LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
in MärkteLesedauer: 7 Minuten

Inflation weiter erhöht Den USA und Europa steht eine milde Rezession bevor

Barbier
Barbier: Die Inflation dürfte auf beiden Seiten des Atlantiks erhöht bleiben. Als Treiber identifiziert Felix Herrmann jeweils den Dienstleistungsbereich. | Foto: Imago Images / PhotoAlto

Es gibt Zeiten an den Finanzmärkten, in denen zieht innerhalb weniger Tage gefühlt ein ganzes Kapitalmarktjahr vorbei. Eine solch intensive Phase haben Anleger jüngst wieder einmal durchlebt – oder besser: durchleben müssen.

Der Start ins Jahr 2023 war geprägt von gestiegenem Konjunkturoptimismus. Insbesondere die abrupte Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft sorgte für Euphorie. Zu Beginn des zweiten Quartals ist die Beunruhigung zurück und gerade die Sorge vor einem großen Bankenkollaps treibt Ökonomen und Anleger gleichermaßen um. Wir halten die Probleme der bislang betroffenen Banken aber nicht für den Beginn einer neuen systemischen Krise.

Straffere Geldpolitik zeigt Wirkung – Geldmenge nimmt ab

Felix Herrmann
Felix Herrmann © Aramea AM

Die Refinanzierungsbedingungen in der Eurozone haben sich durch die restriktive Geldpolitik seit Anfang 2022 erheblich verschärft – die Geldmengen gehen zurück. Erfahrungsgemäß dauert es ein bis zwei Jahre, bis die Folgen einer strafferen Geldpolitik in der Realwirtschaft zu spüren sind – und tatsächlich ist beispielsweise die Kreditvergabe in der Eurozone nun negativ. Es besteht also einerseits Grund zur Annahme, dass die Kerninflation zumindest nicht weiter steigt. Andererseits aber dürften sich die verbesserten konjunkturellen Stimmungsindikatoren als Fehlsignal erweisen: Eine zumindest moderate Rezession im weiteren Jahresverlauf ist nicht nur in Deutschland, sondern ebenso in den USA wahrscheinlich. Dafür sprechen auch die inversen Zinskurven.

Die jüngsten Entwicklungen im Bankensektor werden insofern ihren Teil zum konjunkturellen Abschwung beitragen, als dass sie abermals striktere Kreditvergaberichtlinien nach sich ziehen werden und das Kreditvolumen in der Folge noch weiter sinken dürfte. Das könnte wiederum negative Auswirkungen, beispielsweise auf den Immobiliensektor, haben.

Gegen eine handfeste Rezession spricht die robuste Verfassung der Arbeitsmärkte auf beiden Seiten des Atlantiks. Doch womöglich sind wir nur noch wenige Monate von schwächeren Arbeitsmarktzahlen entfernt.

 

Inflation bleibt weiterhin erhöht

Die Inflation dürfte in den kommenden Monaten fallen, jedoch deutlich erhöht bleiben. Das gilt für die USA und die Eurozone sowie jeweils die Kern- und Gesamtrate – den Basiseffekten sei Dank. Für eine Entwarnung ist es aber nach wie vor zu früh, was in erster Linie an dem in beiden Regionen hohen binnenwirtschaftlichem Inflationsdruck liegt. Nachdem in Europa lange Zeit die Energiepreise einen weitaus höheren Einfluss auf die Teuerung hatten, werden nun sowohl US- als auch Euro-Inflation vor allem durch den Servicesektor getrieben.

Fakt ist: Es bedarf wohl einer mittelschweren Rezession, damit sich die Inflation in Richtung 2 Prozent orientiert. Vermutlich wird es diese aber erstmal nicht geben. 

Mit EZB-Chefin Christin Lagarde und Fed-Vorsitzenden Jerome Powell möchte wohl nach wie vor niemand tauschen. Finanz- und Preisstabilität gleichermaßen zu gewährleisten, kann durchaus der Quadratur des Kreises gleichen – auch wenn Notenbanker einem gelegentlich das Gegenteil erzählen wollen. Aufgrund fallender Inflationsraten aufgrund von Basiseffekten werden EZB und Federal Reserve in den kommenden Monaten jedoch den Zinsanhebungszyklus beenden können. Der Fortgang der Turbulenzen im Finanzsektor wird darüber entscheiden, ob wir noch in diesem Jahr Zinssenkungen sehen.

