Rohstoffe standen im vergangenen Jahr unter Druck. Doch unseres Erachtens gibt es mehrere Gründe für vorsichtigen Optimismus in Bezug auf diese Anlageklasse im Jahr 2024 – dem chinesischen „Jahr des Drachen“.

Die wichtigsten Faktoren für die negative Rohstoffperformance im vergangenen Jahr waren:

  • Steigende Zinsen in vielen Industrieländern
  • Chinas Wirtschaft geriet unter dem Druck einer Immobilienkrise ins Stocken
  • Die Stimmung in Bezug auf die Energiewende verlor an Schwung

Unserer Meinung nach werden alle drei Faktoren in diesem Jahr eine Kehrtwende vollziehen.

Zinsen werden sinken

Der Konsens geht fest davon aus, dass wir in diesem Jahr Zinssenkungen verzeichnen werden. Zu Beginn des Jahres waren wir der Meinung, dass die Märkte hinsichtlich des Zeitpunkts und des Ausmaßes der Zinssenkungen etwas vorschnell waren. Doch inzwischen haben sie ihre Ansichten korrigiert und rechnen mit den ersten Zinskürzungen der Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank gegen Mitte des Jahres.

Zinssenkungen dürften sich für die meisten zyklischen Anlageklassen, einschließlich Rohstoffe, positiv auswirken. Unsere Beobachtung ist, dass niedrigere Realzinsen die Preise von Rohstoffen positiv beeinflussen (Abbildung 1). Die Ausgleichsgerade (Line of Best Fit) zeigt, dass der Rückgang der Realzinsen um 1 Prozent mit einem Zuwachs der allgemeinen Rohstoffpreise um 6 Prozent einhergehen würde.

Abbildung 1: Rohstoffe und Realzinsen 

Grafik Rohstoffe und Realzinsen
Juni 1976 bis Januar 2024. Die Rohstoffpreise sind die Logdaten des Bloomberg Commodity Index – Logdaten des US Consumer Price Index. Die Realzinsen sind die zweijährigen nominalen US-Staatsanleihenrenditen – US-VPI-Inflation.
© Bloomberg, Wisdomtree

„Jahr des Drachen“ könnte Rohstoffmärkten neues Feuer einhauchen 

Wird China nach der Enttäuschung von 2023 in diesem Jahr einen Gang höher schalten? Anfang März hat das Land seine wirtschaftlichen Wachstumsziele von „rund 5 Prozent“ bekanntgegeben. Auf der Zentralen Wirtschaftskonferenz im Dezember 2023 wurde eine uneinheitliche Botschaft verkündet: „Verfolgung von Fortschritt bei gleichzeitiger Gewährleistung von Stabilität, Konsolidierung von Stabilität durch Fortschritt und Aufbau von Neuem vor Abschaffung von Altem“. Ein Aufruf zu mutigem Handeln lässt sich daraus nur schwer ableiten.

Chinas Immobilienkrise dauert einfach schon zu lange an, als dass die politischen Entscheidungsträger mit dem stückweisen Ansatz der Konjunkturbelebung aus dem Jahr 2023 fortfahren könnten. Die Stimmung ist bereits stark angeschlagen und der Markt braucht Unterstützung. Als Reaktion auf den allgemeinen Stimmungseinbruch haben sich die chinesischen Behörden auf das so genannte „Nationalteam“ verlassen – eine Gruppe staatlicher Fonds, die im Februar 2024 Aktien kauften. Das hat sicherlich einen Aufschwung an den Aktienmärkten bewirkt, seit die Märkte nach den Feierlichkeiten zum chinesischen Neujahrsfest wieder geöffnet wurden. Um das Problem an der Wurzel zu packen, könnten sich die politischen Entscheidungsträger auf den Immobiliensektor selbst konzentrieren.

Sie haben ihre Aufmerksamkeit auf „drei große Projekte“ gerichtet: erschwinglicher Wohnraum, Renovierung städtischer Dörfer und öffentliche Notfalleinrichtungen. Eine Aufstockung der Mittel für das PSL-Programm (Pledged Supplemental Lending) der chinesischen Zentralbank (PBOC) scheint darauf hinzudeuten, dass die Ausgaben für diese Projekte steigen werden (Abbildung 2). Die Unterstützung über diesen Kanal beinhaltet keine breit angelegte Zinssenkung. 

Abbildung 2: Volumen des „Pledged-Supplemental-Lending“-Programms der PBOC 

Grafik: So viel Geld schießt die PBOC ins PSL-Programm
Juni 2015–Januar 2024. Monatliche Daten
© Wisdomtree, Bloomberg

Zudem senkte die PBOC im Februar 2024 die wichtigsten Hypothekenzinsen so stark wie seit 2019 nicht mehr. Das Zögern, die Zinsen auf breiterer Basis zu senken, ist auf Befürchtungen einer Währungsabwertung zurückzuführen. Aber wenn andere Länder ihre Zinsen senken (siehe Abschnitt oben), wird China weniger Zurückhaltung üben.

Wir sollten auch bedenken, dass Chinas Nachfrage nach Rohstoffen nicht stark beeinträchtigt wurde. Die schwachen Rohstoffpreise sind offenbar in der Annahme begründet, dass eine schleppende Konjunktur die Nachfrage nach Rohstoffen dämpfen wird.

Beispielsweise steigerte China unseres Erachtens seine Ausgaben für das Stromnetz in einer Zeit relativ niedriger Kupferpreise. Damit forcierte es opportunistisch den Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft. Kupfer ist für erneuerbare Technologien und die Verbesserung der Netzinfrastruktur, die für die wachsende Zahl von Elektroautos auf den Straßen erforderlich ist, von entscheidender Bedeutung.

