Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater
Was höhere Zinsen für die Märkte bedeuten
Aktualisiert am 21.11.2022 - 15:03 Uhr
Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der Dekabank. Foto: Dekabank
Besser spät als nie: Europas Notenbanker wollen angesichts der hohen Inflation ab Juli die Zinsen erhöhen. Ob das ausreicht, um den Preisauftrieb zu stoppen, ist allerdings unklar. Ein Gastbeitrag von Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nun nach gefühlt endlosen negativen Inflationsüberraschungen doch einen deutlich strafferen Zinskurs angekündigt als dies noch im April zu erwarten war. Insbesondere das Tempo der Zinswende hat deutlich an Fahrt aufgenommen: der Beginn von Leitzinserhöhungen findet bereits im Juli statt, im September ist sogar mit einem großen Zinsschritt von 50 Basispunkte zu rechnen. Dann sollten in diesem Jahr nochmals zwei Zinsschritte folgen, so dass die Geldmarktzinsen am Jahresende bei 0,75 Prozent stehen sollten. Bis Ende Juni dürfte es dann weitergehen auf ein Niveau von 1,5 Prozent, das nach vielen Einschätzungen als neutrales Zinsniveau gilt.
Die Inflation...
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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nun nach gefühlt endlosen negativen Inflationsüberraschungen doch einen deutlich strafferen Zinskurs angekündigt als dies noch im April zu erwarten war. Insbesondere das Tempo der Zinswende hat deutlich an Fahrt aufgenommen: der Beginn von Leitzinserhöhungen findet bereits im Juli statt, im September ist sogar mit einem großen Zinsschritt von 50 Basispunkte zu rechnen. Dann sollten in diesem Jahr nochmals zwei Zinsschritte folgen, so dass die Geldmarktzinsen am Jahresende bei 0,75 Prozent stehen sollten. Bis Ende Juni dürfte es dann weitergehen auf ein Niveau von 1,5 Prozent, das nach vielen Einschätzungen als neutrales Zinsniveau gilt.
Die Inflation wird im kommenden Jahr – sofern es nicht weitere größere Störfälle gibt – zumindest vorübergehend wieder zurückfallen, so dass es erst einmal so ausschaut, als hätte die EZB genug getan. Zu dieser Einschätzung passt eine extrem flache oder sogar inverse Zinskurve. Da keine weiteren Zinsschritte mehr erwartet werden, fallen die langfristigen Zinsen auf das Niveau der kurzfristigen zurück, nachdem sie in diesem Jahr durchaus noch weiter steigen können. Das bedeutet zwar für die Anleihen ein desaströses Jahr 2022, aber es gäbe auch Anlass zur Hoffnung, dass es das einzige bleiben würde.
Dieses Szenario – das wir für das wahrscheinlichste halten – ist allerdings nur eines von vielen, das an den Kapitalmärkten derzeit durchgespielt wird. Es zeigt, wie hoch die Unsicherheit gegenwärtig ist. Kein Wunder: nach vier Jahrzehnten mit rückläufigen Inflationsraten stellt die gegenwärtige Entwicklung eine historische Zäsur dar. Die Anlässe – Corona und der Krieg in der Ukraine – mögen einzigartig sein, trotzdem sind dies die Umstände mit denen Wirtschaft und Finanzmärkte nun mal derzeit umgehen müssen.
Der Stagnation gerade noch einmal entkommen
Unsicher ist natürlich, ob die Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung diesseits und jenseits des Atlantiks ausreichen. Wenn der Inflationsgeist erst einmal aus der Flasche ist, dann zeigt die Erfahrung, dass es nicht so einfach ist, ihn wieder einzufangen. Unsicher ist vor allem auch, welche Wirkungen diese geldpolitische Kehrtwende in Rekordtempo zeitigen wird.
Bislang sind alle Finanzmarktsegmente mit den Verschlechterungen der Finanzierungsbedingungen und mit sinkenden Kursen für Aktien und Renten einigermaßen zurechtgekommen. Das muss nicht so bleiben. Wenn Investitionen oder ganze Geschäftsmodelle in Schieflage geraten, dann verstärkt sich die Risikowahrnehmung der Finanzmarktakteure, woraus weitere Abwärtsdynamiken resultieren können. Das gleich gilt für die Realwirtschaft: aus dem nach Corona erhofften Wachstum ist durch Krieg und Zinssteigerungen nur noch ein Zuwachs knapp oberhalb der Stagnation geworden.
Achterbahnfahrt an den Märkten
An den Finanzmärkten werden sich kaum neue Gewissheiten und Trends etablieren können, solange diese Unsicherheiten nicht abnehmen. Dabei sind die langfristigen Aussichten etwa für die Aktienmärkte gar nicht schlecht. Fundamental sind Aktien nicht teuer und die Unternehmen gehören zu denjenigen Akteuren in der Volkswirtschaft, die mit moderaten Inflationsraten ganz gut umgehen können.
Dazu kommt, dass für den privaten Vermögenssparer der Inflationsschutz in den kommenden Jahren oberste Priorität hat. Selbst die wieder zurückkehrenden Zinsen auf dem Sparkonto nutzen nichts, wenn die Inflationsrate höher bleibt, was wahrscheinlich ist. Die Aktienmärkte werden in den kommenden Monaten wohl noch manches Auf und Ab erleben. Bei jeder Abwärtsbewegung sollte jedoch der Gedanke an den Aufbau von Langfrist-Positionen auch in die Tat umgesetzt werden.
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