Aus heutiger Sicht spricht einiges dafür, dass die US-Notenbank tatsächlich spätestens im Mai ihren Zinsanhebungszyklus beenden wird. In der Eurozone dürfte die EZB die Zinsen noch bis in den Sommer hinein anheben. Anders als in den USA hat die Euro-Kerninflationsrate die Trendumkehr nach unten noch nicht eingeleitet. Dies sollte jedoch sehr bald bevorstehen.

Viel entscheidender als das Niveau des Leitzinshochs ist mittlerweile ohnehin die Frage: Wie viel Zeit wird vergehen, bis die Notenbanken die Zinsen wieder senken können? Eine erste Zinssenkung in den USA gegen Jahresende ist nun unser Basisszenario – und diese ist dann voraussichtlich der Beginn eines aggressiven Zinssenkungszyklus. Die Vergangenheit lehrt, dass Zentralbanken im Rezessionsbekämpfungsmodus äußerst entschlossen die Zinsen senken. Die EZB dürfte dies jedoch erst 2024 tun.

1.200% Rendite in 20 Jahren?

Die besten ETFs und Fonds, aktuelle News und exklusive Personalien erhalten Sie in unserem Newsletter „DAS INVESTMENT Daily“. Kostenlos und direkt in Ihr Postfach.

 

Insbesondere Euro-Unternehmensanleihen interessant

Der Rentenmarkt bleibt insbesondere im Vergleich zum Aktienmarkt aus unserer Sicht attraktiver. Das liegt in erster Linie am nur noch geringen Renditeanstiegspotenzial von Bundes- sowie US-Staatsanleihen.

Überzeugend ist weiterhin vor allem die hohe laufende Rendite von Euro-Unternehmensanleihen. Bei Investment-Grade-Anleihen liegt sie aktuell bei 4 Prozent, Hochzinsanleihen bieten gar knapp 7,5 Prozent – und das bei einer Sektorzusammensetzung mit wenig Banken und Immobilienunternehmen. Entsprechend sind die „Carry-Puffer“ gegen etwaige Spreadausweitungen durchaus beträchtlich. Insgesamt erachten wir das Rendite-Risiko-Profil bei Euro-Investment-Grade-Anleihen auf Sicht von drei bis sechs Monaten weiterhin als am vorteilhaftesten.

Durch die historisch starke Invertierung der Zinskurven scheinen kurze Laufzeiten auf den ersten Blick spannender als lange. Allerdings plädieren wir schon seit geraumer Zeit für eine Erhöhung der Laufzeiten in den Portfolios, um das Wiederanlagerisiko sukzessive zu reduzieren. Versäumt man es als Rentenmarktanleger, rechtzeitig attraktive Renditen bei länger laufenden Anleihen ins Portfolio zu kaufen und somit diese Renditen „einzuloggen“, ist die Freude über die Outperformance kurzer Laufzeiten nur von kurzer Dauer, wenn die Zinsen bald wieder fallen.

 

Chancen bei defensiven Aktien und Technologiewerten

Der breite Aktienmarkt scheint sich offenbar auf eine nur leichte Rezession einzustellen, die ausreicht, um die Inflation in ihre Schranken zu weisen. Dies ist – wie bereits zuvor erwähnt – eine eher optimistische Sichtweise.

Viele Unternehmen konnten seit der Coronakrise durchaus von der gestiegenen Inflation profitieren. Das gilt insbesondere für jene, die überdurchschnittlich viel Preissetzungsmacht haben. In einem konjunkturellen Abschwung ist perspektivisch jedoch mit rückläufigen Margen und Gewinnen bei den Firmen zu rechnen. In einem Umfeld stagnierender oder gar fallender Gewinne konnten Aktienmärkte in der Vergangenheit nur äußert selten haussieren.

Es gibt aber auch Chancen am Aktienmarkt. Im Verhältnis zur gegenwärtigen konjunkturellen Lage sind zyklische Aktien sowohl in den USA als auch in Europa im Verhältnis zu defensiven Papieren selbst nach der jüngsten Rally defensiver Werte immer noch zu teuer. Defensive Titel sind aus unserer Sicht relativ günstig und bis zum Beginn der Rezession zu bevorzugen. Daneben halten wir Technologiewerte für interessant, da diese mehr als andere Sektoren profitieren dürften, wenn die Notenbanken ihre Leitzinsen nicht weiter anheben.

Über den Autor:

Felix Herrmann ist Chefvolkswirtschaft und Portfoliomanager bei Aramea Asset Management. Weitere Stationen in seinem Lebenslauf waren bei Blackrock und der DZ Bank.

 

 

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen
Tipps der Redaktion