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Zertifizierung: Der normierte Wahnsinn

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ISO: Idioten sammeln Ordner?

Viel, meint Thomas Neumann. Der Münchner Vermögensverwalter hat im vergangenen Jahr beim TÜV Süd seine Firma Bestadvice nach der Norm für Qualitätsmanagement DIN ISO 9001:2008 zertifizieren lassen. Die Zertifizierung sei ein Instrument zum Qualitätsmanagement, sagt er. Und wie jedes Instrument könne es mehr oder weniger sinnvoll eingesetzt werden. Schließlich sei jemand, der einen Hammer habe, noch kein perfekter Handwerker. Ähnliches gelte für Finanzdienstleister. „Die Abkürzung ISO kann auch für ‚Idioten sammeln Ordner‘ stehen“, erklärt Neumann. Erst wenn da Qualitätsmanagement im Unternehmen kontinuierlich gelebt werde, stehe das Siegel für Qualität.

Das klingt wie ein Satz aus einer Hochglanz-Imagebroschüre. Doch Neumann und seinen Mitarbeitern scheint es ernst damit zu sein. Nachdem die Vermögensverwaltung im August vergangenen Jahres den Zertifizierungsantrag stellte, begann für Neumann, Co-Chefin Marion Köbler und ihre knapp zehn Mitarbeiter ein Überstunden-Marathon.

Zunächst holten sich die Geschäftsführer eine externe, auf Qualitätsmanagement spezialisierte Beraterin ins Haus. Dann erstellten sie zusammen mit allen Mitarbeitern ein Handbuch, in dem sie alle Prozesse von der Kundenberatung bis hin zum Controlling beschrieben. An vielen langen Abenden und rund zehn arbeitsreichen Wochenenden kamen so 18 nach Themen sortierte Ordner zusammen. Diese schickten die Unternehmenschefs an den TÜV Süd. Anschließend entsandten die Prüfer einen Mitarbeiter, der sich die Verhältnisse vor Ort anschaute und mit den einzelnen Team-Mitgliedern sprach. Bis Bestadvice das Zertifikat schließlich bekam, vergingen von der Antragstellung an gerechnet vier Monate.
Chance, Prozesse zu überdenken

Das DIN ISO 9001:2008-Zertifikat bescheinigt aber lediglich, dass alle Prozess im Unternehmen standardisiert ablaufen. Über die Qualität und die Sinnhaftigkeit der Prozesse sagt es nichts aus. Somit können Unternehmen auch überflüssige Abläufe schriftlich festhalten – und bekommen trotzdem das Gütezeichen. Trotzdem schwört Neumann auf das Zertifikat. „Die Unternehmen können die Zertifizierung als eine Chance sehen, ihre Prozesse zu überdenken und gegebenenfalls zu verändern“, sagt er.

Bei Neueinstellungen lasse sich zudem viel Zeit sparen: Anstatt den Mitarbeitern einzelne Abläufe ausführlich zu erklären, drücke man ihnen einfach Unterlagen mit definierten Prozessabläufen und Standards in die Hand. Auch finanziell lohne sich der Aufwand, so Neumann weiter. Schließlich habe Bestadvice nach der Zertifizierung bei allen gewerblichen Versicherungen einen Nachlass zwischen 10 und 20 Prozent bekommen. Das spiele die Ausgaben von 2.000 bis 3.000 Euro für die Zertifizierung plus Personalkosten über kurz oder lang wieder ein.

Doch auch wer allein arbeitet oder einen Kleinbetrieb führt, muss nicht auf eine Auszeichnung des Deutschen Instituts für Normung (DIN) verzichten. Für Finanzberater vergibt diese Organisation nämlich die Norm DIN ISO 22222. Im Gegensatz zur DIN ISO 9001:2008, die Unternehmen als Ganzes bewertet, legt die DIN ISO 22222 die Anforderungen an den Finanzplaner fest. Wer dieses personenbezogene Gütesiegel bekommen will, muss Kundenbedürfnisse analysieren, Finanzprodukte bewerten und daraus Empfehlungen ableiten können.


