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Aktualisiert am 07.07.2023 - 10:42 Uhrin Karl PilnyLesedauer: 10 Minuten

Pilnys Asia Insights Die neue Weltunordnung: Spannungen zwischen China, Russland und USA nehmen zu

Chinas Außenminister und Russland Präsident Wladimir Putin in Moskau
Der chinesische Außenminister Wang Yi trifft den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau | Foto: IMAGO / Xinhua

Mehr oder minder zeitgleich setzten US-Präsident Biden mit seinem Besuch in Kiew und Warschau, Putin mit seiner Rede zur Lage der Nation und der chinesische Außenminister Wang Yi in Moskau Ausrufezeichen in einer zunehmend angespannten geopolitischen Gemengelage.

Schon wird das weltweite Endspiel im Wettkampf zwischen Demokratien und Autokratien eingeläutet. Doch die Fronten verlaufen verschlungen, eine unübersichtliche Gefechtslage wird immer komplexer, die Bühne grösser, der Ton schriller.

Die „ziemlich guten Freunde“ Russland und China arbeiten demnächst noch enger zusammen als befürchtet. Jedenfalls drohte US-Außenminister Blinken den Chinesen offen Russland nicht weiter zur Seite zu stehen.

Nach dem Hin und Her mit den Spionageballons, den gegenseitigen Beschuldigungen sowie vor dem Hintergrund der neuen Chip Allianz der USA mit den Niederlanden und Japan, eine klare Ansage.

Nach dem Treffen in Bali hatte man erwartet, dass außenpolitisch etwas Ruhe zwischen China und den USA einkehren würde.

Der Fokus lag mehr auf inneren Angelegenheiten Chinas wie den Folgen der radikalen Kehrtwende von Zero-COVID zu Full-COVID Anfang Dezember letzten Jahres. Wie gewohnt gibt es keine glaubwürdigen Zahlen über die tatsächliche Anzahl der Toten und Infizierten, doch in der Tat scheint das Schlimmste vorüber zu sein.

Grund genug für Xi Jinping vollmundig zu verkünden, dass es sich bei seiner Corona Politik in den letzten drei Jahren um ein „Wunder in der Geschichte der Menschheit“ handele und China einen „großen und einzigartigen Sieg“ errungen habe.

Die Sterblichkeitsrate Chinas sei die niedrigste der Welt und seine Strategie der Optimierung der - ohnehin sehr erfolgreichen - Corona Politik durch die Kehrtwende vom Dezember sei „vollkommen korrekt und höchst erfolgreich“ gewesen.

Nach diesem abschließenden Statement, das von nun an eine kritische Rückschau auf die chinesische Corona Politik unmöglich machen soll, wendet sich Xi Jinping wieder mit Vehemenz der Außenpolitik zu. Und dort gibt es einiges zu tun.

Europa muss seine Denkweise anpassen

Meine Leser wissen schon länger, dass der globale Süden in Afrika, Lateinamerika aber auch Asien nicht geschlossen hinter dem Westen steht, was die Verurteilung des Ukrainekrieges betrifft.

Im Gegenteil Indien, dass in den letzten 12 Monaten die Ölimporte aus Russland verdreiundreißigfacht hat, will dem globalen Süden eine neue Stimme und mehr Gewicht verleihen.

So mahnte kürzlich der indische Außenminister Jaishankar Europa müsse aus der Denkweise herauswachsen, dass Europas Probleme die Probleme der Welt sind, aber die Probleme der Welt nicht die Probleme Europas seien.

Die nun stattfindenden gemeinsamen Marine Manöver zwischen Russland und Südafrika, dem Junior Mitglied der symbolbehafteten BRICS Gruppe, verbunden mit der wachsenden Rolle der Türkei als Drehscheibe und Mittelsmann für den Handel mit Russland als auch die intensivierte Unterstützung Russlands durch China sind Beispiele für die Brisanz dieser Entwicklung.

Die Sorge, dass der Überfall auf die Ukraine als Blaupause beziehungsweise sogar Rechtfertigung für eine gewaltsamen Heimholung Taiwans dient, steigt weiter.

Diskussionen auf der Münchener Sicherheitskonferenz

Die Debatte um weitere Waffenlieferungen für die Ukraine hat auch die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) dominiert.

Neben dem Krieg in der Ukraine war die Gefahr eines chinesischen Angriffs auf Taiwan das beherrschende Thema der Konferenz, gerade weil China weiterhin zu Russland steht.

