkommensteuern, mit der höhere Einkommensklassen stärker getroffen werden, hätten hingegen eine vergleichsweise geringe Wirkung auf den Konsum.
Damit ist klar: In einer MMT-Welt wäre der Kampf gegen die Inflation sozial unausgewogen und massive politische Widerstände wären zu erwarten. Wenn die Einkommen der Bürger durch die Inflation angegriffen werden (wie es derzeit der Fall ist), dann ist es kaum vorstellbar, dass Steuererhöhungen, mit der die Kaufkraft weiter abgeschöpft werden soll, politisch umsetzbar wären.
Ähnlich wie die antizyklische Fiskalpolitik von John Maynard Keynes hat die Modern Monetary Theory offenkundig einen Schwachpunkt, wenn es um kontraktive Maßnahmen geht. Sie birgt damit unkalkulierbare Risiken. Und sie weist leider keinen unkonventionellen Weg aus einem Inflationsszenario. Die Notenbanken werden also um die Gratwanderung nicht herumkommen, bei der auf der einen Seite die Inflation droht und auf der anderen Seite ein abgewürgter Aufschwung und nervöse Märkte lauern.
1 Zu den Grundlagen der MMT vergleiche Broders/Quitzau (2019), Modern Monetary Theory – Ein Allheilmittel für die Weltwirtschaft?, Berenberg Makro vom 23.08.2019 oder Beck/Prinz (2019), Wie revolutionär ist die Modern Monetary Theory?, in: Wirtschaftsdienst, Heft 6/2019, S. 415-420. Eine kritische Analyse bietet Mankiw (2019), A Skeptic’s Guide to Modern Monetary Theory, Harvard University.
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