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Behavioral Finance Wie Berater irrationales Anlegerverhalten managen

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Home Bias, schlechter Ratgeber und Ankereffekte

Zu Beginn meiner Karriere Mitte der 1990er Jahre waren die Depots der Kunden noch mit deutschen Aktien gefüllt, man tauschte gelegentlich eine Dresdner Bank-Aktie in eine Commerzbank-Aktie oder eine Bayer- in eine Hoechst-Aktie. Anleger ebenso wie Anlageberater bevorzugen auch heute noch häufig Aktien von Unternehmen, die sie kennen, weil es ihnen ein Gefühl von Sicherheit gibt – ein weltweites Phänomen, wie Untersuchungen belegen. Zwar nimmt das Portfoliogewicht heimischer Aktien in vielen Ländern seit Jahren ab, ist aber noch immer unverhältnismäßig hoch.

Gewichtungen von mehr als 50 Prozent „Heimataktien“ sind in vielen Ländern keine Seltenheit. Auch hierzulande dominieren deutsche Aktien in den Depots der Anleger, obwohl der Deutschland-Anteil an der Weltmarktkapitalisierung (gemessen am MSCI Welt) gerade einmal etwa 3 Prozent beträgt. Diese Aufteilung widerspricht dem Grundsatz der Streuung und erhöht das Depotrisiko, infolgedessen bleiben viele Investmentchancen in anderen Märkten ungenutzt.

Häufig schieben Anleger eine Entscheidung vor sich her oder treffen sie gar nicht. Aus Angst, zu hohe Preise zu bezahlen und das im Nachhinein zu bereuen, lassen einige Kunden jahrelang stattliche Summen auf den Konten liegen. Sie warten auf den optimalen Einstiegszeitpunkt – der natürlich nie kommt. Wenn die Börsen dann Tiefststände erreichen, finden sie noch mehr Argumente, das Geld lieber nicht zu investieren.

Andere Anleger fühlen sich wiederum genötigt, einen Kauf zu tätigen, um nicht Gefahr zu laufen, etwas zu verpassen. Dieses heute als Fear of Missing out (kurz: FoMo) bezeichnete Phänomen beschrieb schon Altmeister André Kostolany mit den Worten: „Einer Straßenbahn und einer Aktie darf man nie nachlaufen. Nur Geduld: Die nächste kommt mit Sicherheit!“

Psychologische Experimente belegen, dass sich Anleger von Erfahrungen und Erinnerungen beeinflussen lassen. Solche Ankerpunkte können Ereignisse, Zahlen oder auch Jahreszeiten sein, die in den Köpfen der Investoren oder im kollektiven Gedächtnis gespeichert sind. So kann beispielsweise das Erreichen bestimmter „Chartmarken“ Käufe oder Verkäufe auslösen, die fundamental nicht zu erklären sind, etwa als der Dax im Juni 2014 nach mehreren Anläufen mit 10.000 Punkten zum ersten Mal fünfstellig wurde.

Ankerpunkte können auch individuelle Markierungen sein, wenn etwa ein Anleger nach längerem Warten seine Verluste wieder ausgeglichen oder sein Depotwert eine runde Zahl erreicht hat. Jedes Jahr im April oder Mai werde ich von Kunden gefragt, ob man besser verkaufen sollte – die Börsenweisheit „Sell in May and go away“ ist jedem Börsianer nur allzu gut bekannt ist.

Der Ankereffekt erklärt auch das Verhalten eines älteren Kunden, der in seinem Portfolio immer die gleiche Stückzahl kaufte, also von jeder Aktie genau 1.000 Stück, völlig unabhängig davon, ob das Papier 10 Euro oder 200 Euro kostete. Die prozentuale Schiefe bei der Aktienverteilung in seinem Portfolio war ihm weniger wichtig, als sich merken zu können, wie viele Allianz-Aktien er in seinem Depot hatte. Absolute Zahlen lassen sich leichter im Gedächtnis behalten als relative Zahlen. Eine Aktie, die beispielsweise 1.000 US-Dollar kostet, erscheint teurer als eine Aktie, die bereits für 100 US-Dollar zu haben ist. Die relative Preisbewertung, wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis, die erwarteten Wachstumsraten oder die Dividendenrendite, bleiben so irrtümlich unberücksichtigt.

Unerfahrene Privatanleger bevorzugen oft die optisch günstigere Aktie oder handeln sogar Pennystocks, weil sie nur wenig Cents kosten. Studien belegen auch, dass Handelsvolumen in populären Aktien nach einem Aktiensplit ansteigen. Weil sie optisch billiger geworden sind, werden sie an der Börse von Investoren stärker nachgefragt, wie es zu-letzt an den Splits bei Apple- und Tesla-Aktien zu beobachten war.

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