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Aktualisiert am 24.08.2023 - 12:34 Uhrin Aktiver Ansatz aus ÜberzeugungLesedauer: 6 Minuten
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EU-Ökosiegel für Atomstrom Wie sieht die Zukunft der Kernenergie aus?

Bau eines Kernkraftwerks in der chinesischen Provinz Guangxi
Bau eines Kernkraftwerks in der chinesischen Provinz Guangxi: Deutschland ist aus der Kernkraft ausgestiegen, andere Länder setzen große Hoffnungen in die CO2-freie Methode, Energie zu erzeugen. | Foto: Imago Images / China Foto Press
Jess Williams

Die Kernkraft bietet eine Reihe von Vorteilen gegenüber anderen Energietechnologien: Sie liefert sauberen und zuverlässigen Grundlaststrom, was weniger zuverlässige erneuerbare Energiequellen nur schwer leisten können. Im Vergleich zu anderen Übergangstechnologien benötigt Kernkraft zudem weniger Rohstoffe (siehe Grafik). Aufgrund dieser Eigenschaften bietet sich die Kernkraft auf den ersten Blick zu einer vollständigen Umstellung unserer Energiesysteme auf kohlenstofffreien Strom an.

Grafik: Materialien, die für den Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft entscheidend sind, nach Technologietyp

Dennoch: Die Kernenergie ist bekanntlich umstritten. Radioaktive Abfälle und Vorfälle wie die Katastrophe von Fukushima 2011 haben die Öffentlichkeit noch misstrauischer gegenüber dieser Technologie gemacht. Angereichertes Uran kann überdies für Atomwaffen verwendet werden, weshalb die Atomprogramme von Ländern wie Nordkorea, Iran und natürlich Russland den westlichen Regierungen große Sorgen bereiten. Zu den Sicherheitsbedenken kommt hinzu, dass die Kosten für die Kernenergie hoch sind und die Projekte in der Regel verspätet und mit Überschreitung des Budgets fertig gestellt werden – obwohl sich einige asiatische Regionen gegen diesen Trend zu stellen scheinen.

Doch derzeit stehen in Europa und im Vereinigten Königreich eher die positiven Aspekte im Blickpunkt: Die Regierungen suchen nach Möglichkeiten, um die Energiesicherheit zu verbessern und gleichzeitig ehrgeizige Ziele zur Emissionssenkung zu erreichen. Die meisten Kernkraftwerke, die es heute gibt, sind Anlagen der dritten Generation, die meist mit Druckwasserreaktoren arbeiten. Diese sind relativ ineffizient bei der Nutzung ihrer Brennstoffe, da sie in der Regel nur 5 bis 8 Prozent der verfügbaren Energie nutzen und folglich eine Menge nuklear verseuchten Abfall erzeugen. Kernreaktoren der vierten Generation hingegen setzen verschiedene Technologien wie fortgeschrittene Schwerwasserreaktoren und Flüssigsalzreaktoren ein und können 95 bis 98 Prozent der im Brennstoff vorhandenen Energie nutzen – allerdings sind sie noch weit von einer kommerziellen Nutzung entfernt. Kleine modulare Reaktoren (SMR), die sehr viel weniger Platz benötigen als herkömmliche Anlagen und sich sehr viel schneller und standardisiert bauen lassen, sind eine näher liegende Perspektive. Darüber hinaus wird intensiv an Kernfusionsreaktoren geforscht.

Wie lassen sich die Kosten senken?

Ländern wie Südkorea und China ist es gelungen, die Kosten der Bereitstellung von Kernenergie zu senken. Dies ist zu einem großen Teil auf die Bauverfahren zurückzuführen. In beiden Ländern wird dasselbe Kraftwerkskonzept immer wieder verwendet, anstatt jedes Projekt individuell anzugehen, wie es anderswo üblich ist. Dadurch werden Kosten und Verzögerungen erheblich verringert. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Arbeitskräfte aufgrund der Regelmäßigkeit solcher Projekte über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen. In Regionen, in denen nur selten Anlagen gebaut werden, ist stattdessen eine Umschulung der Arbeitskräfte erforderlich, die Zeit in Anspruch nimmt.

Ein Beispiel: Betrachtet man die Kosten von Hinkley Point C, einer im Bau befindlichen Anlage im Vereinigten Königreich, die noch in diesem Jahr fertig gestellt werden soll, so entfällt der größte Teil auf die Finanzierung. Das liegt daran, dass europäische Nuklearprojekte für die finanzierenden Banken relativ risikoreich sind – der politische Wille ist oft diffus, und die Projekte verzögern sich in der Regel erheblich und überschreiten den Kostenrahmen. Wenn Länder wie das Vereinigte Königreich den Ansatz Südkoreas zum Bau standardisierter Anlagen übernehmen würden, um einige der zeitlichen Verzögerungen und Budgetüberschreitungen zu vermeiden, könnte dies zu einer Senkung der Finanzierungskosten beitragen. Vorteile der Standardisierung würden derzeit jedoch von niedrigen, aber steigenden Zinssätzen zunichte gemacht werden, auf die langlebige Infrastrukturprojekte wie die Kernkraft besonders empfindlich reagieren.

