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Interview mit Marie Niemczyk „Wir setzen auf die Energiewende, faire Arbeit und Ethik“

Gebäudedämmung in Stuttgart
Gebäudedämmung in Stuttgart: Dämmplattenhersteller sind in einem Sektor tätig, der eine äußerst wichtige Rolle bei der Verbesserung der globalen Energieeffizienz spielt. | Foto: Imago Images / Westend61

Marie Niemczyk, Candriam

Frau Niemczyk, Candriam setzt sowohl auf den direkten Dialog mit Unternehmen als auch kollaboratives ESG-Engagement. Könnten Sie uns mit Blick auf den direkten Dialog einen Eindruck der Tätigkeit Ihres Hauses verschaffen?

Marie Niemczyk: Im vergangenen Jahr waren 274 Unternehmen Ziel unserer direkten Dialogbemühungen. Zum Vergleich: Auf diese Aktienunternehmen, Emittenten von Anleihen und Private-Equity-Beteiligungen entfallen 35 Prozent des von Candriam verwalteten Kapitals.

Welche Themen wurden zur Sprache gebracht?

Niemczyk: Die drei wichtigsten Themen unserer Engagement Conviction sind Energiewende, faire Arbeitsbedingungen und Unternehmensethik. Diese Themen hat unser Engagement-Team und das Candriam-Exekutivkomitee bereits im Jahr 2014 festgelegt.

Könnten Sie den Candriam-Ansatz anhand eines Beispiels aus diesen drei Bereichen näher erläutern?

Niemczyk: Nehmen wir das Thema Humankapital in kleinen und mittelgroßen Unternehmen, den KMU: Das wettbewerbsintensive Geschäftsumfeld und das typischerweise schnelle Wachstum kleiner und mittlerer Unternehmen kann für deren Mitarbeiter eine Belastung darstellen. Da KMU am Arbeitsmarkt mit größeren Unternehmen konkurrieren und zugleich mit denselben Offenlegungserwartungen konfrontiert sind wie diese, können kleinere Unternehmen mehr Risiken im Bereich Humankapital ausgesetzt sein.

Basierend auf unserer langjährigen Erfahrung mit direktem und kooperativem Engagement haben wir ein Programm für direktes Engagement entwickelt, das speziell auf diese Beteiligungsunternehmen zugeschnitten ist. Wir arbeiten mit diesen Unternehmen zusammen, um die Offenlegung ihrer HCM-Daten (Human Capital Management, kurz HCM, Anm. d. Red.) zu verbessern – wobei wir uns bemühen, dass die Unternehmen ein genaueres Verständnis für etwaige Probleme und die Möglichkeiten einer besseren Verwaltung des Humankapitals zur Optimierung ihrer Geschäftsergebnisse bekommen.

Und wie macht Candriam das konkret?

Niemczyk: Wir befragten die Unternehmen zu 13 Schlüsselkennzahlen. Die KPIs bezogen sich auf sieben Themen: Altersstruktur der Belegschaft, Arbeitsorganisation und -abläufe, Stabilität der Belegschaft, Mitarbeiterrekrutierung und -entwicklung, Praktiken zur Mitarbeiterbindung und Management der Covid-19-Krise.

Die Firmen beschäftigen sich damit?

Niemczyk: Die Rücklaufquote war erfreulich hoch. In der ersten Phase, zwischen November 2020 und August 2021, wendeten wir uns an mehr als 60 Unternehmen mit einer Rücklaufquote von 72 Prozent. Unsere erste Erkenntnis war, dass die kleinen und mittelgroßen Unternehmen trotz ihrer begrenzten Ressourcen, die sie für die Beantwortung von Anlegeranfragen zur Verfügung haben, sehr entgegenkommend waren.

Sie schienen die Bedeutung des Humankapitals zu verstehen und zeigten große Bereitschaft, ihre Offenlegung zu verbessern. Die Transparenz war je nach Thema sehr unterschiedlich. Bei näherer Betrachtung der Antworten entdeckten wir indes starke Unterschiede in den Offenlegungsniveaus der einzelnen KPIs. So gab es zum Beispiel zum Thema Altersstruktur der Belegschaft die vollständigsten Antworten, während Daten zur Stabilität der Belegschaft, zur Personalbeschaffung und -entwicklung den Unternehmen mitunter Schwierigkeiten bereiteten.