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Siegel als Marketing-Instrument

Im Gegensatz zum Paragraf 34 f Gewerbeordnung (GewO), der ebenfalls die Qualifikation der Berater regelt, legt die DIN-ISO-Norm jedoch nicht die konkrete Ausbildung, sondern lediglich Ausbildungsinhalte fest. „So erfüllt der Lehrgang zum Certified Financial Planner (CFP) zwar auch die Norm, ist aber im Paragraf 34 f GewO nicht als Sachkundenachweis anerkannt“, sagt DIN-Mitarbeiter Guido Küsters, der als Obmann des deutschen Ausschusses an der Ausgestaltung der Norm mitgearbeitet hat.

Er selbst wiederum würde zwar ohne weiteres die Erlaubnis nach Paragraf 34 f, aber nicht das DIN-ISO-22222-Zertifikat bekommen. Denn der Bankkaufmann hat seine Lehre 1987 gemacht. Die DIN-ISO-Norm jedoch sieht einen „zeitnahen Wissenserwerb“ innerhalb der vergangenen fünf Jahre vor. Neumann hingegen besitzt auch ein DINISO-22222-Siegel. Wer wie er dem Financial Planning Standards Board Deutschland (FPSB) angehört, bekommt diese Zertifizierung ohne Zusatzkosten.

„Nicht alle deutsche Kunden können etwas mit dem CFP anfangen“, sagt der Bestadvice-Chef. Die DIN-ISO-Normen hingegen seien seinen überwiegend gewerblichen Kunden bestens bekannt. Das
Gleiche gelte für DIN ISO 9001:2008. Da viele Kundenunternehmen selbst zertifiziert seien, erwecke eine Zertifizierung des Finanzdienstleisters Vertrauen und biete somit einen Wettbewerbsvorteil.

Damit spricht Neumann den wohl entscheidenden Vorteil von Siegeln und Zertifikaten an – die Marketing-Funktion. Bei einer offiziellen Urkunde einer angesehenen Behörde fragen nur die wenigsten Kunden nach, wie die Auszeichnung zustande gekommen ist, welche Merkmale bewertet und welche Aspekte außen vor gelassen wurden. Manche lassen sogar angesichts eines Siegels ihre – möglicherweise berechtigten – Zweifel fallen. „Ohne die TÜV-Bescheinigung hätte ich Ende 2012 niemals 25.000 Euro in den Deutsche S&K Sachwerte Nr. 2 der United Investors eingezahlt“, zitiert „Stiftung Warentest“ einen von S&K geprellten Anleger aus Potsdam. Er wird wohl kein Einzelfall gewesen sein.

Zertifikat ändert nichts an Qualität

Auch ein Anbieter von Beratungssoftware hat Zertifizierungen als MarketingInstrument für sich entdeckt. Das Unternehmen Defino – eine Abkürzung für Deutsche Finanz Norm – will nun seine Beratungstools vom DIN zertifizieren lassen. Ende dieses bis Anfang kommenden Jahres sollen die Tools DIN Spec 77 222 zertifiziert sein. Die Spezifizierung habe zwar noch nicht den vollständigen Normcharakter, sei aber eine Vorstufe zur Norm, erklärt Defino-Chef Klaus Möller.

Laut DIN-Mitarbeiter Küsters, der ebenfalls dem Arbeitskreis zur Entwicklung der Spezifizierung angehört, sagt eine Spezifizierung jedoch nur aus, dass ein Produkt nicht im Widerspruch zu einer Norm steht. An der Qualität der Software ändert eine Zertifizierung hingegen nichts. Denn ein gutes Produkt kann auch ohne ein amtliches Zertifikat gut sein. Und wie das S&K-Beispiel zeigt, macht ein amtliches Siegel ein schlechtes Produkt auch nicht besser.


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