Münchener Sicherheitskonferenz 2023 Deutschland Außenminsterin Annalena Baerbock und US Politiker Tony Blinken
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock diskutiert auf Münchener Sicherheitskonferenz mit Vertretern anderen Länder über Waffenlieferungen im Ukraine Konflikt © IMAGO / ZUMA Wire

Staaten, die Russland militärisch unterstützen, müssen Sanktionen fürchten. Das stellten die Außenminister der G7 nochmals klar. Die Volksrepublik steht im Verdacht, zumindest eindeutige „Dual-Use-Güter“ an Russland zu liefern.

Insbesondere Chips braucht Russland dringend für seine militärische Aufrüstung. Viele Teilnehmer warnten davor, China genauso zu unterschätzen wie Russland.

Und in der Tat könnte, was heute in Europa passiert, morgen in Asien passieren. Bisher erstaunt die westliche Einheit, doch es folgt keine stringente Politik.

Wer jedoch global geltende Menschenrechte, die Souveränität und Selbstbestimmung von Staaten und deren territoriale Integrität wirklich verteidigen will, muss jetzt Entschlossenheit und Einigkeit demonstrieren.

Sollte sich die beschworene Einheit des Westens brüchig zeigen, werden weder Russland noch China noch zahlreiche andere Autokraten abgeschreckt.

China als Friedensmakler im Ukraine-Konflikt

Bei der letzten Münchner Sicherheitskonferenz war Wang Yi noch chinesischer Außenminister. Wegen des Primats der Kommunistischen Partei (KP) ist der ranghöchste Diplomat in China nicht der Außenminister, sondern das für Außenpolitik zuständige Mitglied in den obersten Partei Gremien.

Daher ist Wang Yi nun als „Direktor des Büros der Zentralkommission für Auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas“ und Mitglied des Politbüros der oberste Außenpolitiker des Landes geworden.

Klar ist jedoch auch, dass Xi Jinping in der Außen - wie auch der Innenpolitik das letzte Wort hat beziehungsweise den Takt vorgibt.

Das chinesische Außenministerium gibt immer wieder der Nato und insbesondere den USA die Schuld an der Eskalation des Konflikts.

Dabei zielt Peking auf die Teile der europäischen Gesellschaft ab, die des Krieges müde sind. Ein „Friedensplan“ könne so ausgestaltet werden, dass er zwar auf den ersten Blick China als Friedensmakler darstellen würde, aber im Detail nicht ausreichend die Bedürfnisse der Ukraine berücksichtigt.

So könnte China einen Stopp von Waffenlieferungen fordern, was jedoch vor allem Russland nützen würde. Immerhin verschießen die Russen an einem Tag mehr Munition als die gesamte EU in einem Monat produziert.

China hatte in den vergangenen Monaten wiederholt Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiert, da so „Öl ins Feuer“ gegossen würde.

Wenn die westlichen Verbündeten und die Ukraine dem Plan nicht zustimmen, stünden sie als Friedensverweigerer da.

Konzept vor für globale Sicherheit von China vorgestellt

Kurz vor der Ankunft des amerikanischen Präsidenten Joe Biden in Kiew traf Wang Yi in Moskau ein. Zuvor war er in Frankreich, Italien, Ungarn und auf der Münchner Sicherheitskonferenz gewesen, wo er seine „Position zu einer politischen Lösung der Ukrainekrise“ und ein Konzeptpapier zu einer „Globalen Sicherheitsinitiative“ (GSI) ankündigte.

Die GSI versteht sich als Gegenentwurf zu einer angeblich amerikanisch dominierten Sicherheitsarchitektur. Mit Inhalt hat China den Begriff bisher kaum gefüllt.

Trotzdem behauptet es, mehr als 100 Länder und die Vereinten Nationen hätten Unterstützung für das Konzept geäußert. Mit der Neuen Seidenstraße (BRI), die anfangs auch nur vage definiert war, ist es China schon einmal gelungen globale Relevanz zu erzeugen.

China will nun das GSI-Konzept mit dem Ukrainekrieg verknüpfen, wobei „die legitimen Sicherheitsbedenken aller Länder ernst genommen werden müssen“.

Dahinter steht die Ansicht, dass die USA mit ihren globalen Sicherheitsbündnissen die Sicherheit anderer Länder, vor allem aber Chinas, Russlands und Irans, untergrabe.

