Nein zum Kapitalschlüssel Wie die EZB bei Anleihekäufen danebengreift

Was taugen schon Regeln, wenn man sie dann doch außer Kraft setzt? Die Europäische Zentralbank (EZB) zum Beispiel interpretiert bei ihren Anleihekäufen ihre eigenen Vorgaben ziemlich frei. Zwar gilt als Messlatte der sogenannte Kapitalschlüssel, nach dem die Euroländer an der Zentralbank beteiligt sind. Doch davon weichen die Währungshüter in der Praxis zugunsten hoch verschuldeter Länder kräftig ab, wie eine Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) nun belegt. Autoren sind die Volkswirte Annika Havlik und Friedrich Heinemann, die sich bereits in früheren Studien mit den Anleihekäufen befasst haben.
Zum Hintergrund: Bis zum Studien-Stichtag Ende September hat die EZB für rund 3 Billionen Euro Anleihen aus der Eurozone gekauft. Seit März 2015 im Rahmen der Geldpolitik, um Inflation zu erzeugen (Public Sector Purchase Programme, PSPP). Und seit März 2020 als Notfallprogramm, um den Schaden durch die Corona-Krise zu begrenzen (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP). Bei gleichem Tempo sind es bis zum Jahresende 3,2 Billionen Euro, was laut ZEW 28 Prozent der öffentlichen Schulden in der Eurozone entspricht.
Allerdings weicht die EZB bei beiden Programmen kräftig von ihrem Kapitalschlüssel ab. So ist Italien über seine Zentralbank zu 13,8 Prozent am Eigenkapital der Zentralbank beteiligt. Im Rahmen des PEPP gewichtete diese italienische Anleihen aber um immerhin 2,9 Prozentpunkte höher. Hauptsächlich geht das zu Lasten Frankreichs, bei dem die EZB um 2,8 Prozentpunkte zu niedrig zulangte. Bei Deutschland sind es übrigens 0,2 Prozentpunkte zu wenig.
Nun mag das wenig erscheinen. Angesichts eines bis Ende September angesammelten Anleihevolumens von 512 Milliarden Euro allein beim PEPP, reden wir aber bei Italien über einen Mehrkauf von 15 Milliarden Euro. Und die Programme laufen weiter.