Analyse von 600.000 Depots Von wegen passiv: Wie der ETF die Bundesrepublik eroberte
Passiv, Adjektiv. „Von sich aus nicht die Initiative ergreifend und sich abwartend verhaltend“, schreibt der Duden. Oder auch „nicht tätig, rührig, zielstrebig, nicht tatkräftig oder unternehmungslustig.“ Das klingt eigentlich alles andere als beängstigend. Und doch empfinden viele in der Fondsbranche passive Finanzinstrumente, allen voran ETFs, als ihre größte Bedrohung.
Langsam, aber unaufhaltsam erkämpfen sich ETFs einen festen Platz in den Portfolios der deutschen Anlegerinnen und Anleger. Das zeigt eine gemeinsame Auswertung von DAS INVESTMENT mit dem Maklerpool Fondsnet. Dafür wurden 600.000 aktive Konten ausgewertet, natürlich vollkommen anonymisiert.
Wir wollten wissen, wie das Verhältnis von ETFs zu aktiv gemanagten Fonds im Bestand im Jahr 2023 aussieht, was die beliebtesten ETFs und Indizes der Deutschen sind und welchen Stellenwert die börsengehandelten Indexfonds mittlerweile bei den Beratern einnehmen.
Der Siegeszug der ETFs begann in den 90ern
ETFs sind ein noch vergleichsweise junges Phänomen. Los ging es Anfang der 1990er, im Jahr 2001 wurde der erste Dax-ETF aufgelegt. Der berühmte iShares MSCI World ETF, mit einem Volumen von 5,63 Milliarden US-Dollar zugleich ein echtes Schwergewicht der Branche, wurde erst im Jahr 2005 einer breiten Masse zugänglich gemacht.
Die ersten Jahre fristeten ETFs ein Nischendasein. Doch im letzten Jahrzehnt haben sie deutlich an Fahrt genommen: Sie sind das Sinnbild einer neuen, effizienten Geldanlage geworden – kostengünstig, transparent, demokratisch. Gaben einst Fondsmanager, die große Tabellen auf noch größeren Bildschirmen durchackerten, den Takt der Finanzwelt an, spielen in einigen Segmenten mittlerweile Algorithmen die erste Geige.
Bis zum Ende des Jahres 2022 hatten einer Statista-Analyse zufolge alle in Deutschland verfügbaren ETFs zusammengenommen ein Vermögen von etwa 190,7 Milliarden Euro erreicht. Allerdings weist der Deutsche Fondsverband BVI darauf hin, dass diese Zahl mit Vorsicht zu genießen ist. Denn die Zahlen zu ETFs können nicht immer genau dem deutschen Markt zugeordnet werden. Es handle sich dabei eher um eine ungefähre Schätzung, nicht eine exakte Messung.
Dennoch ist der Trend eindeutig: 2019 lag der Wert noch bei 152,1 Milliarden Euro, 2015 bündelten sich 101,1 Milliarden Euro in ETFs. 2012 lag der Wert bei 74,2 Milliarden Euro – ein Anstieg von 157 Prozent in gerade einmal zehn Jahren. Europaweit hat sich das Vermögen in europäischen börsengehandelten Indexfonds mit 1,4 Billionen Euro sogar verfünffacht. Der ETF-Anteil am Fondsmarkt wuchs in dieser Zeitspanne von 5 auf 13 Prozent.
Diese Entwicklung zeigt sich auch in den Depots der Fondsnet-Kunden. 2012 betrug der Anteil der passiven Fonds mickrige 0,31 Prozent. 99,69 Prozent der Fonds waren aktiv gemanagt. Ein Jahr später lag der passive Anteil mit 0,61 Prozent bereits doppelt so hoch. 2015 folgte mit 1,27 Prozent die nächste Verdopplung, 2017 mit 2,31 Prozent die nächste. Zum Stichtag 30. September 2023 waren in den Depots der Fondsnet-Kunden 11,5 Prozent der Fonds passiver Natur, 88,45 Prozent aktiv gemanagt. Die Kräfteverhältnisse sind auf den ersten Blick klar.
