Zwei Experten, zwei Meinungen Wie wichtig sind die US-Wahlen für die Finanzmärkte?
Am 5. November finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Kamala Harris oder Donald Trump? Seit Monaten wird darüber diskutiert, welchen Einfluss ein Sieg der einen oder des anderen auf Unternehmen und Finanzmärkte hätte. Sonja Laud von LGIM sieht jeweils unterschiedliche Segmente und Branchen im Vorteil. Erik Weisman von MFS sagt dagegen: Wahlergebnisse haben die Finanzmärkte in der Vergangenheit nicht nachhaltig beeinflusst.
Zwei Experten, zwei Meinungen – hier sind ihre Argumente:
„US-Wahlen sind der aktuell wichtigste makroökonomische Faktor“
Sonja Laud, Investment-Chefin bei Legal & General Asset Management:
„Der Ausgang der US-Wahlen ist der wichtigste makroökonomische Faktor bis zum Ende des Jahres, insbesondere wenn man das abgeschwächte Wirtschaftswachstum und die drohendende fiskalische Haushaltsklippe berücksichtigt. Wir gehen von temporären Marktschwankungen aus, je näher die Wahlen rücken. Im Moment sehen die Märkte dem Ereignis noch gelassen entgegen.
Ein Wahlsieg Donald Trumps dürfte erneut Zölle als politisches Druckmittel sowie Steuersenkungen mit sich bringen. Das wäre aus unserer Sicht eine schlechte Nachricht für US-Staatsanleihen, Märkte außerhalb der USA sowie Basiskonsumgüter. Für den Energie-Sektor und den US-Dollar hingegen wäre ein Sieg Donald Trumps eine gute Nachricht.
Falls Kamala Harris siegt, wird ihre Regierung wahrscheinlich die Steuersenkungen der Trump-Regierung rückgängig machen und die Ausgaben für soziale und ökologische Projekte steigern. Dies wäre unserer Meinung nach leicht negativ für US-Aktien, aber besser für Märkte außerhalb der USA. Ohne Zölle dürfte der Effekt auf festverzinsliche Wertpapiere gedämpfter ausfallen als bei einem Wahlsieg Trumps.
Der Kurssturz Anfang August hat gezeigt, wie nervös die Aktienmärkte sind, insbesondere weil viele Bewertungen nach wie vor hoch sind. Eine zunehmend multipolare Welt, technologischer Fortschritt, demografischer Wandel und geopolitische Unruhen verunsichern Anleger. Sie beeinflussen Wachstums- und Inflationserwartungen und die Antworten, welche die Politik darauf findet.
Die Märkte preisen die Risiken, die sich aus bereits bestehenden Konflikten wie denen in der Ukraine und im Nahen Osten ergeben, offenbar nicht ein. Ein Grund dafür ist, dass die politischen Entscheidungen nicht vorhersehbar sind. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass Diversifizierung wichtiger denn je ist, um etwaige wirtschaftliche Negativ-Szenarien zu überstehen und die Auswirkungen eines einzelnen Markeinbruchs abzumildern.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Wir gehen davon aus, dass die negative Korrelation zwischen Anleihen- und Aktienrenditen angesichts der verstärkten Konzentration auf die Risiken für die Wirtschaft anhalten wird. In Anbetracht dessen bleiben wir gegenüber Aktien neutral eingestellt und untergewichten Unternehmensanleihen und Anleihen mit langer Duration. Wir haben vom jüngsten Zinsrückgang zwar etwas profitiert, sind aber der Meinung, dass die realen Renditen noch weiter sinken werden.“
„Anleger überschätzen Einfluss der US-Wahlen auf die Börse“
Erik Weisman, Chefökonom und Fondsmanager bei MFS Investment Management:
„Unserer Meinung nach sollten sich Anleger zwar mit den Vorhaben der beiden US-Präsidentschaftskandidaten Kamela Harris und Donald Trump beschäftigen. In der Vergangenheit haben die Wahlergebnisse die Finanzmärkte allerdings nicht nachhaltig beeinflusst. Kriege, Rezessionen und selbst Pandemien haben nicht verhindert, dass die Aktienkurse langfristig gestiegen sind.
Auch welche Partei den Präsidenten und die Kongressmehrheit stellte, hat erstaunlich geringe Auswirkungen auf den Aktienmarkt. Am besten war die Marktentwicklung meist, wenn es unterschiedliche Mehrheiten im Kongress gab – und zwar unabhängig davon, ob der Präsident Demokrat oder Republikaner war. Denn ein Machtgleichgewicht verhindert allzu ehrgeizige Gesetzesvorhaben von einer Partei, die die Märkte oft verunsichern und deshalb zu Volatilität führen.
Im historischen Rückblick haben Aktien in Jahren mit Präsidentschaftswahlen meist stark zugelegt, seit 1928 um durchschnittlich 7,5 Prozent. Das zweitbeste Jahr für Aktien ist meist das letzte Jahr der vierjährigen zweiten Amtszeit, wobei die Erträge vor allem in der zweiten Hälfte anfallen. Überraschend ist, dass die Aktienmarktvolatilität, gemessen an der Standardabweichung pro Jahr, seit 1928 in Wahljahren und anderen Jahren fast gleich ist. Märkte hassen Unsicherheit. Vielleicht legen Aktien auch deshalb im letzten Jahr der ersten Amtszeit eines Präsidenten stärker zu als im letzten Jahr der zweiten Amtszeit.
Unser Fazit: Präsidentschaftswahlen in den USA sind wichtig für Wirtschaft und Märkte, aber nicht so wichtig, wie die meisten Anlegerinnen und Anleger glauben. Denn die Aktienmarktentwicklung hängt von vielen Faktoren ab, auf die Politiker keinen Einfluss haben. Präsidenten können Einfluss auf die Inflation nehmen, aber nicht auf Lieferketten, die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und auf Basiseffekte.
Sie können Vorschläge zur Steuerpolitik machen, aber nicht genau prognostizieren, wie Unternehmen und die Öffentlichkeit darauf reagieren. Deshalb haben Anleger aus unserer Sicht mehr von sorgfältigen fundamentalen Unternehmens- und Marktanalysen als von politischen Spekulationen.“