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Zinssenkung bereichert Zeitspiel der EZB

Thomas Böckelmann
Thomas Böckelmann
Mit der Senkung des Leitzinses auf 0,5 Prozent hat Mario Draghi die Erwartungen der meisten Marktteilnehmer erfüllt. Zu groß war der Druck jüngst veröffentlichter Jugendarbeitslosenzahlen in Italien (über 35 Prozent) und Spanien (über 50 Prozent) bei gleichzeitig niedriger Inflation. Eine symbolische Tat der Europäischen Zentralbank (EZB) war fällig – viel mehr bedeutet diese Zinssenkung nicht.

Für die robuste deutsche Konjunktur war bereits das alte Zinsniveau viel zu niedrig, für Italien wären selbst 0,0 Prozent zu viel. Volkswirte schätzen daher die Wirkung dieser Maßnahme auf das Wirtschaftswachstum der Eurozone auf unter 0,01 Prozent. Vielmehr hat Mario Draghi die Aufmerksamkeit der Märkte genutzt, im Rahmen der Pressekonferenz erneut einige wichtige Mitteilungen zu platzieren:

Die EZB bestätigt ihre jederzeitige Bereitschaft, über weitere Zinssenkungen hinaus gegebenenfalls neue unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen. Unter anderem wurde über negative Einlagenzinsen nachgedacht.

Die EZB fordert von den Politikern Europas längst überfällige Reformen ein, da Wachstumsschwäche und Inhomogenität in der Eurozone nicht durch die Geldpolitik gelöst werden können.

Die EZB sendet ein Signal an die USA und Japan, im Kampf um die Abwertung der Währungen eingreifen zu wollen.

Balsam fürs Gemüt

Durch seine sorgfältige Wortwahl hat Mario Draghi erreicht, dass sich jeder Marktteilnehmer und Politiker in seiner Meinung bestätigt fühlen darf – egal ob als Grieche im Kampf gegen oder ob als Deutscher im Kampf für die Sparpolitik. Politik und EZB sitzen im Kampf gegen die Staatsschuldenkrise im selben Boot – die Marktteilnehmer üben sich (noch) in Geduld.

Durch die Aussage im letzten Sommer, jede erforderliche Maßnahme zu ergreifen, hat sich die EZB aber nach allen Seiten erpressbar gemacht. Politiker, die für die Wähler schmerzhafte Anpassungsprozesse zu vermeiden suchen, werden weiter die Maßnahmen der EZB und die Solidarität der Partnerländer (schlussendlich Deutschland) einfordern.

Die Worte unseres Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann in der letzten Woche verhallten nahezu ungehört – hat er doch die Erkenntnis eingefordert, dass eine Notenbank nicht den Erhalt der Eurozone garantieren kann. Insofern hat uns der heutige Tag kein Stück näher an das Ende der Staatsschuldenkrise gebracht – im Gegenteil – der Grat zwischen erforderlichem Sparen einerseits und Wachstumsförderung andererseits wird zunehmend steiler und schmaler für alle Akteure.

Nachdem überraschenderweise Italien wieder eine Regierung hat, schaut man nun gebannt nach Deutschland. Da sich mittlerweile die meisten Eurostaaten von Sparmaßnahmen distanzieren und dabei unsachliche Aussagen nicht scheuen, ist Angela Merkel die letzte Verteidigungslinie für den deutschen Steuerzahler.

Ob sie ihre Position bis zur Bundestagswahl im September halten kann oder die Haushaltstugenden vor der Realität sozialer Unruhen im Süden weichen müssen, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Der Markt setzt bereits auf eine Aufweichung der deutschen Position.

USA und China sind keine Alternative

Für uns Anleger war es immer Erleichterung, angesichts der Krise vor der europäischen Tür nach China oder in die USA zu blicken. Aber auch dort trübt sich das konjunkturelle Klima merklich ein. China wandelt auf dem langen Pfad von einer Exportnation zu einer Dienstleistungsgesellschaft mit allen Unsicherheiten und Verwerfungen.

Die USA kommen trotz aller Geldflutungen des Marktes nicht wirklich vom Fleck. Zwar erholt sich der Immobilienmarkt, aber der Arbeitsmarkt ist weiterhin schwer angeschlagen. Fragen nach der Wirksamkeit der Geldpolitik sind berechtigt – Alternativen gibt es jedoch keine. Bald wird auch wieder die Budgetdebatte in den USA belasten – neben verhaltenen Ausblicken der Unternehmen auf die Wirtschaftsentwicklung ganz zu schweigen.

Anders als das Bild um globales Wachstum und Staatsschuldenkrise zeigen sich die Aktienmärkte in bester Stimmung. Eine alte Börsenweisheit sagt, Rezessionsjahre seien gute Börsenjahre. Hintergrund ist die Erwartung wachstumsfördernder Maßnahmen durch Geld- und Fiskalpolitik. Erstere macht einen hervorragenden Job, werden doch immer wieder neue Erwartungen nach frischem Geld geschürt und erfüllt.

Die Spielräume sind erschöpft

Die Fiskalpolitik hingegen hat keine Spielräume mehr – zumindest in USA, Europa und Japan. Neue nachhaltige Impulse für die Aktienmärkte können neben der Gewinndynamik der Unternehmen nur entstehen, wenn die Politik konstruktive Lösungen wie zum Beispiel Schuldenschnitte oder einen (wie auch immer zu finanzierenden) Solidaritätspakt für Wachstum präsentiert.

Derweil steigen Bundesanleihen von einem historischen Höchststand zum nächsten. Unverständlich angesichts der real negativen Verzinsung. Wer kauft eigentlich noch Bundesanleihen auf diesem Niveau? Japaner… Für Japaner sind in Folge der heimischen Zinssenkungen, die den Yen gegenüber anderen Weltwährungen gezielt abwerten, 1,2 Prozent Zinsen im Euro ein echtes Schnäppchen. Diese Tatsache kann das ohnehin künstlich niedrige Zinsniveau weiter reduzieren und die Spanne zwischen Euro-Hart (Deutschland, Finnland) und Euro-Weich (Italien, Spanien) weiter öffnen.

Und hier schließt sich der Kreis… Die Zinssenkung Mario Draghis bedeutet den Einstieg der EZB in den Währungskampf mit verschärften Mitteln. Ein schwacher Euro hilft der Eurozone mehr als eine kaum spürbare Zinssenkung.

Marktausblick

Die Aktienmärkte haben angesichts fehlender Anlagealternativen trotz rückläufiger Gewinnperspektiven der Unternehmen das Potential für weiter steigende Kurse. Aber die Luft wird dünner – zumal volkswirtschaftliche Indikatoren schwächer tendieren. Für weitere deutliche Anstiege bedarf es Impulse, die erneut von der Politik erwartet werden. Die Schwankungsanfälligkeit dürfte steigen.

Die Rentenmärkte bergen von Ausnahmen bei Schwellenländern oder hochverzinslichen Unternehmensanleihen kein nennenswertes Potential. Als Absicherung für Marktverwerfungen sind kurz laufende Bundespapiere oder Nationen mit geringer Verschuldung aber immer noch erste Wahl - neben inflationsgeschützten Varianten.

Da die Währungen in diesem Jahr wesentliche Performancetreiber bleiben werden, ist deren Auswahl im Rahmen einer ganzheitlichen Portfoliostruktur in Kombination mit Zinspapieren unverändert interessant.

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