ETFs wachsen auf institutioneller Seite
Doch es ist das rasante Wachstum, welches die aktiven Fondsmanager beunruhigt. Denn sie kämpfen in einer Welt, in der es risikolos bis zu vier Prozent Zinsen auf dem Tagesgeldkonto gibt, zunehmend mit Abflüssen. ETFs dagegen breiten sich aus, wachsen, nehmen zu – ganz egal, ob die Wirtschaft prosperiert oder umgekrempelt wird. Und das, obwohl oder gerade weil sie die Kunst des Nichtstuns perfektioniert haben.
Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Eine Auswertung von Morningstar zeigt, dass europäische, aktive Fonds im September Nettoabflüsse von 13,4 Milliarden Euro verzeichneten. ETFs verzeichneten einer Untersuchung von Amundi zufolge dagegen Zuflüsse von 9,4 Milliarden Euro. Dort wird auch Nachhaltigkeit zunehmend wichtig: Mit 3,4 Milliarden Euro wurde etwa ein Drittel der gesamten ETF-Allokation in ETFs auf ESG-Aktien-Strategien investiert. In einem Monat, wohlgemerkt.
Das ETF-Wachstum wird nicht nur von einer immer größer werdenden Schar an Privatanlegern befeuert. ETFs sind auch für institutionelle Investoren zu einem unverzichtbaren Baustein ihrer Asset Allocation geworden. Schätzungen zeigen, dass rund 80 Prozent der ETFs in Europa bei Privatbanken, Vermögensverwaltern, Hedgefonds, Pensionsfonds oder Versicherungen liegen.
Mit ihren geringen Gebührenstrukturen – der ETF von State Street Global Advisors auf den S&P-500-Aktienindex hat laufende Kosten von lediglich drei Basispunkten pro Jahr – dienen ETFs häufig als „Buy-and-hold“-Lösungen für Kernmärkte. Themen-ETFs wiederum werden als taktische Allokation in einem Core-Satellite-Ansatz gewählt.
Und dann gibt es neben den passiven auch noch die aktiven ETFs. Diese treffen auf Basis eines indexbasierten Investmentuniversums aktive Allokationsentscheidungen. Dieses ETF-Segment ist anteilsmäßig jedoch noch klein. Eine Umfrage von JP Morgan Asset Management, einem der größten Emittenten aktiver ETFs im Ucits-Mantel, zeigt, dass zumindest jeder dritte von 59 befragten europäischen professionellen Investoren plant, die Allokation in aktive ETFs im nächsten Jahr zu erhöhen.
Sparpläne als Wachstumsbeschleuniger
Doch zurück zu den Privatanlegern, ganz egal ob diese sich in Sachen Geldanlage von einem professionellen Finanzberater helfen lassen oder ihr Glück in die eigenen Hände nehmen. Ein wichtiger Treiber des ETF-Wachstums sind Sparpläne, mit denen Anleger monatlich auch mit kleinen Summen ETFs besparen können.
Das zeigt auch ein Blick in den Maschinenraum von Fondsnet: Untersucht wurde die Häufigkeit von Kauf-Transaktionen pro Depot in einem Kalenderjahr, ganz gleich ob aktive oder passive Fonds. Zwölf Transaktionen in einem Jahr sind die populärste Variante. Oder anders ausgedrückt: ein monatlicher Sparplan. 24 Käufe, also zwei Transaktionen pro Monat, stehen ebenfalls hoch im Kurs.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
ETF-Sparpläne werden in Deutschland seit September 2010 angeboten. Wie erfolgreich sie sind, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Im Juni 2017 wurde einer Auswertung von „Extra ETF“ zufolge in Kontinentaleuropa erstmals die Schwelle von 500.000 ETF-Sparplänen überschritten, im Mai 2019 folgte die Millionen-Marke.
