9 Vermögensverwalter schätzen ein Wie viel Nachhaltigkeit steckt in nachhaltigen ETFs?
„Sehr strenge ESG-Filter schmälern die Diversifikation“

Thomas Freiberger, Thomas Freiberger Vermögensverwaltung:
„Jeder Anleger definiert Nachhaltigkeit anders. Folglich dürften sich die Entscheidungskriterien bei ETFs grundsätzlich nicht von denen konventioneller Fonds unterscheiden. Denn Unternehmen, die für den einen Anleger nachhaltig sind, sind es für den anderen noch lange nicht. Ein ETF-Anbieter nimmt einen konventionellen Börsenindex und filtert zum Beispiel die ‚grüneren‘ Unternehmen heraus. Auch bei der strengsten Auswahl finden sich in den meisten der als nachhaltige definierten ETFs noch Unternehmen wie Microsoft oder Nestle, zu denen es kontroverse Meinungen gibt.
Grundsätzlich erkennt die akademische Forschung folgendes Muster: Unternehmen, die ESG-Grundsätze berücksichtigen, weisen niedrigere Finanzierungskosten, höhere Bewertungen und Gewinnmargen aus. Deshalb bestehen Anreize für Unternehmen, ihre ESG-Einstufungen zu verbessern. So überrascht es nicht, dass Energieunternehmen der Öl- und Gasförderung und -verarbeitung eine überdurchschnittliche Zahl an grünen Patenteinreichungen aufweisen, wie eine Studie feststellte. Ein ETF-Portfolio mit einem Übergewicht an braunen Unternehmen (Öl und Gas) könnte also ein innovativ-grüneres Portfolio aufweisen als die aktuell am Finanzmarkt bevorzugten. Die Forscher erachten es als paradox, dass die aktuell vorherrschenden ESG-Investmentkriterien gerade die Unternehmen, die besonders viele grüne Innovationen anmelden, diskriminieren.
Ein Beispiel für Greenwashing? Da fällt mir ein ETF ein, der laut Anlagerichtlinien Alkohol, Tabak, Glücksspiel, Rüstung, Waffen und Pornografie als Investments ausschließt, aber bei dem Microsoft im Index 10,88 Prozent Gewicht hat. Das Pentagon bestellte bei Microsoft AR-Brillen und Cloud-Dienste für mehr als 20 Milliarden Dollar. Der ETF schließt laut Beschreibung ein Investment in Rüstung aus. Indirekt wird jedoch in die Rüstungsindustrie investiert. Außerdem tauchen Atom- und Mineralölkonzerne sowie Goldminenbetreiber im Portfolio auf.
Sehr streng ausgelegte ESG-Filter bei aktiv gemanagten Fonds führen zu einem Verlust an Diversifikation. Das kann das Einzelrisiko der Anlagen erhöhen. Weniger strenge ESG-Filter andererseits führen zu Verwässerungseffekten.
Unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit werden aktuell viele aktiv gemanagte Fonds angepriesen, die hohe versteckte Kosten, eine geringe Diversifikation und ein extrem schlechtes Ertrags-Risikoverhältnis aufweisen. Daher sollte jeder Anleger ein Investment in vermeintlich nachhaltige Produkte sehr genau prüfen.“