Wie steht es um die Sicherheit?

Die Sicherheit ist ein breites Anliegen im Zusammenhang mit Nukleartechnologien. Unfälle wie in Fukushima und Tschernobyl haben gezeigt, dass die Nutzung von Kernenergie in Teufels Küche führen kann. Beide Beispiele sind jedoch standortspezifisch und es ist unwahrscheinlich, dass sie sich in anderen kerntechnischen Anlagen wiederholen. In Tschernobyl beispielsweise waren RBMK-Reaktoren im Einsatz, die aufgrund von Bedenken hinsichtlich einer Reihe von Eigenschaften nie von einem Land außerhalb der UdSSR genutzt wurden. Fukushima hingegen liegt an der Bruchlinie zweier tektonischer Platten, was den Standort anfällig für Erdbeben und deren Auswirkungen wie Tsunamis macht. Die Anlage in Fukushima war nicht für ihren Standort ausgelegt, sodass im Gefolge eines schweren Erdbebens die Katastrophe eintrat. Unabhängig von den potenziellen Gefahren bei der Nutzung der Kernkraft ist indes die Lagerung der verstrahlten Abfälle eine äußerst umstrittene Frage.

Jüngst hat das Europäische Parlament dafür gestimmt, Investitionen in Gas- und Atomstrom unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig zu klassifizieren. Im Europaparlament gelang es Gegnern nicht, entsprechende Pläne mit einer Abstimmung zu stoppen. Zukünftig profitieren also auch Gas- und Atomkraftwerke von Investitionen in Klimafonds.

Zuvor kam die Gemeinsame Forschungsstelle (GFS), der Wissenschafts- und Wissensdienst der Europäischen Kommission, zu dem Schluss, dass es keine „wissenschaftlich fundierten Beweise dafür gibt, dass die Kernenergie der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt mehr schadet als andere Stromerzeugungstechnologien (Wind- und Solarenergie), die bereits in der Taxonomie als Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels enthalten sind“. Demnach erscheint die Kernenergie, wenn man die Todesfälle durch Luftverschmutzung berücksichtigt, im Vergleich zu fossilen Brennstoffen und Biomasse in einem sehr günstigen Licht und ist mit Wind-, Wasser- und Solarenergie durchaus vergleichbar.

Was die Zukunft bringt

Kurzfristig ist mit der Inbetriebnahme weiterer Druckwasserreaktoren der dritten Generation zu rechnen. So hat der französische Präsident Emmanuel Macron unlängst mindestens sechs neue Reaktoren angekündigt, wobei sich die Zahl dieser Reaktoren am Netz auf 14 erhöhen würde.

Die nächste Generation von SMR-Reaktoren dürfte gegen Ende des Jahrzehnts ans Netz gehen. China hofft, seinen ersten SMR bis 2026 in Betrieb nehmen zu können, und die britische Regierung erwartet, dass die (von Rolls Royce hergestellten) SMR bis Anfang der 2030er-Jahre Energie in das Netz einspeisen können.

Längerfristig könnten Technologien der vierten Generation zu einem kommerziellen Erfolg werden. Viele dieser Technologien gibt es schon seit Jahrzehnten, und einige wurden getestet, aber niemandem ist es bisher gelungen, sie auf den Markt zu bringen. So haben beispielsweise eine Reihe von staatlich finanzierten Forschungsinitiativen und einige Start-up-Unternehmen vor kurzem ihre Arbeit im Bereich der Flüssigsalzreaktoren aufgenommen.

Schließlich ist auch die Kernfusion eine Überlegung wert. Bei allen genannten Technologien handelt es sich um Kernspaltung, bei der große Atome (in der Regel Uran) gespalten werden. Bei der Kernfusion hingegen geht es um die Verschmelzung leichter Elemente (wie Wasserstoff). Die jüngsten Durchbrüche in Verbindung mit einer erheblichen Aufstockung der Forschungsmittel – von Hunderten von Millionen US-Dollar auf Milliarden von US-Dollar – deuten darauf hin, dass sie langfristig einsatzbereit sein könnten. Mit Kernfusion befasste Forschungsinstitute gehen davon aus, dass es noch fünf Jahre dauern wird, bis aus einer Fusionsreaktion mehr Energie entsteht als aufgewendet werden muss. Sie erwarten aber auch, dass binnen zehn Jahren Pilotanlagen installiert werden. Sie gehen folglich davon aus, dass die Kernfusion bis 2050 einen einstelligen Prozentsatz des weltweiten Energiemixes ausmachen könnte. Weitere Vorteile der Kernfusion bestehen darin, dass ihre Abfälle weit weniger radioaktiv sind als bei der Kernspaltung, und dass sie nur in begrenztem Umfang militärisch genutzt werden können – was wahrscheinlich zu einer größeren Akzeptanz in der Öffentlichkeit führen würde.

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