Nur anderthalb Jahre später, im Dezember 2020, gab es bereits zwei Millionen ETF-Sparplan-Ausführungen. Ende 2023 dürften es in Kontinentaleuropa voraussichtlich 7,6 Millionen ETF-Sparpläne mit einem Sparvolumen von etwa 15 Milliarden Euro sein. Und die Erfolgsgeschichte ist noch längst nicht zu Ende erzählt. Laut „Extra ETF“ ist noch viel Luft nach oben: Bis Ende 2028 sieht die Studie ein Volumen von 32 Millionen monatlich ausgeführten ETF-Sparplänen vor. Das gesamte in ETFs investierte Anlagevolumen von Privatanlegern in Kontinentaleuropa würde dann 650 Milliarden Euro betragen und sich damit mehr als verdreifachen.
Die 15 beliebtesten ETFs der Deutschen
Doch welcher Index ist in Deutschland am beliebtesten? Um das herauszufinden, haben wir uns durch den ETF-Bestand der 600.000 Fondsnet-Depots gearbeitet. Beliebtester Index ist der MSCI World, gefolgt vom S&P 500 und dem MSCI World SRI. Letzterer investiert weltweit in Unternehmen, die über ein sehr hohes Rating in den Bereichen Umweltschutz, soziale Verantwortung und Unternehmensführung besitzen. Die Top 10 lauten:
Index |
Anteil am ETF-Bestand |
MSCI World |
7,44 Prozent |
S&P 500 |
6,52 Prozent |
MSCI EM IMI |
3,96 Prozent |
MSCI World Quality |
3,68 Prozent |
Stoxx Europe 600 |
3,67 Prozent |
MSCI WORLD SRI |
3,57 Prozent |
MSCI World Momentum Factor ESG |
3,54 Prozent |
NASDAQ 100 |
2,69 Prozent |
FTSE Developed World |
1,99 Prozent |
FTSE All-World |
1,58 Prozent |
Auch ein Blick auf die Produktebene ist interessant. Bei den 15 beliebtesten ETFs sortiert nach Anteil in den 600.000 Fondsnet-Depots dominiert iShares:
ISIN |
Name |
Anteil am ETF-Bestand |
IE00B4L5Y983 |
iShares Core MSCI World ETF USD (Acc) |
4,42 Prozent |
IE00B5BMR087 |
iShares Core S&P 500 ETF USD (Acc) |
4,00 Prozent |
IE00BKM4GZ66 |
iShares Core MSCI EM IMI ETF USD (Acc) |
3,96 Prozent |
IE00BL25JL35 |
Xtrackers MSCI World Quality ETF 1C |
3,68 Prozent |
IE000L5NW549 |
iShares MSCI World Momentum Factor ESG ETF USD (Acc) |
3,54 Prozent |
IE00B3XXRP09 |
Vanguard S&P 500 ETF (USD) Dist |
2,51 Prozent |
IE00BDZZTM54 |
iShares MSCI World SRI ETF USD (Dist) |
2,17 Prozent |
LU0908500753 |
Lyxor STOXX Europe 600 (DR) ETF C-EUR |
2,04 Prozent |
IE00BKX55T58 |
Vanguard FTSE Developed World ETF (USD) Dist |
1,99 Prozent |
IE00B3RBWM25 |
Vanguard FTSE All-World ETF USD Dist |
1,58 Prozent |
DE000A0F5UF5 |
iShares NASDAQ-100 ETF (DE) |
1,41 Prozent |
LU0629459743 |
UBS - MSCI World Socially Responsible ETF (USD) A-dis |
1,40 Prozent |
FR0010315770 |
Lyxor MSCI World ETF - Dist |
1,34 Prozent |
DE000A0Q4RZ9 |
iShares eb.rexx Governm. Germany 0-1yr ETF DE |
1,34 Prozent |
IE00BF4RFH31 |
iShares MSCI World Small Cap ETF USD (Acc) |
1,27 Prozent |
(K)Eine Frage der Provision
Für den Vertrieb der ETFs spielen Finanzberater eine wichtige Rolle. „Anleger brauchen eine gute Beratung. Sie haben, um den optimalen Anlageerfolg zu erreichen, oft nicht das notwendige Verständnis von den Märkten, und gerade daher ist eine Anlageberatung sehr wichtig“, sagte Sebastian Külps, Deutschlandchef beim zweitgrößten Vermögensverwalter Vanguard, Anfang des Jahres in einem Interview. Mit Coachings versuche das Unternehmen, Berater „gerade im Hinblick auf potenzielle Interessenkonflikte“ zu schulen.
