LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche

Themen-Experte Werte schaffen mit aktivem 360°-Ansatz

ANZEIGE
ANZEIGE

Staatsanleihen aus Industrieländern Wie lässt sich ESG in die Analyse von Staatsanleihen integrieren?

Fallende Kurse am Aktienmarkt erhöhen die Nachfrage nach US-Treasuries: ESG-Faktoren haben auch bei Staatsanleihen einen relativ hohen Einfluss auf die langfristige Wertentwicklung.
Fallende Kurse am Aktienmarkt erhöhen die Nachfrage nach US-Treasuries: ESG-Faktoren haben auch bei Staatsanleihen einen relativ hohen Einfluss auf die langfristige Wertentwicklung. | Foto: Imago Images / Xinhua

Lior Jassur, MFS Investment Management

Während der Schuldenkrise im Euroraum waren Anleihen aus Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien überaus volatil. Im Nachgang sahen sich Anleger dazu veranlasst, einer gründlichen Analyse, auch im Hinblick auf ESG-Faktoren, mehr Bedeutung beizumessen. Auch wenn die Berücksichtigung einzelner ESG-Faktoren schon seit vielen Jahren fester Bestandteil der Analyse von Staatsanleihen ist, ist es mit der expliziten Einbeziehung dieser Faktoren noch nicht weit her. In der Vergangenheit wurden bei der Analyse von Staatsanleihen aus den entwickelten Ländern Faktoren wie das Bevölkerungsprofil, die Stabilität und Politik der Regierungen sowie die Struktur des Arbeitsmarktes als Teil der makroökonomischen und steuerlichen Analyse des Emittenten berücksichtigt. In den vergangenen Jahren ist zusätzlich die Berücksichtigung von ESG-Faktoren in den Fokus gerückt.

Hürden für die Integration von ESG

Während die Integration von ESG-Faktoren in die Analyse von Staatsanleihen inzwischen bei vielen Marktteilnehmern Standard ist, gibt es hierbei jedoch auch Schwierigkeiten. So mangelt es oft an der Konsistenz der Daten in diesem Bereich. Obwohl Rating-Agenturen und andere Datenanbieter viele Messgrößen für ESG-Faktoren entwickeln, beziehen sich die meisten Daten, die schon länger vorliegen, auf Governance und soziale Trends, wie sie von der OECD, der Weltbank und der Europäischen Kommission gemessen werden. Ein Staatsanleihen-Analyst kann nur auf wenige Daten zugreifen, sobald er ein breiteres Spektrum von ESG-Faktoren untersuchen will, die Einfluss auf die Entwicklung von Anlagen haben.

Das zweite Hindernis besteht darin, dass ESG-Faktoren oft mit anderen Faktoren verbunden sind. Die Kreditqualität eines Landes hängt im Laufe der Zeit von einer Reihe makroökonomischer Faktoren ab, etwa dem Wirtschaftswachstum, politischen Entscheidungen, Governance-Standards und der Fähigkeit, externen Schocks zu widerstehen. Hinzu kommen soziale Trends und Umweltveränderungen. Solche Überlegungen sind oft miteinander verflochten, und es ist unmöglich, einzelne ESG-Faktoren zu identifizieren und auszuwählen, die die Wertentwicklung von Anleihen in statistisch signifikanter Weise beeinflussen. So kann sich die Art der Regierungsführung eines Landes auf soziale Trends auswirken sowie auf dessen Fähigkeit, externen Schocks wie Dürren, Überschwemmungen und Bränden zu widerstehen. Ein Land wiederum, das in geringerem Maß vom Klimawandel betroffen ist, kann seine Kreditqualität trotz schlechterer Regierungsführung beibehalten.

Das dritte Hindernis sind die besonderen Merkmale der Anlageklasse. Staatsanleihen aus den entwickelten Ländern stellen die größte Anlageklasse bei den festverzinslichen Wertpapieren dar und ihre Wertentwicklung hängt häufig von der Regierungspolitik, der Bankenregulierung, Risiken an anderen Märkten, Währungsschwankungen und makroökonomischen Erwartungen ab.

Dennoch: Eine Reihe von ESG-Faktoren beeinflusst die Wertentwicklung von Industrieländer-Staatsanleihen. Trotz der gezeigten Schwierigkeiten lohnt es sich, sie zu identifizieren, zu überwachen und in die Anlageanalyse einzubeziehen, weil ihre Nichtbeachtung zu suboptimalen Ergebnissen führen kann.

ESG-Integration in der Analyse von Staatsanleihen der entwickelten Länder

Die ESG-Integration in den Research-Prozess erfordert, dass Investoren ESG-bezogene Faktoren explizit als integralen Bestandteil des Analyseprozesses berücksichtigen. Dabei ist es wichtig, die besonderen Merkmale staatlicher Emittenten im Vergleich zu Emittenten von Unternehmensanleihen zu kennen.

So gibt es zum einen unterschiedliche Einflusspositionen. Während die Emittenten von Unternehmensanleihen der Regulierung unterliegen, definieren die Emittenten von Staatsanleihen den gesetzlichen Rahmen selbst: Sie entscheiden über den rechtlichen Rahmen, in dem sie tätig sind.

Zum anderen: Während das Management und die Vorstände von Unternehmen verschiedenen rechtlichen Verpflichtungen gegenüber ihren Aktionären und Gläubigern unterliegen, sind Regierungen der Bevölkerung ihrer Länder verpflichtet. Folglich sollten Anleger nicht versuchen, das Verhalten der Regierung in der gleichen Weise zu beeinflussen wie die Geschäftsführung eines Unternehmens, wenn sie mit der Strategie oder Leistung des Unternehmens nicht zufrieden sind.

Und drittens stellt sich die Frage der Messung der Daten. Während Unternehmen ihre Emissionen messen oder modellieren können, ist es viel schwieriger, dies mit einem gewissen Grad an Genauigkeit auf Landesebene zu tun – die Ziele zur Verringerung der Umweltauswirkungen, um nur ein Beispiel zu nennen, unterscheiden sich von denen privater Unternehmen.

Infolgedessen müssen die meisten Anleger in Staatsanleihen ihre eigenen Rahmenwerke entwickeln, um ESG-Faktoren auf der Grundlage ihrer jeweiligen Anlageziele in ihren Research-Prozess zu integrieren. Viele Investoren beobachten wichtige Entwicklungen und überprüfen deren aktuelle Relevanz, um die Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit eines Landes einschätzen zu können. Oft wird ein einheitlicher Analyserahmen genutzt, sodass jedes Land anhand identischer Kriterien mit identischer Gewichtung beurteilt wird. Auf diese Weise lassen sich die ESG-Scores gut vergleichen.