„Wir sind Helden, keine Schurken“
Am Donnerstag, den 9. Oktober, waren sie zurück. Leerverkäufer, die auf fallende Aktienkurse setzen, durften in den USA ihr Geschäft wieder aufnehmen. Der amerikanische Aktienindex S&P 500 gab an jenem Tag 7,6 Prozent nach und beendete tags darauf die Woche mit einem Rekordminus von 18,2 Prozent.
Knapp drei Wochen zuvor hatte die USBörsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) die Spekulation auf fallende Notierungen von 799 Finanzwerten verboten. Etliche weitere Unternehmen kamen später auf die Liste, und Aufseher rund um den Globus folgten mit eigenen Verboten. An vielen Märkten sind Wetten auf fallende Aktienkurse nach wie vor untersagt.
Finanztitel fielen trotz Verbots
Gebracht hat das Verbot wenig: US-Finanztitel verloren während des Verbotszeitraums 23 Prozent an Wert, rund um den Globus stürzten die Börsen ab. „Es ist schwer zu sagen, ob es sonst noch schlimmer gekommen wäre“, sagt Mozaffar Khan, Finanzprofessor am Massachusetts Institute of Technology. „Die Studien, die wir über Leerverkäufe machen, beziehen sich auf normale Zeiten, und wir wissen einfach nicht, was das Ergebnis in Zeiten der Panik wäre.“
Sicher ist allerdings, dass das Verbot andere Effekte hatte: Die britische Fondsgesellschaft Gartmore hat den geplanten Start eines Long-Short-Fonds verschoben, der Hedge-Fonds-Riese Man musste mit seinem Flaggschiff-Fonds AHL seine Finanztitel-Positionen schließen, und Winton Capital verbannte gleich sämtliche Aktien aus dem Portfolio des Evolution Fund, weil den Managern nicht klar war, ob die Computermodelle, die das Portfolio steuern, ohne Finanzwerte überhaupt funktionieren. Auch andere Hedge-Fonds, die sich mit Short-Positionen gegen fallende Kurse absichern, mussten aussteigen.
„Wir verkaufen eine Aktie nicht, weil wir politische Ziele verfolgen, sondern weil sie überbewertet ist“, kommentiert Kars - ten Schröder Vorwürfe, wie sie unter anderem Lehman-Boss Richard Fuld äußerte. Leerverkäufer seien für die Pleite seiner Bank verantwortlich, sagte der. Der gebürtige Rostocker Schröder managt in London den Hedge-Fonds Amplitude Capital und hat im Zuge des Verbots ein 15 Millionen Dollar schweres Portfolio mit US-Titeln geschlossen, das als Test für einen neuen Fonds dienen sollte.
Auch der Star-Leerverkäufer James Chanos sieht sich zu Unrecht verfolgt. „Leerverkäufer sind Helden, keine Schurken“, sagt er. Schließlich sorgten sie dafür, dass Aktienkurse widerspiegelten, was Unternehmen wert seien, und nicht in astronomische Höhen stiegen. „Ich sage meinen Freunden, die Chefs großer Unternehmen sind: Wenn ihr keine Leerverkäufe mögt, bitte. Aber wenn die Regierung beschließt, dass ihr der Preis nicht gefällt, den ihr für irgendein Produkt nehmt, könntet ihr die Nächsten sein.“
„Stoppt den Schwachsinn“
Die Wissenschaft gibt den Hedge-Fonds- Managern recht. Khan vom MIT erklärt, dass Leerverkäufe zu höherer Liquidität bei einzelnen Aktien führen: Es gibt mehr Verkäufer. „Optimisten und Pessimisten die gleichen Möglichkeiten zu geben, ihr Kapital einzusetzen, erhöht den Wettbewerb, der die Preisfindung fördert“, ergänzt Kahns Kollege von der Lausanner Wirtschaftshochschule IMD, Arturo Bris. Er ist sicher, dass ein Leerverkaufsverbot die Krise nur verschlimmert, und wird entsprechend deutlich: „Stoppt diesen Schwachsinn. Beendet das Verbot.“
Bris hat festgestellt, dass die Aktivität der Leerverkäufer vor den massiven Kursverlusten im September nicht größer war als üblich. Im Gegenteil: Bevor der Ausverkauf im Juli startete, gab es deutlich weniger Leerverkäufe als noch im März. Und am Tag der Lehman-Pleite griffen Leerverkäufer erst nachmittags zu, als die Aktie schon über 30 Prozent verloren hatte. Der erzwungene Ausstieg vieler Hedge- Fonds-Manager aus den Aktienmärkten könnte den Ausverkauf an den Märkten sogar beschleunigt haben, meint Bris – das Gegenteil dessen, was die Aufseher bezweckt haben.
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