Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet: Eine Redewendung, die für die deutsche Insurtech-Szene in weiten Teilen zutreffen dürfte. Viele der großen Ambitionen haben sich zerschlagen, viele der vermeintlichen Tech-Revolutionäre kämpfen um den Fortbestand ihrer Unternehmen, die einfach nicht in die Gewinnzone kommen wollen. Neue Innovationen und neue Player hat man schon länger nicht gesehen.
Guru, selbstverliebter Gründer und Trickser
Doch was über einen Star der Szene und sein Unternehmen nun bekannt wird, hat eine neue Qualität, die mit dem bekannten Infragestellen oder Kritisieren an Geschäftsmodellen, Zahlen und Plänen der Start-ups nichts mehr gemein hat. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Wefox, Liechtensteiner Digitalversicherer mit operativem Sitz in Berlin und dessen Gründer Julian Teicke.
In einer aktuellen Veröffentlichung legt das „Manager Magazin“ die verheerende Situation des Unternehmens schonungslos offen und rechnet mit Teicke ab, der als „Guru“, „selbstverliebter Gründer“ oder „Trickser“ bezeichnet wird.
Rücktritt war bereits vor Wochen bekannt geworden
Ganz vom Himmel fällt die jetzige Berichterstattung indes nicht. Schon Anfang März war der Rückzug Teickes aus der Wefox-Spitze publik geworden. Der bisherige Verwaltungsratsvorsitzende Mark Hartigan übernahm. Der Gründer von Deutschlands größtem Insurtech stand angeblich wegen der Vorwürfe geschönter Google-Bewertungen und Gerüchten über ein schwach laufendes Deutschlandgeschäft bei den Investoren in der Kritik.
Aus der PR-Abteilung von Wefox war dazu lediglich zu hören, dass Teicke in nicht-exekutiver Rolle weiterhin an der strategischen Ausrichtung des Unternehmens beteiligt sein werde und gleichzeitig einen größeren Teil seiner persönlichen Kapazitäten anderen Geschäftsvorhaben widmen wolle.
Noch wenige Tage zuvor vermochte der Wefox-Gründer im „Handelsblatt“ vermeintliche Erfolgsmeldungen zu verkünden. Nach vorläufigen Zahlen habe man es im Dezember 2023 in die Gewinnzone geschafft. Teicke: „Auf dieser Basis wollen wir im Jahr 2024 profitabel weiterwachsen.“
Profitabilität ein unerfüllbares Versprechen
Jetzt erweisen sich die Versprechen von Profitabilität als Luftbuchung. Was das Gesamtunternehmen angeht, beruft sich das „Manager Magazin“ auf interne Dokumente, die zeigten, dass Teicke den Nettoverlust nicht ansatzweise wie geplant von 125 Millionen Euro (2022) auf 44 Millionen Euro im Jahr 2023 zu reduzieren vermochte. Stattdessen vergrößerte sich das Loch nach vorläufigen internen Zahlen auf 141 Millionen Euro, wie es in dem Artikel heißt. Schlecht sieht es auch bei der hauseigenen Versicherungsgesellschaft aus. Der Verlust stieg laut den aktuellen Zahlen des Geschäfts- und Solvenzberichts für 2023 binnen Jahresfrist von 32,1 auf 35,8 Millionen Euro.
Laut des Magazinberichts musste Wefox im Dezember knapp fünf Millionen Euro nachschießen, um die Solvenzquote aufzubessern, mit der die Kapitalstärke eines Versicherers von der Finanzaufsicht gemessen wird. Mehr noch: Um den defizitären Versicherungsarm mit einer Bankgarantie zu stützen, hätten Teickes Mitgründer Dario Fazlic und Fabian Wesemann im Dezember den internen Unterlagen zufolge sogar einen Teil ihrer Wefox-Anteile an einen Kreditgeber verpfänden müssen.
In der Folge steht das Insurtech, einst mit einer Bewertung von 4,5 Milliarden Euro als höchstbewertetes Start-up der Versicherungsbranche gefeiert, möglicherweise vor der Zerschlagung.
Merkwürdigkeiten und Interessenkonflikte
Laut „Manager Magazin“ handelt es sich bei Wefox demnach keineswegs um eine, wie der CEO sagt, „gut geölte Maschine“ – sondern um eine „wild zusammengekaufte Mischung unterschiedlichster Vertriebsfirmen.“
Kritik geübt wird dabei auch an fragwürdigen Praktiken von Tochterfirmen, Firmenbeteiligungen und der Beschäftigung mehrerer Personen aus dem privaten Umfeld von Teicke und seiner Führungscrew. Es gebe zahlreiche Merkwürdigkeiten und Interessenkonflikte, so die Bewertung der Artikel-Autoren.
Wie Teicke alle getäuscht haben soll
Teicke haben es mit seiner Losung „Fake it till you make it“, die er auf Start-up-Konferenzen offen vertrat, neun Jahre lang vermocht, reihenweise Investoren zu überzeugen. So konnte der 37-Jährige sogar in Zeiten weitestgehender Finanzierungsflaute spektakuläre Millionenrunden verbuchen. Seine Finanziers, darunter der Wagniskapitalgeber Target Global und der Staatsfonds Mubadala aus Abu Dhabi, hätten lange darauf gesetzt, dass Teickes Erzählung das Unternehmen bis an die Börse trägt.
