Finanzexperte Jan Viebig
Notenbanker sehen wirtschaftliche Lage überraschend optimistisch
Aktualisiert am 21.11.2022 - 14:41 Uhr
Jan Viebig ist Investmentchef der Privatbank Oddo BHF. Foto: Oddo BHF
Für den weiteren Jahresverlauf 2022 erwarten europäische Notenbanker ein leicht negatives Wachstum, gefolgt von einer Belebung der Wirtschaft im Frühjahr 2023. Jan Viebig von der Privatbank Oddo BHF findet diese Prognose angesichts der hohen Inflation bemerkenswert optimistisch.
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Inflation. Die Preissteigerungen sind mit 9,1 Prozent im August so hoch wie nie seit Bestehen der Eurozone. In ihrem Statement zur letzten Sitzung am 8. September 2022 geht die EZB von weiter erhöhtem Preisdruck über die nächsten beiden Jahre aus. Als Grund werden vor allem stark steigende Energie- und Lebensmittelpreise angeführt. Diese waren im August für zwei Drittel des Preisanstiegs verantwortlich.
Wir haben bereits gesagt, dass die Inflation länger hoch und die Preisberuhigung im Jahr 2023 langsamer und schwächer ausfallen würde. Mit dem Anheben ihrer Inflationsprognosen für die nächsten Jahre, die 2022 mit 8,1 Prozent und 2023...
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Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Inflation. Die Preissteigerungen sind mit 9,1 Prozent im August so hoch wie nie seit Bestehen der Eurozone. In ihrem Statement zur letzten Sitzung am 8. September 2022 geht die EZB von weiter erhöhtem Preisdruck über die nächsten beiden Jahre aus. Als Grund werden vor allem stark steigende Energie- und Lebensmittelpreise angeführt. Diese waren im August für zwei Drittel des Preisanstiegs verantwortlich.
Wir haben bereits gesagt, dass die Inflation länger hoch und die Preisberuhigung im Jahr 2023 langsamer und schwächer ausfallen würde. Mit dem Anheben ihrer Inflationsprognosen für die nächsten Jahre, die 2022 mit 8,1 Prozent und 2023 mit 5,5 Prozent deutlich über dem Ziel von 2 Prozent liegen (siehe Abbildung 1), hat die EZB unsere Vorhersage nun bestätigt. Der Preisdruck könnte sich kurzfristig sogar noch weiter verschlimmern. Im Lauf der nächsten Monate ist durchaus damit zu rechnen, dass die Schallmauer von 10 Prozent Inflation durchbrochen wird. Nach langem Zögern versucht die EZB nun entschlossen gegenzusteuern. Die Zinserhöhung um 75 Basispunkte am 8. September auf 0,75 Prozent (Einlagensatz) ist die stärkste jemals von der EZB vorgenommene Anhebung.
Bemerkenswert: „Soft Landing“ als Basisszenario
Die EZB prognostiziert für das Jahr 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,9 Prozent, wie in Abbildung 2 zu sehen ist. Tatsächlich beinhalten die Prognosen ein leicht negatives Wachstum im weiteren Jahresverlauf 2022, gefolgt von einer Belebung der Wirtschaft im Frühjahr 2023. Die Wachstumsprognose ist bemerkenswert optimistisch angesichts der hartnäckig hohen Inflation.
Diese sieht die EZB mit 5,5 Prozent im Jahr 2023 noch deutlich über ihrem Preisstabilitätsziel von 2 Prozent. Eine weiter stark erhöhte Inflation sehen auch die von der EZB im Rahmen der Consumer Expectations Survey befragten Verbraucher. Im Juli rechneten Verbraucher im Durchschnitt mit einer Inflationsrate von 7,1 Prozent für die nächsten 12 Monate und mit 4,7 Prozent per annum über die nächsten drei Jahre. Um die ausufernden Inflationserwartungen der Verbraucher wieder nahe 2 Prozent zu verankern und die Inflation zeitnah wieder Richtung 2 Prozent zu drücken, wären wahrscheinlich noch mehrere deutliche Zinsanhebungen nötig. Ob die EZB das schafft, ohne eine Rezession auszulösen, bleibt abzuwarten. Mit Blick auf die hohe Unsicherheit bei der Energiepreisentwicklung in den nächsten Monaten erscheint dies eine große Herausforderung für die EZB, um ihr Basisszenario von 0,9 Prozent BIP-Wachstum zu realisieren.
Interessant ist zudem, dass die Reinvestitionen fälliger Anleihen aus dem Notfallprogramm Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) bis mindestens Jahresende 2024 fortgeführt werden. Bei den Kriterien zur Wiederanlage fälliger Anleihen bleibt man flexibel, wohl um große Ausweitungen der Zinsaufschläge (Spreads) für Staatsanleihen von Peripherieländern (insbesondere Italien und Spanien) relativ zu Bundesanleihen zu dämpfen.
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