FvS-Stratege Philipp Vorndran
Wie gefährlich ist die EZB-Politik?

Philipp Vorndran ist Kapitalmarktstratege bei der Anlagegesellschaft Flossbach von Storch. Foto: Flossbach von Storch
Die Europäische Zentralbank ist mehr als nur eine Notenbank, sie greift massiv in die Märkte ein. Hier gibt FvS-Stratege Philipp Vorndran eine Einschätzung, ob die Geldpolitik eher Fluch oder Segen ist.
Christine Lagarde ist eine erfahrene Politikerin. Die Französin war unter anderem Ministerin für Landwirtschaft und Fischerei sowie für Wirtschaft und Finanzen ihres Landes. Und sie war Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Seit November 2019 steht sie der Europäischen Zentralbank (EZB) als Präsidentin vor. Die EZB ist eine Institution, die eigentlich gar nicht politisch sein darf, sondern gänzlich unabhängig zu sein hat. Zumindest in der Theorie. Ihre wichtigste Aufgabe: den Geldwert der Gemeinschaftswährung langfristig stabil zu halten. Die Praxis ist jedoch eine andere: Die EZB ist, entgegen allen Beteuerungen von Politikern und Notenbankern, eben doch eine politische Institution....
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Christine Lagarde ist eine erfahrene Politikerin. Die Französin war unter anderem Ministerin für Landwirtschaft und Fischerei sowie für Wirtschaft und Finanzen ihres Landes. Und sie war Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Seit November 2019 steht sie der Europäischen Zentralbank (EZB) als Präsidentin vor. Die EZB ist eine Institution, die eigentlich gar nicht politisch sein darf, sondern gänzlich unabhängig zu sein hat. Zumindest in der Theorie. Ihre wichtigste Aufgabe: den Geldwert der Gemeinschaftswährung langfristig stabil zu halten. Die Praxis ist jedoch eine andere: Die EZB ist, entgegen allen Beteuerungen von Politikern und Notenbankern, eben doch eine politische Institution. Sie kann gar nicht anders.
Der Euro ist vor allem ein politisches Projekt, das gut gemeint, aber nicht sonderlich gut gemacht ist. Eine gemeinsame Währung hätte zwingend eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik vorausgesetzt. Europa hätte also zunächst weiter zusammenwachsen müssen, ehe man eine gemeinsame Währung implementiert. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Wir sind keine renitenten Eurogegner, ganz im Gegenteil: Wir sind überzeugte Europäer. Wer eine gemeinsame Währung will, der braucht aber deutlich mehr Europa.
Die EZB füllt ein Vakuum
Das Vakuum, das die Politik hinterlässt, füllt gezwungenermaßen die EZB. Nie ist das deutlicher geworden als während der Finanz- und Schuldenkrise in den Jahren 2011 und 2012 und danach. Es war Mario Draghi, der frühere EZB-Chef und Vorgänger Christine Lagardes, der im Sommer 2012 mit seiner (heute) legendären „Whatever-it-takes-Rede“ die Finanzwelt beruhigte.
Draghi vermochte mit nur wenigen, scheinbar beiläufig dahergesagten Sätzen, was keinem Regierungschef zuvor in unzähligen nächtlichen Krisensitzungen gelungen war: Er hatte der Eurokrise etwas entgegenzusetzen. Ein Versprechen, das in der Folge unterlegt wurde mit gewaltigen Notenbankhilfen, etwa in Form von Anleihekäufen, die mit einer massiven Ausweitung der Notenbankbilanz einhergingen. Die Risikoprämien von Anleihen der hoch verschuldeten Eurostaaten sanken – das Vertrauen in den Euro kehrte allmählich wieder zurück. Auch wenn Draghi sich in seiner Amtszeit allerlei Kritik gefallen lassen musste – er hat damals die Währungsgemeinschaft gerettet, weil er tat, was in der damaligen Situation notwendig war.
Das Problem: Draghis Rettungsversprechen wurde in der Folge nur allzu gerne als Vollkaskoversicherung missverstanden. Von Investoren, Konsumenten, nicht zuletzt von Politikern. Wenn in jeder Krise ohnehin die Notenbank parat steht, nimmt das die Last der eigenen Verantwortung. Gravierender noch: Die Hilfsbereitschaft verändert möglicherweise das eigene Verhalten. Frei nach dem Motto: Was kostet die Welt? Der Mensch ist bequem, er gewöhnt sich an Geschenke – sehr schnell sogar. Der rasante Anstieg der (Staats-)Schulden innerhalb der Eurozone ist ein Beleg dafür.
Die Pandemie als Wendepunkt
Draghis Appelle an die Regierungschefs der Eurozone, die anfänglichen Hilfen der EZB doch tunlichst als zeitlich begrenzt zu verstehen und die gekaufte Zeit zu nutzen, um Reformen zu verabschieden und so die Eurozone wetterfest zu machen, verpuffter. Mit Reformen lassen sich nun mal keine Wahlen gewinnen. Aus der Europäischen Zentralbank ist so ein Versicherungsverein geworden und aus Draghi ein Politiker. Schattenkanzler der Eurozone wurde er während seiner Amtszeit in verschiedenen Medien genannt. Das traf es sehr gut, wie ich finde.
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