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Sparen, verkaufen, hellsehen Wie denkende Maschinen Chinas Wirtschaft umkrempeln

Der chinesische Tech-Gigant Alibaba vermeldet bei seiner elftägigen Rabattaktion zum Singles‘ Day 2020 einen Warenumsatz von mehr als 74 Milliarden US-Dollar
Der chinesische Tech-Gigant Alibaba vermeldet bei seiner elftägigen Rabattaktion zum Singles‘ Day 2020 einen Warenumsatz von mehr als 74 Milliarden US-Dollar: Das Unternehmen setzt auf künstliche Intelligenz, um die Verkäufe anzukurbeln und die Logistik zu optimieren. | Foto: IMAGO / Xinhua
Michelle Fan, Schwellenländer-Analystin

Mit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik des damaligen „Überragenden Führers“ Deng Xiaoping 1978 startete Chinas seinen beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg: Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes nach Zahlen des Internationalen Währungsfonds zu jener Zeit  noch bei rund 300 Milliarden US-Dollar lag, stieg die jährliche Wirtschaftsleistung bis 2020 um mehr als das 46-fache auf etwa 14,9 Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Das deutsche BIP vervierfachte sich in diesem Zeitraum lediglich. 

Treiber des chinesischen Wachstums waren über viele Jahrzehnte massive Kapitalinvestitionen und der riesige Arbeitsmarkt, was dem Land den Ruf als „Werkbank der Welt“ eingebracht hat. Jetzt aber befindet sich Chinas Wirtschaft im Wandel: „Die beiden Faktoren Kapital und Arbeit können den stetigen Wohlstandsgewinn der vergangenen drei Jahrzehnte nicht mehr aufrechterhalten“, sagt Michelle Fan, Schwellenländer-Analystin bei BNP Paribas Asset Management.

Die Regierung sieht das ebenfalls so und erkennt die Notwendigkeit eines neues Wachstumsmodells an, das weniger auf ein kapitalintensives Modell mit Schwerpunkt auf Investitionen und Export setzt, sondern stärker auf Privatkonsum, Dienstleistungen und Innovation.

David Choa, Portfoliomanager

Die realistischste Alternative, um die hohe Dynamik aufrechtzuerhalten, wäre eine drastische Beschleunigung des Produktivitätswachstums. „Dabei wird der Einsatz künstlicher Intelligenz eine wichtige Rolle spielen“, sagt Fan. David Choa, Portfoliomanager mit Schwerpunkt China bei BNP Paribas Asset Management ergänzt: „Unserer Ansicht nach wird KI die Faktoren Arbeit und Kapital nicht ersetzen – aber dafür sorgen, dass sie viel effektiver eingesetzt werden können.“

In China prägt KI bereits den Alltag

Bereits heute sind KI-Anwendungen fester Bestandteil des chinesischen Alltags. So wendet beispielsweise Taobao, Alibabas führende Online-Shopping-Website mit über 500 Millionen Nutzern, KI im kompletten Verkaufsprozess an: Von der Produktentdeckung über die Kaufentscheidung bis hin zu Lieferung und After-Sale-Service. „KI definiert das Einkaufserlebnis für Millionen chinesischer Online-Shopper und Händler neu“, sagt Choa.

Einige dieser Entwicklungen mögen für die Verbraucher unauffällig sein, sorgen aber für erhebliche Verbesserungen im Einkaufsprozess. Ein Beispiel: Nach dem Öffnen der Shopping-App sehen die Nutzer virtuelle, auf sie persönlich zugeschnittene digitale Schaufenster. „Das System berücksichtigt dabei unter anderem das Surfverhalten des Konsumenten und seine Einkaufshistorie“, erläutert Choa. Außerdem dient KI zur Optimierung der Suchfunktion. All das geschieht in Echtzeit, um die Wünsche des Kunden mit dem verfügbaren Angebot in Einklang zu bringen. „Die KI-gesteuerten Tools sind in der Lage, die Konversionsrate, also die Verkäufe, um bis zu 20 Prozent zu erhöhen.“

Der Chatbot für den Kundenservice ist ein Beispiel dafür, wie KI langsam den Kundenservice erobert. Ali Assistant, der Kunden-Chatbot von Taobao, bearbeitet mittlerweile mehr als 90 Prozent der Kundenanfragen. „Die Chatbot-Funktion senkt nicht nur Kosten und erhöht die Effizienz. Sie sorgt auch für ein freundlicheres Einkaufserlebnis und vergrößert die Chance, dass die Kunden wieder auf die Plattform zurückkehren“, erklärt Choa.

Navigator künstliche Intelligenz

China hat ein gigantisches Online-Shopping-Segment – mit einer riesigen Herausforderung: Wie können Millionen von Paketen täglich schnell und zu überschaubaren Kosten vor die Türen der Kunden gebracht werden? Auch hier kann KI die Produktivität erheblich verbessern. „Die Kombination aus Daten zum Kundenverhalten, Echtzeit-Lagerhaltung und logistischen Daten sowie die Automatisierung von Lagern ermöglichen es den Lieferfirmen, die Lieferzeiten zu beschleunigen und die Auslastung der Lager und Lkw zu optimieren“, so Choa.

Eines der besten Beispiele dafür ist das Cainiao-System von Alibaba. Dieses intelligente Logistiksystem erkennt, in welcher Box sich ein Artikel optimal verpacken lässt und optimiert so den Materialeinsatz. Es reduziert bereits den Verbrauch von Verpackungsmaterial um mehr als 10 Prozent. Mit Hilfe von KI kann das System darüber hinaus die schnellsten und kosteneffizientesten Zustellrouten ermitteln. Daneben hilft es Online- und Offline-Händlern bei der Prognose der Produktnachfrage. David Choa: „Dadurch können Händler Kosten reduzieren und Umsatzverluste durch nicht vorrätige, beliebte Artikel minimieren.“

Der Transport stellt in China aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte generell eine Herausforderung dar. Einige der Großstädte sind so groß wie fünf Städte in anderen Teilen der Welt. Das ist ebenfalls ein Anwendungsfeld für KI-Lösungen „Didi Chuxing, eine führende Ride-Sharing-Anwendung in China, kann mittels KI-Analysen Fahrzeugangebot und -nachfrage 30 Minuten im Voraus mit einer Genauigkeit von über 80 Prozent vorherzusagen“, sagt Choa.