Mit den „legitimen Sicherheitsbedenken“ sind im Fall des Ukrainekriegs also die russischen gemeint, denn China be­hauptet wie Russland, dass der russische Angriffskrieg eine legitime Reaktion auf die Osterweiterung der NATO gewesen sei.

In Russland selbst ist die GSI bisher kein großes Thema. In der Rede Putins zur Lage der Nation, der ersten solche Ansprache seit dem Überfall auf die Ukraine, wurde der Schwerpunkt vielmehr daraufgelegt, die Kampfkraft der eigenen Truppen und an­gebliche Eroberungen im Donbass zu beschwören.

Als Draufgabe wurde das Einfrieren des NewStart-Abkommens verkündet und Land und Leute auf einen langwierigen Krieg eingeschworen.

Dieser wird immer dramatischer zum Schicksals- und Endkampf Russlands gegen den Westen stilisiert.

Russland und China verstärken Beziehungen

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Bei seinem Treffen mit dem amerikanischen Außenminister in München hatte Chinas ranghöchster Außenpolitiker gesagt, die USA sollten „eine politische Lösung der Krise fördern, anstatt Öl ins Feuer zu gießen, und die Gelegenheit des Krieges zu nutzen, Gewinne zu machen.

Es seien die Vereinigten Staaten, nicht China, die Waffen auf das Schlachtfeld werfen. Man werde nicht akzeptieren, dass Amerika China befehlen wolle, wie es seine Beziehungen zu Russland zu gestalten habe.

Die amerikanische Besorgnis wird in der EU geteilt. Außenminister von EU-Staaten warnten Peking ebenfalls vor Waffenlieferungen an Russland.

Für Russland ist China seit Kriegsbeginn als Abnehmer von Rohöl – nicht zuletzt wegen bedeutender Preisnachlässe – und auch für den Import von Waren noch wichtiger geworden.

Schon seit Putin im Jahr 2014 eine „Wende nach Osten“ aufgerufen hat, bemühen sich russische Regierungsstellen meist vergeblich darum, Erfolgsmeldungen zum bilateralen Verhältnis vorzuweisen.

Chinesische Touristen Roter Platz Moskau
Verstärkte Beziehungen zwischen China und Russland: Chinesische Reisegruppe besucht den roten Platz in Moskau © IMAGO / ITAR-TASS

Passend zu Wangs Moskau-Besuch wurde freudig verkündet Russland und China hätten eine Vereinbarung zum visumfreien Gruppenreiseverkehr wieder in Kraft gesetzt, die, während der Covid-Pandemie ausgesetzt worden war.

Vor der Pandemie war China das Land, aus dem die meisten Touristen nach Russland kamen: 2019 kamen rund eineinhalb von fünf Millionen Reisenden aus China, 1,2 Millionen von ihnen mit Reisegruppen.

Asiatisches Jahrhundert

Unsere Sichtweise auf Russlands Krieg gegen die Ukraine wie in der Warschau Rede von US-Präsident Biden medienwirksam verkündet ist unser gutes Recht und überzeugend.

Auf der anderen Seite gibt es auch bei uns Rechtfertigungen für Putin die im besten Falle Unverständnis hervorrufen.

Doch die Welt ist größer als Russland und "der Westen“ und sieht heute anders aus als 1991. Das BIP der BRICS-Staaten etwa ist größer als dass der G7.

Es findet eine tektonische Plattenverschiebung statt, die ich seit vierzig Jahren als „asiatisches Jahrhundert“ bezeichne und begleite.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass "der globale Süden" sich zum Ukraine-Krieg anders verhält als "der Westen".

Diese Interessen müssen wahrgenommen und in strategische Überlegungen einbezogen werden. Vielleicht wird es zu einer Art Endspiel verschiedener Werte- und Weltordnungen kommen und wie so oft hängt dabei alles mit allem zusammen.

Pilnys Asien-Insights der vergangenen Wochen:

>> Taiwan: Die wichtigste Insel der Welt im Fokus von China

>> U-Boote und Spionage-Ballons: Was die Aufrüstung zu Wasser und in der Luft zu bedeuten hat

>> Wie Vietnam durch Korruption das eigene Wachstum auf Spiel setzt

>> Chinas demografische Katastrophe: 850.000 Einwohner weniger

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