Wirtschaftsexperte Straubhaar: „Inflationsraten ab 5 Prozent aufwärts"
DAS INVESTMENT.com: Im vergangenen Oktober haben Sie in einem Interview mit DAS INVESTMENT.com einen Blick nach vorne gewagt und prognostiziert, dass wir ab Mitte 2009 bei der Finanzmarktkrise das Gröbste hinter uns hätten. Sehen Sie Ihre Voraussage bestätigt? Thomas Straubhaar: Zumindest habe ich nicht allzu weit danebengelegen. Seinerzeit grassierte allgemeiner Pessimismus, und ich habe versucht darzustellen, dass die Welt nicht untergehen wird und dass viele langfristige Faktoren Deutschland stabiler machen, als es kurzfristig erscheinen mag. In der zweiten Hälfte dieses Jahres wird sich zeigen, dass die Trendwende da ist. Auch aus anderen Weltregionen gibt es bereits deutliche Signale, dass die dortige Wirtschaft ebenfalls die Talsohle durchschritten hat: Nehmen Sie zum Beispiel China und Indien als bevölkerungsreichste Länder Südostasiens. Es kommt hinzu, dass sich weltweit die immensen Fiskalprogramme bemerkbar machen und dass zudem die Geldpolitik die Märkte stabilisiert. Drittens beginnt die expansive Geldpolitik zwar noch zögerlich, aber immerhin doch zu wirken. Das hilft, die Bankenbilanzen zu sanieren. Und vor einigen Tagen hat die deutsche Industrie gemeldet, dass die Auftragseingänge mit einem beträchtlichen Wachstum nach oben zeigen. DAS INVESTMENT: Also geht es ab jetzt spürbar aufwärts? Straubhaar: Ja, wobei man sich bei zwei Faktoren keineswegs täuschen darf. Zum einen ist das der Arbeitsmarkt, der der konjunkturellen Entwicklung hinterherhinkt. Bis dato sind deshalb die Arbeitslosenzahlen noch nicht so nach oben geschnellt, wie viele es befürchtet haben. Diese Zahl wird aber noch eine ganze Weile weiter wachsen – selbst, wenn die Konjunktur wieder anspringen wird. Zum Zweiten wird dieser Aufschwung vorerst sehr schwach sein. Erst ab 2010 werden wir über das gesamte Jahr betrachtet nicht mehr in den roten Zahlen stecken - aber wir werden auch noch keine wirklich schwarzen Zahlen sehen. DAS INVESTMENT.com: Im Juni lag die Zahl der Arbeitslosen bei rund 3,4 Millionen Menschen. Wird die 4-Millionen-Grenze noch in diesem Jahr überschritten? Straubhaar: Ja. Ich denke, dass dies im Winterhalbjahr 2009/2010 der Fall sein wird – und wir werden bei deutlich oberhalb der 4-Millionen-Marke landen. Negativ ausgedrückt, sind das dann über eine Million Arbeitslose mehr als zu Beginn der Krise. Positiv ausgedrückt, deutlich eine halbe Million weniger als auf dem Höhepunkt der letzten Rezession. Dafür ist auch die Kurzarbeit als Ventil, Menschen nicht entlassen zu müssen, ein wichtiger Faktor. Weit mehr als eine Million Menschen arbeiten ja bereits kurz. DAS INVESTMENT.com: Was aber ist, wenn es zu einem weiteren Knall wie bei Lehman Brothers kommt? Halten Sie es für wahrscheinlich, dass im Banken- oder Versicherungssektor noch die eine oder andere Zeitbombe tickt? Straubhaar: Wenn ich eins gelernt habe, dann ist es, dass man gerade bei Einzelprognosen äußerst vorsichtig sein muss. Für einzelne Institute könnte die gegenwärtige Situation immer noch sehr unsicher sein. Und einige wenige Insolvenzen und Ausfallrisiken können eine ganze Wirtschaftsbilanz mit nach unten reißen. Natürlich würde dies die zarten Pflänzchen der wirtschaftlichen Entwicklung gleich