Im Raum stand ein Umsatz von 100 Milliarden Dollar im Jahr 2030. Laut „Manager Magazin“ ein Blendwerk, zurückzuführen auf Teickes Charisma und seinem Storytelling über technologische Revolutionen. Mit mentalen Tricks habe er es immer wieder vermocht, schlechte Zahlen in Erfolgsmeldungen umzudeuten.
Knebelverträge, um noch an Kapital zu kommen
Teicke setzte öffentlich vor allem auf seinen Erfolg bei den Investoren. Doch für diesen ließ er sich wohl auf regelrechte Knebelverträge ein, wie das „Manager Magazin“ unter Berufung auf den ihr vorliegenden Investorenvertrag behauptet. Demnach sagte Teicke eine Mindestverzinsung von 25 Prozent pro Jahr zu und garantierte eine Verdopplung des investierten Betrags.
„Bei solchen Zusagen ist die nach außen verkündete Bewertung für die Geldgeber eher nachrangig – sie können sich auch so auf Traumrenditen einstellen, egal wie die Firma bewertet ist“, heißt es in dem Bericht. Die Klauseln habe Teicke „natürlich verschwiegen“. Auch Ende vergangenen Jahres sei Wefox abermals mit dem gleichen Rendite-Versprechen auf Investorensuche gegangen – „um Zeit zu schinden“.
Versicherungsgeschäft weitgehend vor der Aus
Offen ist, was bei Wefox noch zu retten ist. Die Aufgabe fällt dem 60-jährigen Hartigan, einst beim Großversicherer Zurich in der Schweiz tätig und Teicke von den Investoren zunächst als Aufpasser zur Seite gestellt, als neuem Vorstandschef zu.
Wie das „Manager Magazin“ berichtet, wickelt die neue Führung bereits zentrale Geschäftsfelder ab, um der Kosten Herr zu werden. Das Kfz-Versicherungsgeschäft, bei dem sich Wefox drastisch verkalkuliert habe, soll demnach in Deutschland, der Schweiz und in Italien heruntergefahren werden. Pläne, sich von einem großen Teil des Versicherungsgeschäfts in Deutschland zu trennen, wurden schon vergangenes Jahr bekannt.
Wefox erklärt dazu, seine eigenen Versicherungsaktivitäten auf ausgewählte profitable Produkte in bestimmten Märkten zu fokussieren. Laut des Berichts erwarten Wefox-Insider, „dass Hartigan das Versicherungsgeschäft schlicht dichtmachen könnte, wenn sich kein Käufer dafür findet“. Abseits des Versicherungsarms sehe es für das Unternehmen zudem kaum besser aus.
Insider sehen kleine Chance zur Neuaufstellung
Zu erwarten sei, dass der neue Wefox-Chef auch bei den Vertriebsfirmen auf Kosteneinsparungen und Abverkauf setzt, um möglichst viel von den rund 1,5 Milliarden Dollar zu retten, die Teickes Geldgeber in das Unternehmen steckten.
Die größten Hoffnungen ruhen laut „Manager Magazin“ auf den zugekauften Versicherungsvertrieben, allen voran in den Niederlanden und Italien. Deren großes Plus sei, dass sie bereits in der Gewinnzone waren, bevor Teicke sie unter seine Kontrolle brachte. „Schneidet Hartigan Wefox auf diese Verkäufertruppen zurück, könnte das Unternehmen tatsächlich profitabel arbeiten.“
Voraussetzung dafür sei aber, dass der neue Chef durch Stellenabbau massiv Kosten senkt – insbesondere im Techbereich und in der Berliner Zentrale, wie das Magazin mit Verweis auf Insider berichtet.
Abverkauf bereits im vollen Gange
Schon vergangenes Jahr begann der Abverkauf von Gruppen-Assets. 1,7 Millionen Euro brachte der Verkauf einer italienischen Maklerfirma. Auch Assona, ein 2021 übernommener Anbieter von Spezialversicherungen, soll Beteiligten zufolge verkauft werden. Die Reste des deutschen Maklergeschäfts könnten auf null heruntergefahren werden.
Das Schweizer Wefox-Geschäft könnte wohl ebenfalls veräußert werden, so das „Manager Magazin“. Doch ohne Teickes Techstory könnten die verbleibenden Reste weit weniger wert sein, als nötig wäre, um alle Investoren zu bedienen. Im Raum stehe ein Erlös über die Einzelteile von nur 600 bis 800 Millionen Euro.
Was wird aus Teicke und seinen Anteilen?
Julian Teicke selbst bereitet das Auscashen vor, wie es in dem Artikel heißt. Er habe im Zuge seines Abgangs Anfang März die Investoren darum gebeten, rund die Hälfte seiner Anteile verkaufen – und den verbleibenden Rest verpfänden zu dürfen. 20 Prozent soll er bereits im Februar 2023 beliehen haben. Unklar dürfte sein, wie viel er für seine Beteiligung überhaupt noch bekommt. „Stellt sich heraus, dass die Trümmer seines Imperiums am Ende wirklich weniger als das investierte Geld wert sind, wären seine Aktien wohl wertlos.“