Was er damit meint: Viele Bank- und Finanzberater erhalten Provisionen für Finanz- und Anlageprodukte, die sie vermitteln. Für viele sind sie die wichtigste Umsatzsäule. ETF-Anbieter zahlen dagegen keine Vertriebs- und Abschlusskosten für die Vermittlung ihrer Produkte. Wer als Berater ETFs vermittelt, ist daher auf andere Arten der Vergütung angewiesen: Er kann mit seinen Kunden zum Beispiel einen Vertrag schließen, der dem Berater einen Anteil am verwalteten Kundenvermögen zusichert. Alternativ lassen sich ETFs in Form einer kompletten Vermögensverwaltungsstrategie vermitteln. Hier können sich Berater – je nach Zulassung – die Dienstleistung der Vermögensverwaltung vergüten lassen oder als Tippgeber auftreten, der eine Gebühr für die Vermittlung in eine Vermögensverwaltung erhält.
Die fehlenden Vertriebsprovisionen sind ein maßgeblicher Grund, warum Bankberater ihren Kunden eher aktiv gemanagte Fonds als ETFs empfehlen. Allein der Ausgabeaufschlag bei aktiven Aktienfonds liegt meist in einer Größenordnung zwischen 4 bis 6 Prozent und finanziert die Vertriebs- und Verwaltungskosten eines Geldinstituts. Bei ETFs entfällt er. Die fehlende Vertriebsvergütung dürfte mit ein Grund sein, warum in den analysierten Portfolios von Fondsnet ETFs eine geringere Rolle spielen – verglichen etwa mit einer Fondsplattform, die sich an Selbstentscheider richtet.
ETFs lohnen sich nicht für alle
Vanguard-Deutschlandchef Sebastian Külps sieht für ETFs weiteres Wachstum: „Wir können in fünf Jahren leicht drei Billionen Euro erreichen, das ist realistisch“, sagte er neulich dem „Handelsblatt“. Geringe Gebühren, hohe Liquidität und Transparenz seien die Triebfedern der ETFs. Allein „ein großer Börsenrückschlag“ könnte den Siegeszug der börsengehandelten Indexfonds vorerst beenden oder zumindest stark verlangsamen.
Kein Wunder, dass immer mehr Anbieter auf den Markt drängen. So gibt es mittlerweile beinahe alles, vom Raumfahrt- bis zum Haustier-ETF. Doch mehr Angebot bedeutet auch mehr Konkurrenz. Die Anbieter von ETFs müssen sich von ihren Mitbewerbern abheben, um die Aufmerksamkeit und das Geld der Anleger zu gewinnen. Der anhaltende Wettbewerb unter den Vermögensverwaltern hat die Gewinnmargen erheblich geschmälert, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der Citigroup aufzeigt.
So haben ein Drittel bis die Hälfte der über 3.300 in den USA gelisteten ETFs Probleme, ihre jährlichen Betriebskosten zu decken. Diese Fonds haben durchschnittliche Fixkosten zwischen 200.000 und 350.000 US-Dollar und zusätzliche variable Kosten. Dieses Problem entsteht durch den intensiven Wettbewerb um niedrige Gebühren in der Branche. Große Akteure wie Blackrock, Vanguard und State Street Global Advisors treiben diesen Trend voran, indem sie die Kosten für ETFs in verschiedenen Anlageklassen immer weiter senken. Für die Anleger ist das eine vorteilhafte Entwicklung, für die Vermögensverwalter, die diese ETFs betreiben, wird das zunehmend zur Herausforderung.
Passiv, ja, aber alles andere als untätig – so haben ETFs in den vergangenen Jahrzehnten eine beeindruckende Reise zurückgelegt. Vom bescheidenen Auftritt in den 90ern bis zum heutigen Tag haben sie die Art und Weise, wie die Welt investiert, subtil, aber nachdrücklich umgekrempelt.