Pilnys Asia Insights Xi Jinping schwört die Chinesen auf unruhige Zeiten ein
Langsam rollt Xi Jinping in einer extralangen schwarzen Hongqui H9 Limousine vor – wie schon bei der Abnahme der Militärparade 2019 zum 70. Jahrestag der Gründung der VR China. Der 7er BMW-Klon wurde vom Staatskonzern FAW Group speziell für Xi ausgerüstet, damit er in einer Mao-Jacke im offenen Wagen stehend huldvoll den über 150.000 Parteimitgliedern zuwinken kann, die sich ordentlich vor der Großen Halle des Volkes im Herzen von Peking aufgereiht haben. Die Straße ist mit 120 Metern Abstand zur Menschenmenge abgesperrt. Elitesoldaten der Volksbefreiungsarmee stehen in Reih und Glied wie eine Wand vor der Menge. Die jubelnden Menschen tragen alle schwarze Kleidung und winken mit kleinen roten Fahnen – wie seinerzeit mit Mao-Bibeln.
Xi Jinping steigt aus, winkt ihnen mit einer Hand und einer mechanischen 180-Drehung kurz zu. Dann verschwindet er schnellen Schrittes, umgeben von 12 Sicherheitsbeamten, im Kongressgebäude. Dort erwartet ihn und die Parteiführung eine straffe Agenda. Rückblick und Ausblick. Im Zentrum: die Null Covid Politik und Taiwan. Themen, die China und vielleicht bald die Welt bewegen…
Wie stark der aktuelle Parteitag der Kommunistischen Partei alles andere in China beeinflusst, sieht man daran, dass das staatliche Statistikamt die Bekanntgabe der aktuellen Wirtschaftszahlen verschoben hat.
Ordnung und Harmonie sind oberstes Gebot in China – nach außen und nach innen. Und das Zahlenwerk ist relativ. Es hat sich wie alles andere der Partei und ihrem Programm zu unterwerfen. Der 20. chinesische Parteitag manifestiert nur was de-facto schon seit langem – im wahrsten Sinne des Wortes – abgelaufen ist, nämlich das Ende der Bemühungen von Deng Xiao Ping, die absolute Macht eines Einzelnen durch das Prinzip der kollektiven Führung einzuhegen.
In meinem dieswöchigen Interview bei TV Berlin hatte ich ausgeführt, dass Deng dies nicht zuletzt aufgrund seiner Traumatisierung in der Kulturrevolution ein Herzensanliegen war. Xis Vater hingegen – ein früher Kampfgenosse von Mao Zedong – hatte zwar auch unter seiner Entmachtung in den Wirren der Kulturrevolution gelitten und dadurch für ländliche Umerziehungsaufenthalte des jungen Xi gesorgt. Das hat aber Xis Glaube an die Allmacht der Partei anscheinend eher verstärkt…
Xi Jinping warnt vor „hohen Wellen und scharfem Wind“
Gleich am Sonntag, dem ersten Tag des 20. Parteitags der Kommunistischen Partei, hat Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping seinen Arbeitsbericht vorgetragen. Alle Delegierten hatten sich in der Großen Halle des Volkes an der Westseite des Tiananmen-Platzes in Peking versammelt, als Xi um kurz nach zehn Uhr vor die Mikrofone trat. In seinem rund anderthalbstündigen Vortrag blickte er auf die zurückliegenden fünf Jahre zurück und gab einen Ausblick auf die kommenden Jahre. Vor dem Hintergrund vieler geopolitischer Verwerfungen schwor Xi die Chinesen auf unruhige Zeiten ein. Er warnte vor „hohen Wellen und scharfem Wind“, auf die China gefasst sein müsse. Bezeichnenderweise wählte er 73-mal die Begriffe „Schutz“ oder „Sicherheit“ und nur noch 16-mal den Begriff „Reformen“, der in seiner Rede vor fünf Jahren noch 70-mal verwendet wurde.…
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Wie bei dem ikonischen Bild des einsamen Chinesen der mit erhobenen Händen beim Massaker auf dem Tian’anmen-Platz 1991 Panzer aufhielt, hatte am Donnerstag vor der Eröffnung ein Mann an einer Fußgängerbrücke über einer der Pekinger Ringautobahnen zwei Transparente mit Protestparolen gegen die Zero-Covid-Strategie befestigt. „Essen statt Testen“ lautete eine, „Freiheit statt Lockdown“ eine andere. Nach der prompten Verhaftung hatten die Behörden die Sicherheitsvorkehrungen in der Hauptstadt noch mehr verschärft. Reformen sind eben nur noch von oben nach unten erwünscht.
An Null-Covid-Strategie wird nicht gerüttelt
Gleich zu Beginn erläuterte Xi, Chinas Null-Covid-Strategie sei ein „umfassender Volkskrieg, um die Verbreitung des Virus zu stoppen“. Die Regierung habe die Rettung von Leben über alles andere gestellt. In der Tat hat China hat wenige Todesfälle zu beklagen, muss wegen der schwachen Immunisierung der Bevölkerung und des mangelhaft ausgebauten Gesundheitssystems allerdings immer wieder Lockdowns verhängen. Durch die Rede von Xi und verschiedene Berichte in chinesischen Staatsmedien ist nunmehr klargeworden, dass China an seiner Nulltoleranzpolitik wohl doch nicht rütteln wird.
Wirtschaftspolitik: Privatunternehmen haben es schwer
Seit einigen Jahren hatte der „große Navigator“ Xi durch mehr staatliche Intervention, eine Stärkung der Staatsunternehmen und das Zurückdrängen erfolgreicher Privatunternehmen, etwa in der Tech-Industrie, für große Verunsicherung gesorgt. Der Pragmatismus, der Chinas Politiker lange Zeit auszeichnete, ist zunehmend in den Hintergrund gerückt. Ideologie hat die Oberhand und wird sie behalten. Dies hat Xi in seiner Rede sehr deutlich gemacht.