Die chinesischen „neuen Drei“

Unter chinesischen Beamten und in den Staatsmedien kursiert ein neues Modewort: „Xin san yang“. Übersetzt bedeutet das die „neuen Drei“ und bezieht sich auf Solarzellen, Lithium-Ionen-Batterien und Elektrofahrzeuge. China ist in der Produktion und im Export dieser Waren führend. Während die „alten Drei“ – Haushaltsgeräte, Möbel und Bekleidung – einen negativen Beitrag zum Exportwachstum im Jahr 2023 leisteten, waren die „neuen Drei“ positiv.

Solarzellen, Lithium-Ionen-Batterien und Elektrofahrzeuge sind metallintensive Industriezweige. Ein wachsender internationaler Markt für diese Produkte könnte dazu beitragen, die nachlassende Metallnachfrage aus dem heimischen Immobiliensektor teilweise zu ersetzen. Außerdem ist der Immobiliensektor eher stahl- und eisenerzintensiv, während die „neuen Drei“ eher Basismetalle benötigen. 

Energiewende

Unsere langfristigen Aussichten für Rohstoffe stützen sich auf die Energiewende, das heißt die Abkehr von fossilen Brennstoffen und die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien, um die Treibhausgase zu reduzieren. 

Nach der starken Dynamik im Hinblick auf die Energiewende in den Jahren 2021 und 2022 begann das Anlegerinteresse 2023 zu schwinden – angesichts des Ausmaßes des in den USA unterzeichneten Inflationsbekämpfungsgesetzes (Inflation Reduction Act, IRA) war 2022 ein Höhepunkt (trotz seines Namens ist der IRA ein Rechtsakt, der Investitionen in grüne Technologien fördern soll).

2023 verabschiedete die Europäische Union jedoch ihre Fit-for-55-Rechtsvorschriften – mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Außerdem steht sie kurz vor der Unterzeichnung des Gesetzes über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act, CRMA). Das CRMA ähnelt dem IRA in den USA: Es bietet Steuergutschriften für Unternehmen, die ihre Lieferkette für Elektrofahrzeuge, Windturbinen und andere umweltfreundliche Produkte ins Inland (Onshoring) verlagern, allerdings in kleinerem Maßstab.

Die COP28 im Dezember 2023 schloss mit einem Plan für die Abkehr von fossilen Brennstoffen – ein Novum auf einer UN-Klimakonferenz. Das könnte die Energiewende wieder beflügeln. Auch wenn man sich in den ausgedehnten Gesprächen nicht auf einen Ausstieg („Phase-out“) einigen konnte, ermöglicht die Vermeidung einer Pattsituation die Planung und die Bereitstellung von Ressourcen für die Strategie des Herunterfahrens („Phase-down“).

Auf der COP28 einigten sich mehr als 130 nationale Regierungen, darunter auch die EU, auf eine Zusammenarbeit, um die weltweit vorhandene Kapazität an erneuerbaren Energien bis 2030 auf mindestens 11.000 Gigawatt zu verdreifachen. Dies entspräche dem Szenario der Internationalen Energieagentur „Netto-Null-Emissionen bis 2050“ (in Verbindung mit einer Verdoppelung der jährlichen Steigerungsrate der Energieeffizienz bis 2030), wie in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 3: Verdreifachte Kapazität ebnet Weg zu einem Netto-Null-Szenario 

Grafik Kapazitäten der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen
Die Prognosen für 2030 beziehen sich auf ein Netto-Null-Szenario, das über den Prognosen des Basisfalls liegt.
© Wisdomtree, Internationale Energieagentur – Renewables 2023, Januar 2024

Rohstoff-Superzyklus voraus

Nach einem schwierigen Jahr 2023 stehen Rohstoffe vor einem Durchbruch, da Zinssenkungen in den Vordergrund treten. Die Rohstoff-Rally Ende Dezember 2023 gibt einen Hinweis darauf, was passieren könnte, wenn die Zinssenkungen tatsächlich durchgeführt werden. 

Der größte Rohstoffverbraucher China befindet sich zwar nach wie vor in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, wir sind uns jedoch bewusst, dass die Nachfrage nach Rohstoffen stabil bleibt, während das Land sein „Geschäftsmodell“ umbaut. Das kann aber bedeuten, dass einige Rohstoffe besser abschneiden werden als andere. Unserer Meinung nach wird China seine Konjunkturbelebung fortsetzen. Seine diesbezüglichen Möglichkeiten könnten sich verbessern, wenn andere Länder in der Welt geldpolitische Lockerungsmaßnahmen ergreifen (da das Land eine Abwertung seiner Währung befürchtet).

Während die Aufmerksamkeit der Anleger für die Energiewende nachlassen könnte, wuchs die Entschlossenheit der politischen Entscheidungsträger. Die bahnbrechenden Vereinbarungen auf der COP28 sind ein gutes Beispiel dafür. Unser langfristiger Rohstoffausblick basiert auf der Energiewende., Mögliche mittel- bis langfristige Angebotsdefizite bei Metallen dürften zu einem Rohstoff-Superzyklus führen. 

 

Nitesh-Shah
Nitesh-Shah © WisdomTree

Über den Autor:

Nitesh Shah leitet das Rohstoff- und Makro-Research bei dem auf Rohstoffe spezialisierten Anlagehaus Wisdomtree.