Robinhood, Trade Republic & Co. Was Neobroker so erfolgreich macht
In Kombination mit der skizzierten Rückvergütung erhält diese Praxis besondere Brisanz: Zwar ist der Anteil des in Derivate fließenden Anlagevermögens (wie von den Anbietern gerne betont) relativ gering, jedoch ist er tonangebend für die Einnahmen der Neobroker. Bei Robinhood entfallen nur 2,5 Prozent der Assets under Management auf Derivate. Diese sind allerdings für 38 Prozent der erzielten Einnahmen verantwortlich. Hierfür sind zwei Parameter maßgeblich: die Rückvergütungen für den Handel mit Derivaten sind deutlich höher als bei Aktien oder ETFs und die Haltedauer ist deutlich kürzer.
Ein in Deutschland agierender Anbieter warnt auf seiner Website im Kleingedruckten, dass 72 Prozent der Kleinanlegerkonten beim Handel mit Derivaten Geld verlieren. Der Anteil von Totalverlusten hierbei dürfte wiederum hoch sein. Diese Incentivierung von Instrumenten mit hohem Ausfallrisiko kann folglich nicht im Interesse einer nachhaltigen Anlage und Altersvorsorge sein – begründet jedoch ganz offensichtlich das Geschäftsmodell.
Zwar liegen für die deutschen Neobroker keine Zahlen bezüglich ihrer Abhängigkeit von Erträgen aus dem Handel mit Derivaten vor, jedoch kann von einer ähnlichen Verteilung ausgegangen werden. Es ist daher wenig überraschend, dass die Anlageform weiter ausgebaut und beworben wird. Der PR-Verweis auf die nur geringe Nutzung ist hier fadenscheinig.
Spiel mit der Sucht: Gamification
Gamification bezeichnet digitale Features (auf Basis von Erkenntnissen aus der Verhaltensforschung) die mit dem Ziel, der gesteigerten Nutzungsintensität eingesetzt werden. Abgeschlossene Transaktionen wurden bei Robinhood eine Zeit lang mit einem App-basierten Konfettiregen belohnt. Wie man dies von populären Social Media oder Spiele-Apps kennt, ruft sich die Robinhood-App zudem regelmäßig mit Benachrichtigungen in Erinnerung. Der Anbieter verlockt somit zum Öffnen seiner App. Beispielsweise sorgen die Standardeinstellungen dafür, dass man als Nutzer mit Benachrichtigungen auf Preisbewegungen von Aktien und auf neue Höchst- und Tiefststände hingewiesen wird.
Mit der steten Präsenz dieser Informationen wird ein Anreiz zum verstärkten Handel der Wertpapiere geschaffen. Dass solche Mikroimpulse sehr effektiv sind, um Gewohnheiten zu entwickeln und die durch sie ausgelöste Serotonin-Ausschüttung dafür sorgt, dass Abhängigkeiten entstehen können, ist durch Forschungsergebnisse der Verhaltenspsychologie hinlänglich untermauert. Auch die Zahlen sprechen für sich: Rund die Hälfte der Robinhood-Nutzer öffnet die App sieben Mal – pro Tag!
Dass dies im Interesse von Robinhood ist, steht außer Frage: ein verstärkter Handel schlägt sich in den Einnahmen der Anbieter nieder. Die Umsätze durch Rückvergütungen steigen. Dass dies wie auch der Handel mit Derivaten einer nachhaltigen Anlage entgegenläuft und somit Anbieter wie Robinhood bedingt durch ihr Geschäftsmodell zum Gegenteil von dem incentivieren, was für die Anleger sinnvoll ist, zeigt die Bedeutsamkeit eines derartigen Designs. Nicht ohne Grund hat sowohl die SEC als auch die ESMA Gamification-Aspekte zum Gegenstand ihrer Untersuchungen erklärt. Robinhood hat die Konfettikanone als effektvollste Demonstration dieser Fehlsteuerung bereits aus der App entfernt.
Unstrittig ist jedoch auch: Gamification-basierte Auswüchse sind bei deutschen Anbietern weniger präsent als beim US-Vorbild. Dennoch stellt sich auch hier und bei Design-Aspekten wie „Dark Patterns“, die beispielsweise den Abschluss einer Transaktion einfacher machen als den Abbruch, die Frage, ob sie im Interesse der finanziellen Gesundheit der Anleger sind. Es scheint klar, dass Anbieter, die lediglich die Optimierung von Wachstumszahlen im Blick haben, ihre hehren Ziele zur Förderung der Aktienkultur gefährden.
Resümee und Ausblick
Trotz der Kritikpunkte ist anzuerkennen, dass Neobroker binnen kürzester Zeit große Erfolge vorzuweisen haben. Nicht nur in Bezug auf eigenes Wirtschaften, sondern auch hinsichtlich eines gesellschaftlichen Umdenkens in Sachen Vermögensaufbau und Sparverhalten. Unstrittig ist, dass nutzerfreundliches Design und der kostengünstige Zugang zu Anlageprodukten den Kapitalmarkt einer breiteren Anlegerschicht geöffnet haben. Gerade in Deutschland hält sich bis heute hartnäckig der Glaube, die Geldanlage an den Finanzmärkten sei ein Privileg der Oberschicht. Mit ihren Angeboten haben Neobroker dazu beigetragen, diesen Irrglauben zu bekämpfen. Dies kann auch gesellschaftlich positiv bewertet werden, da die Ergänzung der Altersvorsorge auf diesem Wege für breite Bevölkerungsteile in Deutschland offensichtlich erforderlich ist.
Auch wenn die von den Aufsichtsbehörden vorgebrachte Kritik nicht nur die neuen Player betrifft, scheint sie hier besonders signifikant zu sein. Es liegt auf der Hand, dass die Anbieter langfristig nur dann erfolgreich bleiben können, wenn es auch ihre Anleger sind. An dieser Stelle sei an die Verluste der Dotcom-Bubble erinnert, die eine ganze Anlegergeneration hierzulande für diese Form der Geldanlage verschreckt hat. Das nun erfolgende Einschreiten der Aufsichtsbehörden zeigt, dass eine regulatorische Balance zwischen kurzfristigen Wachstums- und langfristigen Nachhaltigkeitszielen erforderlich scheint.
Über den Autor:
Digitalexperte Alexander Braun arbeitet beim Beratungsunternehmen Capco, einer globalen Management- und Technologieberatung für Banken und Finanzdienstleister. Er verfügt über 20 Jahre Beratungserfahrung und unterstützt Unternehmen beim Aufbau digitaler Geschäftsmodelle. Sein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der deutschen Fintech-Industrie.