Immerhin ist der Trend eindeutig: Anlegerdialoge zielen darauf ab, die Praktiken der Unternehmen zu beeinflussen. Wenn es um wichtige Veränderungen in der Unternehmenspraxis geht, können jedoch kollektive Initiativen wirkungsvoller sein als individuelle Dialoge. Inwieweit gewinnen kooperative Initiativen aufgrund der Hebelwirkung, die sie den Aktionären bieten, bei Candriam an Bedeutung?

Niemczyk: Im Jahr 2021 haben wir im Rahmen unserer kooperativen Dialoge nicht weniger als 4.248 Unternehmen zu verschiedenen ESG-Themen angesprochen. Diese Emittenten machen 86 Prozent des von Candriam verwalteten Kapitals aus.

Könnten Sie den kooperativen Ansatz ebenfalls am Beispiel illustrieren?

Niemczyk: Im vergangenen Jahr starteten wir unsere erste gemeinsame Initiative zu den Risiken, die mit der Entwicklung und Nutzung von Gesichtserkennungstechnologien verbunden sind. Unserer Einschätzung nach, die viele Branchenpartner teilen, lässt das Verständnis für die Risiken und Herausforderungen im Zusammenhang mit neuen Technologien, insbesondere der Biometrie, generell noch zu wünschen übrig.

Der Hintergrund: Die Regulierungsbehörden sind nicht in der Lage, mit dem rasanten Tempo der Innovationen und den vielen Fragen, die sich stellen, Schritt zu halten. Wir hielten es für notwendig, in diesem Bereich eine Vorreiterrolle zu übernehmen, um die Diskussion zu fördern, die Probleme zu benennen, die Unsicherheit zu verringern und letztlich zur Festlegung bewährter Verfahren in diesem Bereich beizutragen.

Ein wichtiges Thema, ja. Wie sieht der kooperative Ansatz am Beispiel eines konkreten Unternehmens aus?

Niemczyk: Erinnern Sie sich an den Grenfell Tower, ein Hochhaus mit Sozialwohnungen im Westen von London? Er geriet 2017 in Brand. Mit 70 Toten und mehr als 70 Verletzten war dies der verheerendste Brand eines Wohngebäudes in Großbritannien seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die Kingspan Group, ein Unternehmen mit Sitz in Irland, das Lösungen für Gebäudeisolierung und -verkleidung anbietet und in dem wir investiert sind, ließ daraufhin ihre Dämmplattensparte von externen Beratern genau untersuchen. Als führender Hersteller von Isolierungslösungen ist das Unternehmen in einem Sektor tätig, der eine äußerst wichtige Rolle in der raschen Entwicklung von Lösungen zur Verbesserung der globalen Energieeffizienz spielt.

Speziell für Kingspan hat die Tragödie im Grenfell Tower erhebliche Mängel in der Risikokontrolle, in der Compliance und Unternehmenssicherheit im Dämmplattensektor im Vereinigten Königreich zu Tage getragen. Das ordnungsgemäße Funktionieren dieser drei Sicherheitsstufen zur Steuerung des Risikomanagements auf Konzernebene wurde ganz allgemein in Frage gestellt. Kingspan gab „eine Reihe von nicht akzeptierbaren Prozessmängeln im Dämmplattengeschäft im Vereinigten Königreich ... [und] der Unternehmenskultur, die nicht dem allgemeinen Unternehmensgeist der Gruppe entspricht“ zu. Eine Beratungsgesellschaft wurde um Vorschläge für Abhilfemaßnahmen gebeten, die zusätzlich zu den bei Kingspan bereits durchgeführten Änderungen umgesetzt werden sollten.

Der Dämmplattenhersteller „isoliert“ sich, salopp gesprochen, seither nicht mehr gegenüber Share- und Stakeholdern?

Niemczyk: Wir bei Candriam sind der Meinung, dass sinnvolle Corporate-Governance-Praktiken zu einer Unternehmenskultur führen, die auf eine echte Berücksichtigung des Risikomanagements und der Compliance beruhen, was letztendlich langfristige Unternehmenswerte schafft.