Feri-Chefvolkswirt Axel Angermann
Wie hoch steigt die Inflation noch?
Feri-Chefvolkswirt Axel Angermann. Foto: Feri
Steigende Energiepreise treiben die Inflation aktuell deutlich nach oben. Ob der Trend anhält, ist unter Experten umstritten. Feri-Chefvolkswirt Axel Angermann rechnet langfristig mit einer hohen Teuerungsrate.
Im Jahr 1996 erschien ein Buch des britischen Ökonomen Roger Bootle mit dem Titel „The Death of Inflation“. Unter den Ökonomen war Bootle mit seiner Prognose einer Ära stabiler Preise damals klar ein Außenseiter, aber er hatte gute Argumente auf seiner Seite: Die Globalisierung der Märkte, der daraus resultierende Wettbewerb der Industrieländer mit aufstrebenden Volkswirtschaften in Asien und Osteuropa und der Rückzug des Staates aus der Wirtschaft stellten die Unternehmen und die Finanzmärkte in den alten Industrieländern vor grundlegend neue Bedingungen, in deren Folge Preise und Löhne zunehmend unter Druck gerieten.
Tatsächlich betrug die durchschnittliche Inflationsrate in den USA...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Im Jahr 1996 erschien ein Buch des britischen Ökonomen Roger Bootle mit dem Titel „The Death of Inflation“. Unter den Ökonomen war Bootle mit seiner Prognose einer Ära stabiler Preise damals klar ein Außenseiter, aber er hatte gute Argumente auf seiner Seite: Die Globalisierung der Märkte, der daraus resultierende Wettbewerb der Industrieländer mit aufstrebenden Volkswirtschaften in Asien und Osteuropa und der Rückzug des Staates aus der Wirtschaft stellten die Unternehmen und die Finanzmärkte in den alten Industrieländern vor grundlegend neue Bedingungen, in deren Folge Preise und Löhne zunehmend unter Druck gerieten.
Tatsächlich betrug die durchschnittliche Inflationsrate in den USA in den Jahren von 1997 bis 2020 rund 2 Prozent, nachdem sie in den 25 Jahren zuvor bei 5,5 Prozent gelegen hatte. In Europa sank die durchschnittliche Inflationsrate sogar deutlich unter die Marke von 2 Prozent.
Derselbe Autor, heute Chef von Capital Economics, sieht derzeit einen „Rebirth of Inflation“ und prognostiziert für die Zukunft deutlich höhere Inflationsraten als in den vergangenen beiden Jahrzehnten. Damit ist er zwar nicht ganz so sehr Außenseiter wie im Jahr 1996, positioniert sich aber wiederum außerhalb des ökonomischen Mainstreams. Im Folgenden wollen wir der Frage nachgehen, welche Argumente für eine systemisch höhere Inflation sprechen und welche möglicherweise dagegen. Der Fokus liegt dabei auf der langfristigen Perspektive und auf den Industrieländern. Angesichts aktuell deutlich erhöhter Inflationsraten ist es aber sinnvoll, mit einer Analyse der gegenwärtigen Lage zu beginnen.
Die Post-Corona-Inflation
Die Inflationsraten liegen aktuell (September 2021) weltweit fast überall über dem Niveau unmittelbar vor Beginn der Corona-Pandemie (zu den wenigen Ausnahmen gehören allerdings mit China und Japan zwei Schwergewichte der Weltwirtschaft.) In den USA liegt die Inflation bei mehr als 5 Prozent, im Euroraum bei 3,5 Prozent, in Großbritannien ebenfalls bei mehr als 3 Prozent. Für diesen Anstieg der Inflation in den vergangenen Monaten gibt es vor allem drei Gründe:
- Höhere Energiepreise: Der Rohölpreis (Brent) fiel im Zuge der Corona-Pandemie von rund 66 US-Dollar pro Fass Ende 2019 auf 23 US-Dollar im April 2020. Mit der Lockerung der Lockdown-Maßnahmen und der Wiederbelebung der Wirtschaft erholte er sich wieder, erreichte im März 2021 das Ausgangsniveau und stieg wegen des weiterhin relativ knappen Angebots seitens der wichtigsten Ölförderländer bei hoher Nachfrage auf mehr als 80 US-Dollar. Im Vorjahresvergleich ergeben sich daraus zum Teil enorme Zuwachsraten – in der Spitze übertraf der Ölpreis im April das Vorjahresniveau um 177 Prozent.