wieder austreten. Lassen Sie uns aber lieber positiv denken – so haben wir auf jeden Fall mehr vom Leben. DAS INVESTMENT.com: Ist der politische Vorstoß richtig, dass Banken ihre toxischen Papiere in Bad Banks verfrachten können? Straubhaar: Diese Entscheidung ist gut und richtig. Dabei hat die Bundesregierung einen guten Job gemacht – insbesondere mit der Vorgabe, kein zentrales Institut zu schaffen, sondern es jeder Bank zu ermöglichen, eine Bad Bank auszulagern. So bleibt jedes Kreditinstitut für die ausgelagerten Risiken verantwortlich, kann aber gleichzeitig die Bilanz sanieren, um den Kreditfluss wieder herzustellen. Und so kann letztlich die von vielen angeprangerte Kreditklemme überwunden werden – auch wenn es diese Klemme letztlich so gar nicht gibt. DAS INVESTMENT.com: Aber es ist doch wohl ein verbreitetes Problem, dass der Geldhahn von den Banken kräftig zugedreht wird – obwohl sie sich selbst zu günstigen Konditionen eindecken. Straubhaar: Als weitere Lehre aus der Krise können wir ziehen, dass wir langfristig nicht mehr die Zeit billigen Fremdkapitals erleben werden und dass bei Darlehen die Unterlegung mit Eigenkapital von wachsender Bedeutung ist. Für das Fremdkapital werden wir auch höhere Zinsen zahlen müssen. Dass dies die Banken bereits umsetzen, ist für viele Kreditnehmer noch ungewohnt - sie bezeichnen das deshalb als Kreditklemme. Doch wird diese Situation in Zukunft der Normalzustand sein. DAS INVESTMENT.com: Viele Prognosen gehen von einer galoppierenden Inflation aus – wie ist Ihre Einschätzung? Straubhaar: Schon im kommenden Jahr wird man sich bei der Europäischen Zentralbank sehr sputen müssen, das ausgegebene Geld wieder einzusammeln. Man hat zudem aus gutem Grund nicht nur historisch niedrige Zinssätze geschaffen, sondern auch vor wenigen Wochen damit begonnen, nicht nur kurz- und mittelfristige, sondern langfristige Kredite als hohen dreistelligen Milliardenbetrag direkt an die Wirtschaft auszugeben. Täte man in der Folge nichts, käme es zu starker Inflation. Aber auch wenn rechtzeitig gegengesteuert wird, werden wir nach dem Jahr 2010 Inflationsraten von über 5 Prozent erleben. DAS INVESTMENT.com: Auf dieses Szenario sollte man wohl auch in der Finanzberatung Rücksicht nehmen? Straubhaar: Ganz klar. Man muss dazu zweierlei sagen. Zum einen kann man als Investor noch 18 bis 20 Monate von vergleichsweise sehr geringen Inflationsraten ausgehen. Wenn Kunden Kapitalanlagen mit dieser Fristigkeit tätigen, sind sie auf der sicheren Seite. Ab 2011 sollte man aber entsprechende Vorkehrungen treffen, um nicht unversehens ins Inflationsrisiko hineinzulaufen. DAS INVESTMENT.com: Also wäre langfristig als Inflationsschutz die Investition in Aktien und Sachwerte anzuraten? Straubhaar: Ja, als Makroökonom kann ich das nur unterstreichen. Dazu ist aber anzumerken, dass in den vergangenen Monaten die Preise für Sachwerte und auch die Aktienkurse deutlich angezogen haben, obwohl die Wirtschaft immer noch tief in der Rezession steckt. Auch die Rohstoffpreise zogen wieder an, obgleich aus der realen Wirtschaft noch nicht die entsprechende Nachfrage kam. So muss man vorsichtig sein, dass diese Preise nicht die für 2011 erwartete Inflation vorweggenommen haben - und dass damit schon wieder eine Blasenbildung stattfindet.