Zinssenkung um 50 Basispunkte Weiß die US-Notenbank mehr als der Markt?
Deutet die unerwartet starke Senkung der Leitzinsen durch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) darauf hin, dass die Zentralbank mehr weiß als die Marktteilnehmer? Sind die Wachstumsaussichten schwächer als angenommen und war der große Schritt notwendig, um eine Rezession abzuwenden? Wir denken nicht.
Eigentlich möchten die Zentralbanken Überraschungen vermeiden. Mit ihrer Zinssenkung um 50 Basispunkte hat die Fed auf ihrer Sitzung am 18. September dennoch viele Investoren überrumpelt. Die Argumente für eine Senkung um nur 25 Basispunkte lauteten, dass die Inflationsdaten nicht ganz so positiv und die Wachstumsdaten weniger schwach seien. Außerdem mahnen die bevorstehenden US-Wahlen zur Vorsicht.
Die Fed kam offensichtlich zu einem anderen Schluss. Sie geht wohl davon aus, dass sich die Inflationsdaten verbessern. Darüber hinaus scheinen die Währungshüter zu befürchten, dass Leitzinsen auf einem derart restriktiven Niveau das Risiko einer stärkeren Wachstumsverlangsamung bergen. Das würde das Ziel einer „sanften Landung“ gefährden.
Für einige Marktteilnehmer deutete die stärkere Senkung darauf hin, dass die Fed „etwas weiß, was wir nicht wissen“, also die Wachstumsaussichten schwächer sind als gemeinhin erwartet. Dies könnte erklären, warum die Reaktionen am US-Aktienmarkt zunächst verhalten ausfielen.
US-Wachstum weiterhin intakt
Eine nüchterne Bewertung der aktuellen Wachstumsaussichten führte dann zu dem Schluss, dass das Wachstum derzeit solide ist – die GDPNow-Prognose der Atlanta Fed liegt bei 2,9 Prozent für das dritte Quartal 2024 – und die Finanzierungskosten für Unternehmen sind soeben um bis zu 50 Basispunkte gesunken. Der Markt erholte sich daraufhin.
Wir sind der Ansicht, dass die USA eine weiche Landung erreichen werden und halten den optimistischeren Blick auf die größere Zinssenkung für richtig. Trotz der extremen Marktschwankungen im Sommer, die zum Teil durch Sorgen über möglicherweise zu optimistische Prognosen für aus künstlicher Intelligenz resultierende Gewinne ausgelöst wurden, bleiben die Gewinnerwartungen positiv. Unser Multi-Asset-Team ist in Aktien leicht übergewichtet, insbesondere im technologielastigen Nasdaq.
Was sich aus früheren Zinssenkungszyklen ableiten lässt
Um die weitere Marktentwicklung abschätzen zu können, betrachten viele Marktbeobachter nun frühere Lockerungszyklen. Dieses Mal ist eine solche Analyse jedoch nicht unbedingt hilfreich. In vier der letzten fünf Zinssenkungszyklen seit 1984 kam es anschließend zu einer Rezession. Die Ausnahme war der Zeitraum von 1984 bis 1986. Damals senkt die Fed die Zinsen um insgesamt 575 Basispunkte. Das US-Wachstum verlangsamte sich zwar, blieb aber dennoch positiv.
Die Implikationen für die Vermögensallokation in Rezessionsphasen sind klar: Das Wachstum wird negativ, die Zinsen sinken. Daher sollten festverzinsliche Anlagen besser abschneiden als Aktien und innerhalb der Aktienmärkte defensive Werte besser als zyklische Papiere. Historisch gesehen ist genau das geschehen. Diesmal erwarten wir keine Rezession. Aus unserer Sicht wird die Fed eine weiche Landung erreichen, bei der sich das US-Wachstum nur auf seine langfristige Trendrate verlangsamt und die Inflation auf ihr Zielniveau zurückkehrt.
Anleihen vor Aktien
Das spricht dafür, dass die Zinsen nicht so stark sinken werden wie in der Vergangenheit. Denn die Fed muss nicht so viele Anreize geben, um das Wachstum wieder anzukurbeln. Anstelle der fast 600 Basispunkte, um die es in den Jahren 1984 bis 1986 mit den Zinsen nach unten ging, prognostiziert der jüngste Dot Plot der Fed nur 225 Basispunkte. Wenn überhaupt besteht das Risiko, dass die längerfristigen Zinssätze steigen, da sich die Sorgen um die US-Verschuldung in einer höheren Risikoprämie für US-Staatsanleihen niederschlagen. Die Aktienrenditen dürften in einem Soft-Landing-Szenario besser ausfallen als im Falle einer Rezession.
Interessanterweise sind die relativen Renditen zwischen festverzinslichen Wertpapieren und Aktien sowie zwischen zyklischen und defensiven Sektoren in den Phasen der rezessiven Zinssenkungszyklen und während der sanften Landung ähnlich gewesen. In den zwölf Monaten nach der ersten Zinssenkung während der vier rezessiven Kürzungszyklen schnitten festverzinsliche Wertpapiere im Durchschnitt um mehr als 600 Basispunkte besser ab als Aktien (8,5 Prozent gegenüber 2,2 Prozent). Zyklische Aktiensektoren verzeichneten Wertverluste, während sich defensive Werte besser hielten.
Weiche Landung in den 1980er-Jahren
In den zwölf Monaten nach Beginn des Zinssenkungszyklus im Jahr 1984, der zu einer sanften Landung führte, erzielte der Anleiheindex US Aggregate Bond eine Rendite von 24,4 Prozent. Das war allerdings auf die hohen Ausgangsrenditen zurückzuführen: Der Leitzins lag vor der ersten Senkung bei fast 12 Prozent. Auch Aktien schnitten mit einer Rendite von 18,7 Prozent deutlich besser ab. Defensive Werte entwickelten sich erneut besser als zyklische Werte – und zwar um fast vier Prozentpunkte – obwohl es auf Sektorebene bemerkenswerte Unterschiede gab. Ein interessanter Unterschied war die Outperformance von Value-Titeln gegenüber Wachstumswerten.
Natürlich bieten historische Renditen nicht mehr als einen Hinweis darauf, wie sie sich in Zukunft entwickeln könnten. Anleger sollten aber die ungewöhnlichen Umstände des aktuellen Umfelds im Blick behalten, wenn sie bei ihrer Allokation die Vergangenheit einbeziehen.