Volkswirt Ulrich Kater
Ist eine Zinswende in Sicht?

Volkswirt Ulrich Kater
Was Anfang des Jahres eher als vage Möglichkeit daherkam, hat sich in erstaunlich kurzer Zeit konkretisiert: Die Europäische Zentralbank (EZB) wird aller Voraussicht nach mit einer ersten Zinssenkung im Sommer eine erneute Zinswende einläuten.
Damit wäre eine der spektakulärsten Restriktionsphasen der jüngsten Jahrzehnte beendet. Zwar wirken die restriktiven Kräfte der bisherigen Zinserhöhungen ...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Was Anfang des Jahres eher als vage Möglichkeit daherkam, hat sich in erstaunlich kurzer Zeit konkretisiert: Die Europäische Zentralbank (EZB) wird aller Voraussicht nach mit einer ersten Zinssenkung im Sommer eine erneute Zinswende einläuten.
Damit wäre eine der spektakulärsten Restriktionsphasen der jüngsten Jahrzehnte beendet. Zwar wirken die restriktiven Kräfte der bisherigen Zinserhöhungen noch nach. Die Bremswirkungen dürften jedoch im Jahresverlauf verblassen.
Im Anschluss an ihre Januarsitzung wiederholte die EZB ihre Einschätzung, dass die Geldpolitik für ausreichend lange Zeit restriktiv bleiben müsse. Im Einklang damit erläuterte Präsidentin Lagarde während der Pressekonferenz den Konsens, dass eine Diskussion im Rat über Leitzinssenkungen verfrüht wäre.
Dennoch ließen die Verlautbarungen über die Pressemitteilung und der Pressekonferenz deutlich mehr Spielraum für einen zeitnahen Kurswechsel der Geldpolitik, als der Markt im Vorfeld erwartet hatte. Insgesamt war die Januar-Sitzung Ausdruck eines Kursschwenks unter den europäischen Notenbankern.
Der wichtigste Grund hierfür dürfte in den Inflationsdaten gelegen haben. Bereits die Zusammenfassung der Ratssitzung vom Dezember ließ erkennen, dass die Notenbanker vom breit basierten Rückgang der Inflation im November auf 2,4 Prozent beeindruckt gewesen sind. Auch das Wiederanspringen der Inflation im Dezember tat dem keinen Abbruch, da hier Basiseffekte die beherrschende Rolle spielten.
Die EZB geht davon aus, dass die Inflation im Verlauf des Jahres weiter zurückgehen wird. Gründe dafür sind einerseits die verblassenden Energiepreis-Schocks, Lieferketten-Probleme und Reopening-Effekte, und andererseits die restriktive Geldpolitik, die die gesamtwirtschaftliche Nachfrage drosselt.
Auch das wichtigste Aufwärtsrisiko für den mittelfristigen Inflationsausblick, die Lohnentwicklung, sieht die EZB mittlerweile weniger gravierend. Konkret geht es dabei um die Sorge, dass der große Nachholbedarf der Arbeitnehmer aufgrund der realen Einkommenseinbußen der vergangenen Jahre zu einer Verfestigung der Inflation auf erhöhtem Niveau führen könnte.
Zwar betont die EZB, dass einige Indikatoren noch nicht wieder auf dem Niveau verankert sind, wo sie sie gerne sehen würde. Offensichtlich deuten jedoch interne Daten der EZB auf einen leichten Rückgang der Lohndynamik hin. Zudem erläuterte die Präsidentin, dass die EZB die Löhne im Kontext mit den Gewinnmargen der Unternehmen im Blick habe. Die Hoffnung, dass ein Rückgang der hohen Margen einen Teil des Lohndrucks auffangen würde, habe sich zuletzt bewahrheitet.
Der nächste Schritt hin zur Zinssenkung im Sommer wäre nun eine Korrektur der Inflationsprojektionen durch die interne Expertenschätzung der EZB. Dies wäre das entscheidende Signal, an das sich dann eine konkrete kommunikative Vorbereitung einer Zinssenkung im Juni anschließen würde.
Sofern die bis dahin gemeldeten Daten keinen Strich durch die Stabilitätsrechnung machen, würde der Euroraum dann im Juni den Zinsgipfel verlassen und sich auf den Abstieg Richtung neutrale Leitzinsen im Bereich von 2,5 Prozent machen.
Über den Autor
Neue Artikel der Denker der Wirtschaft