Von Dispositionseffekt und Vertrautheitsvorurteil Wie kognitive Verzerrungen Anleger irrational handeln lassen
Die Verhaltensökonomik analysiert, wie kognitive Verzerrungen auch scheinbar rationale Entscheidungen beeinträchtigen können, etwa Geldanlageentscheidungen. Unter anderem konnte gezeigt werden, dass Individuen häufig eine asymmetrische Risikoaversion aufweisen. Das heißt, dass Verluste mehr Schmerz bereiten, als ein vergleichbar großer Gewinn Freude auslöst. Dies bringt auch viele Investoren dazu, aus Angst vor schmerzhaften Verlusterfahrungen irrational zu handeln.
Der Dispositionseffekt
Ein daraus entstehendes Phänomen ist der sogenannte Dispositionseffekt. Investoren neigen dazu, Gewinnpositionen vorschnell zu verkaufen, um den Gewinn zu sichern, während sie Verlustpositionen zu lange halten, um die schmerzhafte Verlustrealisation zu vermeiden. Gerade zum Jahreswechsel wird häufig auf das letzte Kalenderjahr zurückgeblickt und evaluiert, welche Investments gut und welche schlecht gelaufen sind.
Abgesehen von steuerlichen Aspekten ist es aber wenig hilfreich, aus Nervosität die Gewinner zu verkaufen. Ob ein Unternehmen eine langfristig attraktive Perspektive aufweist, sollte zudem nicht an einem einzigen Stichtag wie dem Neujahr festgemacht werden. Wenige Wochen vor oder nach dem Jahreswechsel kann die Performance der Positionen wieder anders aussehen. Eine laufende Betrachtung der Entwicklung aller Beteiligungen über das Jahr hinweg ist hier sinnvoller.
Das Vertrautheitsvorurteil
Ein weiteres Phänomen ist das sogenannte Vertrautheitsvorurteil. Investoren bevorzugen vertraute Investitionen, selbst wenn eine breitere Diversifikation das Risiko reduziert. Dies zeigt sich beispielsweise bei Immobilienbesitzern, die aufgrund positiver Erfahrungen immer weitere Immobilien in ihrer Heimatstadt kaufen, anstatt breiter zu diversifizieren.
Derselbe Effekt existiert aber auch innerhalb von Anlageklassen, beispielsweise in Form einer Vorliebe für bestimmte Branchen oder Regionen. Investoren, die positive Erfahrungen mit einer Branche gemacht haben, bevorzugen oft unbewusst Investitionen innerhalb derselben Branche. Dies geht jedoch auf Kosten der Diversifikation. Und eine schlechte Branchenperformance kann das Portfolio schwerer treffen als nötig.
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Eine Sonderform ist der Home-Bias: in Deutschland werden häufig nur der Dax oder heimische Aktien gekauft, da die Namen der Unternehmen den Anlegern vertrauter sind. Auch hier reduziert in der Regel eine Diversifikation über mehrere Regionen das Risiko deutlich.
Aktienportfolio: „Schöne Sprösslinge“ versus „Unkraut“
Insgesamt verdeutlichen diese Phänomene, dass vermeintlich rationale Investmententscheidungen von Emotionen beeinflusst werden. Um dem Dispositionseffekt entgegenzuwirken, sollten Anleger zunächst verstehen, dass sie sich durch Aktien an der langfristigen Entwicklung der Cash Flows und Unternehmensgewinne beteiligen. Durch den regelmäßigen Verkauf der Positionen mit guter Entwicklung entfernt man häufig auch einige der besten Unternehmen aus dem Portfolio. Übrig bleiben ausgerechnet die Unternehmen, deren langfristige Perspektive gegebenenfalls noch einmal überdacht werden sollte.
Im Grunde kann ein Aktienportfolio auch wie ein Garten betrachtet werden. Es wäre nicht sinnvoll, immer wieder die schönsten Sprösslinge herauszureißen und nur das Unkraut wachsen zu lassen. Außerdem ist es für Investoren ratsam, sich das Vertrautheitsvorurteil bewusst zu machen. Durch eine breite Diversifikation über mehrere Branchen, Regionen oder sogar Anlageklassen, lassen sich Klumpenrisiken deutlich verringern, und aus dem Portfolio wird ein ausgewogenes Gesamtkonzept.
Über den Autor:
Georgios Passameras ist Portfoliomanager der GAP Vermögensverwaltung in Köln.