Zwar laufen diese Basiseffekte, die sich aus dem Vergleich mit niedrigen Vorjahreswerten ergeben, mit der Zeit aus. Aber gerade der jüngste Preisanstieg für Öl und mehr noch für Erdgas zeigt, dass die inflationstreibende Wirkung hoher Rohstoffpreise damit nicht automatisch zu Ende geht. Sollte der hohe Ölpreis nicht nur an einer künstlichen Angebotsverknappung durch das OPEC+-Kartell liegen (dessen Disziplin womöglich nicht endlos belastbar ist), sondern auch an zu geringen Investitionen in Förderkapazitäten (wofür manches spricht), blieben uns hohe und unter Umständen weiter steigende Rohstoffpreise auf absehbare Zeit erhalten. - Nachholeffekte nach der Pandemie: Auch die Preise für etliche Güter und Dienstleistungen, deren Anbieter von der Pandemie beziehungsweise den Lockdown-Maßnahmen besonders betroffen waren, sanken im Lockdown deutlich. Dazu gehören beispielsweise die Preise im öffentlichen Personenverkehr, die in den USA um bis zu 20 Prozent zurückgingen, um in der wirtschaftlichen Erholung wieder zu steigen. Aktuell liegen sie um mehr als 8 Prozent über dem Vorjahresniveau und wirken damit für die Gesamtinflation preistreibend, das Niveau dieser Preise ist damit aber immer noch um 9 Prozent niedriger als vor der Pandemie.
Ähnliches gilt für die Preise für Flugreisen oder für Bekleidung. Ob und wann im Einzelfall das Ursprungsniveau wieder erreicht wird, hängt von den Wettbewerbsverhältnissen ab; man darf aber vermuten, dass es hier noch ein gewisses „Normalisierungspotenzial“ mit einem entsprechend anhaltenden Effekt auf die Inflationsrate gibt. - Störungen globaler Lieferketten und daraus resultierende Angebotsengpässe: Ein wesentlicher Treiber der Inflation ergibt sich aktuell aus Knappheiten in der Herstellung und im Transport wichtiger Vorprodukte wie etwa von Halbleitern für die Automobilindustrie. Diese Störungen sind vor allem dort gravierend, wo es global nur wenige Anbieter gibt und sich der Ausfall einiger weniger Anbieter – sei es infolge von Havarien oder wegen der Umstellung der Produktion auf andere Verwendungszwecke – unmittelbar bemerkbar macht. Folge sind höhere Knappheitspreise sowohl für die Vorprodukte als auch ggf. für die daraus gefertigten Endprodukte. Die Automobilhersteller beispielsweise konnten bis zum Ende des Sommers den durch den Halbleitermangel verursachten Produktionsausfall durch höhere Preise für ihre Produkte kompensieren und mussten deshalb bislang keine größeren Gewinnrückgänge hinnehmen.
Die Preise für Neu- und Gebrauchtwagen stiegen in den USA um fast 20 Prozent und waren damit in der Spitze allein für 1,5 Prozentpunkte Inflation verantwortlich. Irgendwann wird es für die Anbieter allerdings zunehmend schwerer, weitere Preiserhöhungen durchzusetzen. Dies scheint in der Branche inzwischen der Fall zu sein, jedenfalls sind die Preise für Fahrzeuge seit dem Sommer nicht weiter gestiegen. Insgesamt zeigt sich allerdings immer deutlicher, dass die ursprüngliche Hoffnung auf ein schnelles Verschwinden dieser Angebotsengpässe verfrüht war.
Mit Blick auf die Halbleiterproduktion wird inzwischen mit einer Normalisierung der Angebotslage frühestens im zweiten Halbjahr 2022 gerechnet. Auch die von der zeitweisen Schließung von wichtigen Häfen ausgelösten Hemmnisse im globalen Güterverkehr dürften mindestens so lange andauern, wie etwa China an seiner strikten Null-Covid-Politik festhält. Damit dürfte dieser preistreibende Faktor im Grundsatz weiter wirksam bleiben, auch und gerade, weil im Zeitablauf immer wieder andere Produktgruppen davon betroffen sind.
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